Hanna Strack » Susanne Lambrecht: Bilder von Krebs

Susanne Lambrecht: Die sich wandelnden Bilder von Krebs. Systemtheoretisch orientierte Beschreibung einer Ärztin, Münster: LIT 2015, 310 S. ISBN 978-3-643-13057-0

 

Ausgehend von der Frage, welche Kategorien der Beobachtung vorherrschen, beschreibt Susanne Lambrecht, praktische Ärztin mit langer Berufserfahrung, die Bilder, die Menschen sich vom Körper und speziell bei der Krebsbeobachtung machen. Denn nur der beobachtete Körper tritt in Erscheinung. Beobachter von Krankheit/Gesundheit sind geprägt von ihrem Körperbild, von Politik, Recht und Massenmedien, heute auch von den wirtschaftlichen Interessen der Medizin-Technik und Pharmakologie. Information, Mitteilung und Verstehen werden sinnförmige Entscheidungen.

 

Die Ärztin geht von Erfahrungen aus, die sie in einen großen geschichtlichen Zusammenhang stellt, Dies entfaltet sie in zwölf Kapiteln mit folgenden Themen: Überblick über die Geschichte dieser Krankheit, Vorformen und Einzelfragen der Krebsbeobachtung, die Ärztekammer als programmgebende Organisation, Beobachtung von Krebs nach dem Zweiten Weltkrieg, das neue Konzept für Zytostatische Chemotherapie und deren Probleme wie Nebenwirkungen, Psychoonkologie, Palliativmedizin, dann folgen neuere Entwicklungen, Individualisierung der Krebsgefahr, hartnäckige Dogmen der Onkologie, die Entwicklung der Diskussion in der Onkologie seit 2010 und Schlussbetrachtungen.

Dieser Überblick ist spannend für alle, die gerne auch die Meta-Ebene einnehmen. Die Philosophie konnte die Trennung von  Körper und Seele durch die Erfindung des Buchdrucks rasch verbreiten. Die pharmazeutische Industrie konnte sich dank der Zusammenarbeit von Universitäten und Sozialversicherungsgesetze Bismarcks in Deutschland rasch entwickeln, nach dem 2. Weltkrieg übernahmen die USA die Führung,  Penicillin war bei der militärischen Nutzung entwickelt worden.

Die Frage der chemischen Therapierbarkeit bestimmt die Ausschnitte des Körperbildes, das der Arzt sieht. Diese sind bei der Beobachtung unweigerlich gegeben. Der Fortschrittsglaube an die immer bessere Beherrschung des Körpers war lange Zeit vorherrschend, bis ca 1970 die Wechselbeziehung zwischen Körper und Gesellschaft erkannt wird. Gesellschaftliche Konstruktionen des Köperbildes gewinnen für Diagnosen große Bedeutung. Das öffnet auch für die historische Betrachtung überraschende Einblicke, so wurde der römische Arzt und Naturforscher Galen nur von der Adelsschicht rezipiert, als Krebs wird von ihm jedes Geschwür bezeichnet.

Die historische Entwicklung von Diagnose und Therapie zeigt die Abhängigkeit vom Krankheitsverständnis. Heute leben wir in einer Übergangsgesellschaft ähnlich der Neolithischen Revolution. Das Bild vom Körper wandelt sich heute vom Körper als Maschine zum Körper als interzelluläres Kommunikationssystem. „Die eingeschlagene Therapie wäre dann Ergebnis von Kommunikation“ (245), denn auch die Chemotherapie bedarf zu ihrem Therapieerfolg der körpereigenen Kräfte, den Lebenswillen des Patienten.

Die Bezeichnung ‚Krankheit der modernen Gesellschaft’ widerspricht der Beschreibung von Krebs als ‚Natürlicher Krankheit’, begründet in der biologischen Natur mehrzelliger Lebewesen.

 

Spannend wird das Buch in den letzten Kapiteln über die Durchgriffskausalität der Schulmedizin und die Auslösekausalität alternativer Heilmethoden, der Komplementärmedizin. Die Sympathien der Autorin liegen offensichtlich im „Pluralismus der Medizin“, ein Dialogforum, das  der Präsident der Bundesärztekammer Jörg-Dietrich Hoppe gründete. Die Krebskrankheit wird zur Kommunikationskrankheit, das hier gültige Körperbild ist das Kommunikationssystem.

Weiterführend ist das Schlusskapitel über die Behandlung der Kranken und ein systemtheoretischer Vorschlag, worin die systemische Sicht auf Körper und Seele zu einer immer notwendiger werdenden Aufklärung und Gesprächsbereitschaft in den Mittelpunkt rücken.

 

Hanna Strack, www.hanna-strack.de