Hanna Strack » Was ist SEGEN?

Einführung

 

Segen ist das gute Wort, das Gutes bewirkt. Mehr noch: Segen ist das Wort, das Gottes Gegenwart herbeispricht. Die Situation, in die Gott hineingesprochen wird, ist unsere Lebenswirklichkeit: Sie ist Wandlung, Abschiednehmen, Neuanfang und Wagnis, ein Leben, zu dem der Tod gehört, das Scheitern, das Leiden und die Hoffnung, das Licht am Ende des Tunnels, der Sinn im Trotzdem.

 

In all diesen Bewegungen suchen wir eine Herberge, einen Ort, ein Zuhause. Offen sein für die Richtung, in die die Kompassnadel weist und Freude über die Einkehr in der warmen Stube gehört zum Menschsein unverzichtbar hinzu. Wenn diese Her¨berge nicht da ist, weist eine innere Unruhe auf sie hin.

 

Der Segen ist ein besonderes Wort. Der Segen kann diese Herberge anbieten, sei es als geschriebens Wort, sei es als Geste der Handauflegung.  Dank der Sprache geschieht dabei zweierlei. Zum einen wird die Lebenswirklichkeit beim Namen genannt: die Wandlung, die Unruhe, die Hoffnung, der Sinn – Trotzdem. Und dann wird in diese Situation hinein Gesegnet sei es gesagt. Jetzt sind die wandernden Menschen für einen Augenblick eingekehrt. Sie wissen für eine kurze Zeitspanne, wo sie hingehen!

 

Diese Heimat nennen wir Gott. Einige der Segenstexte nennen diese Heimat auch Göttin. Warum?

 

Es ist uns allen selbstverständlich, dass Gott Geist und Liebe ist, eine Kraft, die nicht männlich und nicht weiblich ist. Doch wir brauchen Bilder, nicht um sie anzubeten, sondern um uns mit ihnen der Gottheit zu nähern. Sie sind das Tor, durch das dieser Geist, diese Kraft und Liebe zu uns kommt.

 

Wir finden für die Gottheit eine Fülle von Bildern in der Bibel und in den Gebeten der Christenheit: Hirte, Vater, Mutter, Adlermutter, Richter, Herrscher, Berg und Hügel, Wasser des Lebens, Sonne der Gerechtigkeit…

Unser inneres Auge sieht mit, wenn wir diese Bilder hören oder lesen. Das innere Auge  sieht und sättigt die Seele. Es sieht männliche und weibliche Bilder für Gott und natürlich auch Natur- und Berufsbilder. Es speist damit das Herz mit den Kräften, die diese Bilder in uns wach rufen. Aus diesem Grund sollen nicht nur männliche, sondern auch weibliche Bilder in uns entstehen.

 

 

In Bildern – Symbolen – spricht unsere Sprache auch die Lebenswirklichkeit aus. So haben die irischen Segenstexte gerade deshalb ein großes Echo gefunden, weil sie unsere vielfältigen Lebenserfahrungen in Bilder vom Weg, von Sonne und Regen, vom Licht und den Sternen eingefangen haben.

 

In der Hebräischen Bibel finden wir außerordentlich viele Hinweise dafür, dass die Menschen sich gegenseitig segneten, noch bevor der Segen ganz vom Kult und Gottesdienst übernommen wurde. Dabei fallen sehr unterschiedliche Segenstexte ins Auge.

 

 

I. Sehr alte Segensworte weisen dem Menschen einen Ort zu zwischen Himmel und Unterwelt auf der Erde, die ihn ernährt:

 

Gesegnet ist dein Land

mit dem Köstlichsten vom Himmel droben,

und mit der Flut, die drunten liegt,

mit dem Köstlichsten, was die Sonne hervorbringt,

und mit dem Köstlichsten, was die Monde erzeugen,

mit dem Besten uralter Berge

und mit dem Köstlichsten der ewigen Hügel

mit dem Köstlichsten der Erde und ihrer Fülle!

5.Mose 33,13©16

 

 

II. Andere Segenstexte sprechen das Problem an, das damals das dringlichste war, die Notwendigkeit, Nachkommen zu haben: Dein Same soll so zahlreich sein wie die Sterne am Himmel. Warum das? Für die Besitzer von Viehherden war es überlebenswichtig, Kinder zu haben, die die Herden beieinanderhalten und die den Alten Nahrung und Wohnung ermöglichen sollten. Diesem Ziel dienten auch die Frauen und da die Hebräische Bibel in einer patriarchalen Gesellschaftsordnung geschrieben wurde, sind diese Segenstexte und ihre Adressaten, die Männer, besonders häufig anzutreffen.

 

Die Lebenswirklichkeit der Frau wird direkt angesprochen in einem Segen im 2.Buch Mose, 23,25f:

 

Ich werde dein Brot und dein Wasser segnen

und alle Krankheiten aus deiner Mitte hinwegnehmen.

Keine Frau wird fehlgebären oder unfruchtbar sein

in deinem Lande.

Ich werde die Zahl deiner Tage voll machen.  Amen

 

 

III. Und eine dritte Gruppe von Segensworten spricht in den Worten der Weisheit. Diese Lehre ist eine internationale geistig-religiöse Bewegung im Vorderen Orient gewesen. Sie beschreibt das menschliche Leben mit Bildern aus der Natur. Es geht ihr dabei immer darum, dass die Balance im Leben gefunden werde.

 

Der Gesegnete ist wie ein Baum,

am Wasser gepflanzt,

der seine Wurzeln zum Bach hinstreckt.

Denn obgleich die Hitze kommt,

fürchtet er sich doch nicht,

sondern seine Blätter bleiben grün.

Und er sorgt sich nicht,

wenn er dürres Jahr kommt,

sondern bringt ohne Aufhören Früchte.

Jer 17,8f

 

Die Segenworte, die ich selbst geschrieben habe, wollen Mut machen, eigene Lebenserfahrungen mit Gott zusammenzusehen, besser: Gottes Gegenwart mit ihnen in Verbindung zu bringen. Die Texte selbst sind so entstanden.

Die Schreibwerkstatt kann eine Anleitung dazu sein, selbst Segen schreibend zu beten.

 

Segen und Segnen ist damit aus dem Gottesdienst herausgeholt und wieder direkt mit dem Leben verbunden worden. In der katholischen Kirche hat sich diese Praxis immer erhalten, Mütter haben ihre Kinder gesegnet. Eine andere Erinnerung daran ist der wunderbare Kinderreim, in dem viele Lebenserfahrungen verdichtet sind:

 

Heile, heile Segen,

drei Tag Regen

drei Tag Sonnenschein

und alles wird

wieder gut sein.

 

Mit diesen Worten und dem Streicheln haben Eltern Kinder getröstet. Der Reim verweist uns auf die Erkenntnis, dass alles seine Zeit hat, Zeit zum Leid und Zeit zum Glück. Die Dreizahl will auch symbolisch verstanden sein als Zahl der Ganzheit: gänzliches Unglück – volles Glücklichsein.

Der Schluss verspricht mehr, als er halten kann. Das tut jeder Segen. Das hat aber seinen Sinn. Es erinnert an die Bilder vom Neuen Jerusalem im letzten Kapitel des Neuen Testamentes: die Goldene Stadt ist auf Edelsteinen erbaut, in ihrer Mitte ist das Wasser des Lebens und Bäume bringen heilende Blätter, Braut und Bräutigam (das Lamm), Weibliches und Männliches vereinigen sich. Diesem Bild ist auch der letzte der folgenden Segenstexte nachgedichtet. Der Sinn ist der: Die Verheißung der Vollkommenheit oder dass alles wieder gut sei gibt dem Heute, dem Hier und jetzt die Qualität der Sicherheit und Geborgenheit. Die Wanderer auf dem Weg des Lebens sind in der Herberge eingekehrt, stärken sich und können mit neuer Kraft weitergehen.