Hanna Strack » Weihnachts-Predigt

Liebe Gemeinde,

 

Sie kennen diesen wunderschönen Fleck Natur hier in unserer Nähe:

Wenn wir in Gädebehn an der Brücke den Wanderpfad betreten, wandern wir entlang der Warnow. Wir ziehen unsere Schuhe durch das tiefe, raschelnde Laub. Plötzlich stutzen wir: Links schauen wir gebannt auf einen Baum, der beinahe schon gefällt ist, aber immer noch steht: Biber hatten ihn so angenagt, dass der Stamm von allen Seiten gleichmäßig und von oben und unten an einer Stelle spitz zulief. Und gleich daneben liegt solch ein Baum, vor kurzem erst umgeknickt. Wir halten inne und staunen über das Ebenmaß und über die Präzision, mit der diese Tiere am Werk sind.

Dann führt uns der Weg einen Bogen weiter und vor uns liegt das Tal mit seinen sanften Hügeln, mit der ruhig dahin fließenden Warnow, den Sonnenstrahlen, die im Laub der Bäume tanzen –  Es ist ein Moment großer Stille! Und plötzlich spüren wir, dass wir eingewoben sind in diese Natur und wie wir gleichzeitig über uns hinaus wachsen, über uns hinaus die Schöpfung spüren, ein Hauch des Göttlichen erfahren. Für einen kurzen Moment lösen wir uns auf und empfangen uns neu.

 

Liebe Gemeinde,

solche Momente sind wichtig, ja heilig. Wir vergessen sie nie. Wir können nicht mehr hinter sie zurück, wir können nicht sagen: So etwas habe ich nicht erlebt! Zu diesen Momenten gehört das Erhabene aber auch das Entsetzen, der furchtbare Schrecken, wie wir am 11. September es erleben mussten.

 

Und nun möchte ich unsere Gedanken hinleiten zu einem Wort, das immer noch im Osten und Westen eine ganz unterschiedliche Bedeutungsschwere hat: Es ist das Wort Atheismus. Als ich 1994 nach Schwerin kam, konnte es mir passieren – und das gilt auch heute noch – dass in einer Behörde – es ging um Zuschüsse für die Frauen- und Familienarbeit der Kirche – dass eine Frau zu mir sagt: „Wissen Sie, ich bin Atheist, aber ich bin sehr offen gegenüber allem Neuen!“ Ich bin Atheist – ja, was ist denn das, so frage ich mich seither. Im Westen hätte diese Frau gesagt: „Ich bin nicht in der Kirche oder ich bin nicht christlich.“

 

Das Wort Atheismus ist ein Etikett, das die DDR-Regierung und die Parteiideologen angewendet haben, um die Kirchen einzugrenzen und zu bekämpfen. Diese Definitionsmacht, dieses Monopol über die Herzen,  haben sie offenbar heute noch, wie ich aus vielen Gesprächen entnehme! Und auf der anderen Seite ist es die Kirche, die auch ein Monopol zu haben scheint, die definiert, was Glauben heißt mit ihrem Glaubensbekenntnis, das jeden Sonntag im Gottesdienst gebetet wird.

 

Nun gibt es Zeiten, in denen Glaubensbekenntnisse nötig sind, so war es in der Reformationszeit, so war es in der DDR-Zeit. Heute aber ist eine andere Zeit. Heute ist es notwendig, alle Definitionen vom Tisch zu wischen und den Blick zu richten auf das Leben, wie es wirklich ist, auf die Erfahrungen, die wir machen. Da stellen wir dann fest, dass der Materialismus nur einen geringen Teil des Lebens beschreibt und der andere Teil –  diese Erlebnisse, die uns tief erschüttern, oder die für uns hoch erhaben sind, ja im weitesten Sinne  religiös zu nennen sind – diese hat er zugetrampelt, ausgeblendet  oder gar pervertiert in die Anbetung von Personen und Parolen.

 

Das Angerührt sein vom Göttlichen im Warnowtal, das Erschrecken über den Terror, das Staunen über einem neugeborenen Kind, das Leuchten in den Augen der Hirtenfamilien – es sind Erfahrungen, die unseren Alltag übersteigen, wir können sie auch Transzendenzerfahrungen nennen. Und diese – liebe Gemeinde, lassen sich nicht von der Partei hinwegdefinieren.

 

Doch auch die Kirchenmitglieder müssen sich heute dafür öffnen, dass die religiöse Dimension zum Menschsein dazu gehört, noch vor dem Eintritt in eine kirchliche Gemeinschaft. Dann werden sogar neue Glaubensbekenntnisse geschrieben, wie das über 1000 Leserinnen und Leser der Zeitschrift Publik Forum getan haben und wie wir das in vielen Gruppen schon lange tun. Vielleicht sollten wir einmal in unserer Reihe „Forum Pinnow“ solche Glaubensbekenntnisse besprechen!

 

Wir erfahren am jetzt am Heilig Abend mit den Hirten zusammen einen Augenblick dieses Heiligen, dieses Göttlichen, das uns zutiefst anrührt. Denn warum sonst wären wir heute Abend hier?

Und nun  machen wir uns doch einfach mit den Hirten innerlich auf den Weg, nehmen unsere persönlichen Erlebnisse ernst, ringen nach Worten dafür, begegnen Menschen mit ähnlichen Erfahrungen – und spüren so etwas von dem Reichtum des Glaubens, der jenseits aller Definitionen von Theismus und Atheismus liegt.

 

Heute hier und jetzt ist es die Freude am Licht, das in Jesus erschienen ist und die Dankbarkeit für die Wärme, die unseren Seelen in der Kälte und Dunkelheit unserer Zeit gut tut.

So erzählt es uns dieses Bild von den beiden Hirten. Natürlich ist die Weihnachtsgeschichte erst nach Jesu Auferstehung geschrieben worden und natürlich hat sie viele legendären Züge. Aber sie lebt von diesem großen Staunen über alles, was die Menschen mit Jesus Christus erlebt haben, seiner Hingabe zu den Menschen, seiner Verkündigung von der Liebe Gottes, sein furchtbares Sterben.

 

Deshalb verbinden wir uns jetzt mit den Hirten, ihren Männern und Frauen und Kindern und hören die Engel singen: Euch ist heute der Heiland geboren! Und sind tief angerührt und voll Lob und Dank und Staunen!

Amen

 

 

Sprechmotette:

 

Wir freuen uns über das Licht!

 

Wir spüren die Wärme!

 

Wir eilen zur Krippe!

 

Wir schauen das neugeborene Kind!

 

Uns ist heute der Heiland geboren!

 

Wir fürchten uns nicht!

 

Alle:

Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden!