Hanna Strack » Tamar, die Dattelpalme

 

 

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Tamar gebiert die Zwillinge Perez und Serach, 1. Mose 38

Rechts die Hebamme, die dem Kind Serach, das zuerst die Hand rausstreckte, dann aber wieder zurückzog, einen karmesinroten Faden umband. Damit wird es zum Erstgeborenen. Perez ist Vorfahre Jesu Mt 1,3; Lk 3,33.

 

Codex Vindobonensis 2554 zu Genesis 38, Zentralbibliothek Luzern, aus: Sölle u.a. Große Frauen der Bibel, Herder 1993 S.91

 

 

 

 

 

Tamar, die Dattelpalme

1.Mose 38

 

Die Geschichte versetzt uns zurück in die Zeit, als es ein Schafschurfest der Hirten gab und als die Heilige Hochzeit gefeiert wurde. Sexualität war Teilhabe an der Leben spendenden Kraft der Gottheit. Eingereiht in die Erzelternsaga erzählt sie von Juda, dem Sohn der Lea und des Jakob und von Tamar, seiner Schwiegertochter, die uns im Neuen Testament wieder begegnet als eine der Ahnfrauen Jesu, die im Stammbaum im Matthäusevangelium genannt werden. Ihr Name heißt Dattelpalme, diese war damals der Lebens- und Fruchtbarkeitsbaum.

 

Und so geht die Geschichte: Juda zieht in das Land Kanaan, nimmt sich dort eine Frau und bekommt drei Söhne Ger, Onan und Schela. Juda gibt seinem Ältesten die Kanaanäerin Tamar zur Frau. Aber Ger stirbt, und Tamar bekommt nach israelischem Recht, der so genannten Schwagerehe, seinen Bruder Onan zum Ehemann.  Das heißt, dass eine Witwe das Recht hat für Nahrung, Kleidung und Sexualität.2. Mose 20,21. Da Onan aber keine Nachkommen haben will, die dann seinem Bruder zugerechnet werden, lässt er den Samen auf die Erde fallen, wie nennen es coitus interruptus und nicht, wie fälschlicherweise aus seinem Namen abgeleitet wird, Onanie. Onan stirbt dann ebenfalls.

 

Juda will ihr nun aber seinen jüngsten Sohn Sela der Tamar nicht zum Mann geben aus Sorge, dieser könnte auch sterben. Angesichts dieses Unrechts nimmt Tamar nun ihre Geschicke selbst in die Hand. Sie unterläuft die patriarchale Macht durch eine List. Sie legt ihre Witwenkleider ab und verkleidet sich als Kultdirne, eine Frau, die dem Mann ermöglicht,  durch sexuelle Ekstase der Gottheit näher zu kommen. Tamar setzt sich an den Wegesrand, wo ihr Schwiegervater Juda zum Fest der Schafschur über Land geht. Er erkennt sie natürlich nicht und will mit ihr schlafen. Und wie es sich gehört, will er mit einen Ziegenbock bezahlen. Doch kann er ihr jetzt sofort nur ein Unterpfand geben, nämlich die Insignien seines Standes: Siegel, Schnur und Stab. Als er diese später durch einen Freund einlösen lassen will, ist Tamar verschwunden und niemand weiß etwas von ihr.

 

Drei Monate später hinterbringt man Juda, seine Schwiegertochter sei schwanger. Nach den Gesetzen muss sie sterben. Sie soll verbrannt werden. Doch „als man sie hinaus führte, schickte sie die Insignien zu ihrem Schwiegervater und ließ ihm sagen: Der, von dem dieses stammt, von dem bin ich schwanger.“ Juda reagiert sofort: „Sie ist gerechter als ich!“. Juda beugt sich dem Recht.

 

Als Tamar Zwillinge gebiert und das erste Kind seine Hand rausstreckt, bindet die Hebamme einen karmesinroten Faden an sein Handgelenk zum Zeichen, dass er der Erstgeborene ist. Der Zweite, Perez, wird der Vorfahre Davids und somit kommt Tamar in Jesu Stammbaum. Mt 1,3.

 

Warum ist diese ungewöhnliche Erzählung in die Erzelterngeschichte mit aufgenommen worden? Will der Verfasser zeigen, dass Gott auch auf ungewöhnlichen Wegen sein Haus erbaut?

 

Tamar ist weder Ehefrau noch Hure. Sie ist eine selbst bestimmte Frau. Durch die List, mit der sie sich ihr Recht verschafft, und durch das Risiko, das sie dabei eingeht, verlässt sie die Opferrolle und wird zur Handelnden.

 

Hanna Strack

aus: FrauenKirchenKalender 2005