Hanna Strack » Vilemína und Mayfreda

Vilemína und Mayfreda


Schicht um Schicht abtragend wie Archäologen bei der Ausgrabung, machen sich feministische Theologinnen auf Spurensuche nach weiblichen Gottesbildern. Sie entdeckten die hebräische Ruach wieder neu und wurden auch im Mittelalter fündig. Die Vilemiten, eine kleine freigeistige Gruppe im Mailand des ausgehenden 13. Jahrhunderts, sollen den heiligen Geist in Gestalt einer Frau verehrt haben. Wer waren diese Leute? Alles, was wir von ihnen wissen, entstammt den Protokollen der Inquisition.

 

Blazena (=die Glückliche) Vilemína wurde an Pfingsten 1210 als Tochter der böhmischen Königin Konstanze und des Königs Przemysl I. geboren. Ihr Bruder und ihr Neffe waren Nachfolger auf dem Thron, ihre Schwester Äbtissin in Prag. Vermutlich stand Vilemína den Mystikerinnen ihrer Zeit nahe, zog vielleicht als Begine durchs Land. Als über Fünfzigjährige taucht sie mit ihrem Sohn in Mailand auf und lebt dort bis zu ihrem Tod 1281 als Laienschwester im Zisterzienserkloster Chiaravalle. Sie gilt als weise, heilend, ja wundertätig. Vilemína muß großes Charisma besessen haben, die seltene Fähigkeit, Menschen zu einen und zu ihrer eigenen Mitte zu führen.

 

Sehr bald bildet sich ein Kreis von AnhängerInnen um sie, vom einfachen Volk bis zum Adel. Die offizielle Kirche war zu dieser Zeit tief verstrickt in Machtkämpfe und Korruption, Mailand mit dem Interdikt belegt. Das bedeutete, daß alle Gottesdienste und Weihehandlungen verboten waren. So bildeten die fröhlichen Zusammenkünfte und festlichen Mahlgemeinschaften der Vilemiten eine Notmaßnahme, den Versuch, eine spirituelle Kirche ohne soziale Schranken und ohne Vermittlung durch Hierarchien zu leben, ganz im Sinn des Urchristentums.

 

Es sei ihr nicht wichtig, den Körper Christi (in der Eucharistie) zu sehen, soll Vilemína gesagt haben, denn sie sehe ja sich selbst. Nicht sie selbst, sondern ihr eifriger Schüler Andrea Saramita, der später eine Art Chefideologe der Gruppe wurde, formte daraus die Lehre, Vilemína sei der im weiblichen Geschlecht Fleich gewordene Heilige Geist, gekommen zur Erlösung der Juden, Sarazenen und Heiden. Einmal wurde Vilemína vor dem Inquisitionsgericht verhört, aber ohne Folgen. Sie starb 1281, wurde im Kloster Chiaravalle feierlich beigesetzt und hoch verehrt: nach außen hin als eine Heilige, im Geheimen wegen ihrer Göttlichkeit.

 

Mayfreda, eine adelige Nonne aus der Familie Visconti, schon zu Lebzeiten Vilemínas eine leidenschaftliche Anhängerin, wird zur Nachfolgerin bestimmt. Wie Petrus Stellvertreter Christi, so soll sie Stellvertreterin Vilemínas sein bis zu deren erwarteter Wiederkunft. Ziel ist die spirituelle Erneuerung der Kirche durch die Förderung weiblicher Größe. Saramita träumt sogar von einer „Machtübernahme“ in Rom, mit Mayfreda als Päpstin, ein Gedanke, den diese aber kategorisch ablehnt. Dennoch geht Mayfreda, die regelmäßig predigt und unterrichtet, einen Schritt weiter als Vilemína. Im kleinen Kreis, aber mit großer Prachtentfaltung zelebriert sie am Ostersonntag des Jahres 1300 in Mailand die Ostermesse.

 

Die Inquisition, die bereits 1284 und 1296 gegen die Vilemiten ermittelt hat, ist nun nicht mehr zu halten. Ein weiterer Prozess wird eröffnet, der mit drei Todesurteilen  endet. Im September 1300 werden Schwester Mayfreda, eine Mitschwester und Andrea Saramita wegen rückfälliger Ketzerei zum Tod auf dem Scheiterhaufen verurteilt. Die Gebeine Vilemínas werden 20 Jahre nach ihrem Tod exhumiert und auf einem öffentlichen Platz zusammen mit den Lebenden dem Feuer übergeben.

 

Und was fangen Frauen am Beginn des 3. Jahrtausends mit dieser 700 Jahre alten Geschichte an? Die italienische Philosophin Luisa Muraro, die sich intensiv mit dieser „Geschichte einer feministischen Häresie“ beschäftigt hat, sieht eine Kontinuität zwischen Vilemínas Lehre und Hegels Phänomenologie des Geistes. So sagt auch Hegel, daß das Selbstbewußtsein die Überschreitung der dogmatischen Wahrheit ist. Aber er vernachlässigt die Bedeutung der Geschlechterdifferenz. „Im Gegensatz dazu stellt Vilemína ihr Frausein neben das Mannsein Jesu Christi als göttliches Zeichen und Modell der Erlösung. Den Vilemiten nach behauptete Vilemina in der Tat die Notwendigkeit einer Inkarnation Gottes im Mann und in der Frau, damit die durch Christus dargebrachte Erlösung wirklich universell wäre.“

 

 

Christa Mathies

 

 

Luisa Muraro: Vilemína und Mayfreda: Die Geschichte einer feministischen Häresie. Freiburg 1987.

 

Jutta Taege-Bizer: Der Heilige Geist in Gestalt einer Frau – eine Zukunftshoffnung? in Die Weiblichkeit des Heiligen Geistes: Studien zur Feministischen Theologie/hrsg. von Elisabeth Moltmann-Wendel. Gütersloh 1995.

 

Luisa Muraro: Vorher und Nachher im Leben einer Frau, in der Geschichte von Frauen. in  Der Atem von Frauen: Luce Irigaray präsentiert weibliche Credos. Rüsselsheim 1997.