Hanna Strack » Religion in weiblicher Lebensgeschichte

Elisabeth Moltmann-Wendel

 

Religion in weiblicher Lebensgeschichte

 

Verändern – Bewahren – Erneuern

Vortrag anlässlich des 20. Jubiläums des FrauenKirchenKalenders am 19. März 2011 in München

 

Unsere Lebensgeschichte ist von verschiedensten Einflüssen geprägt. Eltern, Geschwister, die Familie, Freunde, Kultur, natur und Gesellschaft haben entscheidend dazu beigetragen, dass wir so sind, wie wir sind. Dass wir auch durch unsere Veranlagungen, durch Gene bestimmt sind, ist uns zunehmend deutlich gemacht worden. Doch die Macht der äußeren Einflüsse ist darüber oft vergessen worden.

Zu den oft vergessenen Prägungen gehörten die religiösen Elemente. Sie haben in einer säkularisierten Gesellschaft oft keinen Stellenwert. Doch sie haben geprägt, und es ist Zeit, sich darüber Gedanken zu machen.

 

Was hieß es einmal für uns, von einem Gott, einer allmächtigen Macht zu wissen?

Was hieß es, dadurch Selbstbild und Selbstachtung zu entwickeln?

Was hier es, unter solchem Anspruch das eigene Leben zu gestalten?

Und damit komme ich auch gleich zu der kritischen Frage, was trägt gegenwärtig noch?

Was hat Zukunft, was nehmen wir mit in vor uns liegende Zeiten?

Wie erneuern wir die Erde?

Wir wollen nach Veränderungen, schmerzhaften und schönen, fragen, und schließlich nach unserem Beitrag für diese Welt, Gesellschaft und Kirche.

 

Neben diesen persönlichen Fragen wird uns allerdings auch wieder klar, welche rasanten Veränderungen wir in den letzten Jahrzehnten um uns herum, in Gesellschaft und Politik erlebt und sie auch uns nicht unberührt gelassen haben. Und bei manchen wächst das Bedürfnis, endlich einmal wieder nach dem Beständigen, nach dem Bleibenden zu fragen. Wo hat es noch Platz in diesem „Tsunami“ der Zeit? Ist es gerade vom religiösen Standort aus nicht wichtig danach zu fragen statt die Schraube der Zeit noch einmal zu drehen?

 

Ich meine, Beides: das sich Verändernde und das Beständige gehören zusammen. Sie zu trennen würde uns zeitlos und geschichtslos machen. Doch unsere Gegenwart, unsere Erfahrungen in Kirche, Gesellschaft, Umwelt und Politik drängen uns gegenwärtig, sich den Veränderungen zu stellen, ihren Charme zu entdecken und die in ihnen versteckte Lust zu spüren. „Nur wer sich ändert, bleibt sich treu“, heißt es bei Wolf Biermann. Leben ist Veränderung, und so möchte ich mit dem Leben und der Veränderung anfangen, aber zuletzt auch noch nachdem darin Beständigen fragen.

 

Für Frauen und ihre Lebensgeschichte hat „Veränderung“ noch einen besonderen Stellenwert. Anders als Männer sind Frauen einmal biologisch, aber dann auch sozial anderen Prozessen ausgesetzt. Sie müssen sie allerdings nicht nur bestehen, sondern können sie auch gestalten. Wer das nicht sieht, geht an ihrer Würde und ihrer Eigenart vorbei. Sie sind nicht das „zweite“, und das heißt, dass weniger bedeutende Geschlecht. Wer genau hinsieht merkt, dass sie in besonderer Weise Werte vermitteln, eine eigene Sprache entfalten und  Lebensziele entwickeln. Weibliche Lebensgeschichte zu lesen, ist eine Herausforderung für unsere Zeit. Die religiöse Seite dieser Geschichte aufzuschlagen, ist darüber hinaus noch reizvoll, weil sie zu einem tieferen Selbstverständnis bringen kann. Ich möchte dies an drei Punkten zeigen:

 

  1. am Gottesbild
  2. am Selbstverständnis
  3. an den Lebensvisionen

 

 

Gottesbilder: Gottvater – Gottmutter?

Im Zentrum des Christentums steht seit alters her der Glaube an Gott als Vater, Vater Jesu Christi und Vater aller an ihn Glaubenden. Zwei wichtige Zeugnisse der Christenheit sind davon geprägt: das „Vater-unser“ und das Glaubensbekenntnis: „Ich glaube an Gott den vater …“ Darüber hinaus sind Lieder, Rituale, Gebete, vor allem auch Kindergebete, die unsere religiöse Sozialisation bestimmen („Vater, lass die Augen dein über meinem Bette sein“), vom Vaterbild beeinflusst.

Umso gravierender war der Angriff gegen Patriarchat und Vatervorstellungen der Jahre. Ein berühmter Buchtitel jener Zeit: „Jenseits von Gottvater, Sohn und Co“ traf mitten ins Herz der Christenheit. Es war die Übersetzung einer der markantesten Streitschriften der Feministischen Theologin Mary Daly, die Frauen den „zweiten Geschlecht“, zornig ihren untergeordneten Platz in der Kirche aufzeigt. Daraufhin spalteten sich die Frauen in verschiedene Gruppen: Radikale, die Daly folgten, Konservative, die an den alten Bildern festhielten und zunehmend solche,  die nach sich und zugleich nach vergessenen weiblichen Vorstellungen und Bildern in den religiösen Traditionen suchten.

Die Veränderungen, die damit angestoßen wurden, waren weit reichend. Vergessene Gottesbilder auch in den christlichen Traditionen tauchten wieder auf. „Gott ist kein Mann“ (Hos 11) heißt es schon in  der Bibel provozierend, und zugleich Gottes Handeln mit vielen scheinbar typischen weiblichen Verhaltensweisen zusammen zu sehen. „Mit Mutterhänden leitet er“ dichtete Paul Gerhardt im 17. Jdt., und vom Papst kam die Botschaft „Gott ist Vater, aber vielmehr ist er auch Mutter“.

 

Die rational-technisiserte Gesellschaft, die patriarchale Strukturen forciert und Männern und Männlichkeit einen neuen Wert beigemessen hatte, wurde kritisch untersucht und  die kirchlichen Hierarchien grundsätzlich hinterfragt. Neue Frauenideale entfalteten sich und in vergangenen Kulturen wurden Spuren weiblicher Herrschaft, weiblicher Werte, nichtpatriarchale Lebensformen und scheinbare friedvolle Strukturen aufgezeigt. Manches hielt gründlicher historischer Analyse nicht stand, aber vieles beflügelt die Fantasie. Eine neue Welt tat sich für viele Frauen auf.

 

Doch es kam darauf an, das herrschende Weltbild der eigenen Gesellschaft zu verändern, Frauen neue Selbstbilder aufzuzeigen und ihnen Machtpositionen zu verschaffen. Ein Prozess, der bis heute nicht abgeschlossen ist.

 

Die Gegenwart allerdings ist schon durch ein neues Selbstbewusstsein von Frauen geprägt. Ihnen sind neue Möglichkeiten erschlossen, und ihre Diskriminierung wird öffentlich angeprangert. Aus Kirche und Theologie haben begonnen umzudenken. Gott ist aus einem männlichen Gefängnis, einem Gefängnis von Macht, Herrschaft, Omnipotenz befreit und zu vielen vergessenen Dimensionen hin geöffnet. Für Frauen haben sich neue Lebensmuster ergeben. Gott-Mutter stell unsere Füße auf einen  weiten Raum des Erlebens, Erfahrens, Spürens, dem wir gestalt und Gesicht geben können. Neue Gottesbilder tauchen in der feministischen Theologie auf: Gott als Großmutter mit einem erfahrenen, vom Leben gezeichneten runzligen Gesicht, Gott als schöne junge Frau, als Geliebte, Gott als alte Frau, die unser Gesicht in beide Hände nimmt und sagt. „Hab keine Angst. Ich verlasse dich nicht.“

 

Gott – vor allem mehr als nur Geschlechtsgenossin, Gott in mir, Gott in Beziehung, Gott in kosmischer Weite, der/die alle verengten personalen Vorstellungen sprengt.

 

Für manche Frauen sind damit längst präsente Gottesbilder bestätigt. Für andere tut sich ein Neuland auf, das zu begehen manchmal nicht einfach ist. Für alle aber bietet sich im religiösen Raum eine Möglichkeit ab, sie und anders zu sehen. Der Radius des eigenen Lebens ist weit geworden. Ein neuer Ort, vielleicht voller Abenteuer, ist erschlossen, auf dem Frauen gelernt haben, eigene Schritte zu tun.

 

Frauen haben Erinnerungen neu angestoßen, Erinnerungen an viele und vielfältige Gottesbilder, weibliche, kosmische und Alltagsbilder, die unserem Leben näher kommen. Im Erinnern tun sich neue Dimensionen, andere Erwartungen, ungeahnte Möglichkeiten auf. Die Weite und Breite solcher Vorstellungen sollten wir festhalten, sie nicht wieder einengen und dogmatisieren.

 

 

Selbstverständnis: Wer bin ich?

 

Wer um sich und in sich ein verändertes Gottesbild erlebt, wird sich auch seiner selbst neu bewusst. Wer bin ich?

Der „arme, elende, sündige Mensch“, wie es in vielen Abendmahlsliturgien heißt?

„Vor den Menschen ein Adler, vor Gott ein Wurm“  wie es ein deutscher Dichter sah?

Ein Mensch, der „nicht wert ist, dass Gott in sein Haus kommt“, wie es die Geschichte des Zöllners erzählt? Die pastoralen Nichtigkeitsvorstellungen vom Menschen sind zahlreich und sie haben unser Christsein geprägt. Vielleicht sind auch gerade Frauen für solche Aussagen besonders empfänglich gewesen, deren Selbsteinschätzung meist nicht gerade hoch ist. Das biblische Bild von der großen Sünderin, nicht ein Bild des großen Sünders, hat Schule gemacht und Kunstgeschichte angeregt.

 

Luthers Sicht von Gottes Gerechtigkeit und Liebe, die uns gut macht, – die so genannte Rechtfertigungslehre – hat vor langer Zeit mit solchen Irrtümern aufräumen wollen. Doch wir müsse heute fragen, was solche Botschaft von unserem Gutsein für unsere Zeit heißt. Wir entdecken Menschen neu, sowohl mit ihrem Körper, mit allen Sinnen und Fähigkeiten, aber auch mit allen Möglichkeiten, die in ihnen verborgen sind. Dies anzusprechen, ist wichtig für unser Selbstbild von Gott.

 

Wie zentral dies in einer sich verändernden Gesellschaft ist, in der von Psychologie, Medizin und Soziologie, ein neuer Blick auf die Leiblichkeit des Menschen fällt, wurde mir vor vielen Jahren bei einer Theologinnentagung in Braunschweig bewusst. Wir hatten über das Sich-Annehmen als ganzer, eigener Mensche gesprochen, aber ich merkte, wie schwer dies Frauen fiel.

 

Keine hatte darüber nachgedacht, was es heute für Frauen heißt, sich selbst anzunehmen. Keine konnte sich eigentlich wirklich annehmen „mit Haut und Haaren, Innen und Außen, mit angebliche Gutem und angeblich Schlechtem. All das blieb draußen, was Frauen an sich selbst zu verachten gelernt hatten: ihre „Macken“, ihre „Fehler“, ihre Emotionen, ihre unerwünschten Verhaltensweisen, die sie unbeliebt machten. Ihre „Schwächen“ hatten sie noch nie in „Stärken“ umgewandelt, wie es Jean Baker Miller in ihrem Buch zeigte. Sie saßen da, kritisch und bereit, ausgewogene und angepasste Persönlichkeiten zu werden, aber ihre tieferen Schichten waren nicht berührt. Nachts saß ich schlaflos im Bett, grübelte, wie ich ihr Gefängnis aufbrechen konnte und etwas von der unsere Person und unsere Verhältnis umstürzenden Liebe Gottes hineinbringen konnte. Und dann tauchten plötzlich Assoziationen aus Hans Joachim Iwands Göttinger Luther-Vorlesungen auf, die ich lange vergessen hatte: vom Schön-Sein des Sünders, weil er von Gott geliebt ist („Die Sünder sind schön, weil sie geliebt werden“, 28. These der Heidelberger Disputation von 1518); von unserem Gut-Sein, das aus Gottes Gutsein kommt, und das unsere Werke gut macht („… unser Gutsein, ja mehr noch das Gutsein Gottes macht uns und unsere Werke gut. Römer-Vorlesung 1515/1516. Fieker, S. 221). Ansätze reformatorischer Theologie verschmolzen mit gegenwärtigen, in Feminismus, Psychologie und Naturwissenschaft hervortretenden Vorstellungen von den Gegensätzen zwischen Geist und Leib ablöst. Wir sind nicht Geist und Seele, wir sind auch Körper. Und wir sind einzigartig, jede für sich, und deshalb schön!

 

„Ich bin gut, ganz und schön“, das wurde mir plötzlich wichtig.

 

Ich weiß nicht, wie viel ich den Frauen am nächsten Morgen davon klarmachen konnte. Auf jeden Fall wuchsen diese Sätze in mir und betteten sich zunehmend in einen gegenwärtigen und theologischen Kontext ein. Sie waren spontan aus einer pastoralen Situation gewachsen und zeigten schon das Typische der Feministischen Theologie: dass sie sich am konkreten Menschen entfaltet.

 

Etwas hatte sich verändert:: ein bekanntes, stabiles Gottesbild hatte sich befreiend erweitert und Frauen konnten heraustreten aus den verschiedensten Definitionen, die sie erlebt und erlitten hatten, ihre Geschichte und ihre Geschichten schreiben und eigene Wege gehen.

 

 

Lebensvisionen: Was tue ich?

 

In der Befreiungsbewegung in und außerhalb unserer Gesellschaft am in den letzten Jahrzehnten der Slogan auf „Tu was“. Ohne, dass wir die Hände und Gedanken rühren, wird es auf dieser Welt auch nicht besser! „Tu was“ haben sich Frauen immer gerne sagen lassen. So konnten sie sich beweisen und ihre Fähigkeiten zeigen. Viele soziale Hilfswerke sind durch solche Frauenkräfte überhaupt entstanden und verwirklicht worden. Wer Gott anders sieht, wer sich selbst neu und ganz erfährt – der/die sollte nun handelnd etwas davon in der Welt umsetzen. So denken wir meist.

 

Ich möchte an dieser Stelle jedoch etwas anderes setzen, was zunächst gegenteilig aussieht, das Liegen. Das wirft gleich alle weibliche Geschäftigkeit über den Haufen. Liegen, Liegenlassen hat etwas Unordentliches, ja Unmoralisches! Doch wie kann ich etwas tun, etwas Neues, Bewegendes tun, wenn ich nicht geruht habe? Wenn ich nicht Kräfte gesammelt, mich selbst gesammelt habe? Betriebsamkeit kann sehr schnell die Schattenseite vom Handeln ohne Sinn und Ziel werden.

 

Tüchtige, tätige Frauen geraten gern in ein gutes Licht, und das brauchen wir. Doch worauf kommt es an?

 

Mir ist inzwischen klar geworden, wie viel eindrückliche Bilder vom guten christlichen Handeln aus der männlichen Welt genommen sind, aber kaum welche aus weiblichem Lebenszusammenhang. Die Christen sollten kämpfen, den guten Kampf des Glaubens, Bilder, die in Bibel, Kirchenliedern und Glaubenssprache immer wieder vorkommen. Und – wie sind auch auf Mädchen angewandt worden: „Seit wir jungen Kämpfer wissen, dass du unser König bist“ (aus dem Lieder weiblichen Jugendarbeit: „Sonne glänzt auf deinen Fluren …“).

 

Nach all de Erfahrungen des vorigen Jahrhunderts sollten wir jedoch mit Militärbildern vorsichtig umgehen und fragen, was wir an ihre Stelle setzen könnten. Ich meine das Liegen könnte ein Gegenbild sein.

 

Doch es gilt Vorurteile abzubauen: Für viele hat Liegen etwas mit Schwäche, Faulheit, Krankheit zu tun. Wer eine Niederlage erleidet, hat Schaden genommen, hat Souveränität und Selbstbewusstsein eingebüßt. – Nüchtern betrachtet verbringen wir ein Drittel unserer Lebenszeit im Liegen. Frauen haben darin noch einen Vorsprung durch Schwangerschaft und Geburt.

 

Ina Praetorius, die uns als Erste auf den Sinn des Liegens wieder aufmerksam gemacht hat, sieht das anders. Sie schreibt: „Liegend werde ich gewahr, was ich anfänglich war, endlich sein werde und auch jetzt bin: ein Wesen, das sich anderen und Anderem verdankt, das manchmal aufstehen kann, um etwas Sinnvolles zu tun. Schon mancher ist im Liegen zu einer besseren Einsicht gekommen. Liegen ist nicht Schwäche, die man verstecken muss. Wer liegt, gibt zu erkennen, dass er wie alle andern Menschen, geboren, verwundbar und frei ist … ein Zeichen, dass wir willens sind, einander zu offenbaren, wer wir wirklich sind …“ Ina Praetorius: Handeln aus der Fülle. Postpatriarchale Ethik in biblischer Tradition, Gütersloh 2005, 155f)

 

In unserer angespannten, aktiven Gesellschaft könnte das lange verpönte Liegen wieder zu einer Haltung schöpferischer Ruhe, zum Ort der Phantasie und des Geöffnetseins werden – nicht nur in Nacht und Krankheit sondern auch am helllichten Tag. Ein Ort in der Schöpfung, an dem wir uns unserer Geburt und unseres Geschaffenseins erinnern.

 

Stehen und Standhaftigkeit haben wir lange gelernt, und sie sind als wichtige Haltung in unsere religiöse Vorstellungen eingegangen. Doch in einer sich verändernden, ruhelosen Gesellschaft könnte das Liegen auch wieder zu einer Lebenskunst werden, die es neu zu erlernen gilt. So wie der Patient in der Psychotherapie liegt und nur in dieser entspannten Lage von sich sprechen kann. Das Liegen als ein Besinnen auf sich selbst, ein Wahrnehmen, welche Veränderung wir selbst, in unserer Person brauchen. Ein Trend gegen die Zeit und ein Versuch, ein Selbst zu sein.

 

Das auf Bewahren ausgerichtete Liegen und das auf Vernichtung zielende Kämpfen sind jedoch nicht geschlechtsspezifisch einzuordnen. Im Gegenteil: das in unserer Kultur vergessene Liegen, das sozial ins Abseits geraten ist, könnte beiden Geschlechtern als Leben-bewahrende Lebensform wieder zugänglich gemacht werden. Das Abendland nach seiner blutigen Geschichte im vorigen Jahrhundert hätte solche Chance nötig. Die Vorstellungen vom Liegen, Liegen lassen, Leben lassen könnte zu einer neuen Kulturreife führen.

 

Doch wo hat „Liegen“ seinen Platz im Christentum? Ist es nur das Faule, Bequeme? Oder ist es auch etwas Bewährtes? Mir ist immer eindrücklich gewesen, dass der scheinbar immer schaffende Gott am 7. Tag seiner Schöpfung ruhte, also wohl lag, ausschlief, entspannte und schließlich diesen Tag „Segnete“, ihm eine besondere Kraft verlieh – die Kraft, die aus dem Nichtstun kommen kann.

 

In einem Weihnachtslied heißt es vom Christkind:

 

„Seht, er liegt in seiner Krippen,

ruft zu sich mich und dich,

spricht mit süßen Lippen:

Lasset fahrn, o liebe Brüder,

was euch fehlt, was euch quält.

Ich bring alles wieder.“

 

In diesen Sätzen liegt ein Zuspruch für Gelassenheit und Gottvertrauen mitten in der hastigen Zeit, und das Versprechen, dass uns dabei nichts verloren gehen kann („ich bring alles wieder“), wenn wir das aufgeben, was uns plagt und was uns fehlt. Was in Psychotherapien liegend heute mühsam wieder gelernt wird, das aufzugeben, was uns zerstört, das ist in diesem scheinbar so einfachen Vers ausgedrückt und dem liegenden Gott in den Mund gelegt.

 

Nicht unsere erlernte Standhaftigkeit hilft uns zum Leben, sondern das Ablegen, Niederlegen der Dinge, das Liegenlassen von etwas, das uns beschwert.

Liegen kann zu einer Lebenskunst werden, die uns zu vielem fähig macht: zum Aufstehen, Aufstand, Standhaftigkeit und Auferstehung.

 

Was bleibt schließlich in all den Veränderungen? Was bringen Frauen ein? Was hat sich Neues getan und was hat sich bewährt?

 

Ein Gottesbild, das vom Vater-Sein sich ausweitet und Gott als Frau, als Mutter und einen weiten Lebensraum öffnet.

 

Ein Menschenbild, das uns neu in unserer Ganzheit von Leib, Seele und Geist erfasst, jeder Festlegung widerstrebt und jede von uns, jede in ihrer Weise, in eine neue Freiheit führen kann.

 

Eine Lebensvision, die uns öffnet, uns selbst inmitten der Welt als Schöpfung Gottes zu erleben, voller Verantwortung für sie aber auch voller Gelassenheit für uns.

 

Innerhalb aller Veränderungen in uns und um uns herum können wir den Charme des Schöpferisch-Neuen, des Lustvoll-Kreativen in uns und unter uns wieder entdecken, das uns allen, allen Geborenen mit auf den Weg gegeben ist. Und – Hannah Arendt sagt – : „Weil jeder Mensche auf Grund des Geborenseins ein initium, ein Anfang und ein Neuankömmling in der Welt ist, können Menschen Initiative ergreifen, Anfänger werden und Neues in Bewegung setzen.“ Er ist „als würde in jedem Menschen der Schöpfungsakt Gottes wiederholt und bestätigt.“

Wir betreten Neuland, neugierig auch auf uns selbst und auf das, was auf uns zukommt. Aber auch unter dem Schutz und im Schatten des Satzes: „Siehe, ich mache alles neu!“

 

Verändern, Bewahren, Erneuern – drei Prozesse, in denen wir gegenwärtig leben und die wir mit eigenem Leben erfüllen können.