Hanna Strack » Predigt zu Markus 9, 17-27

feminstisch predigen

Die Bibelstellen sind fett und kursiv gedruckt!

 

Liebe Gemeinde,

 

Tanja G. ist nach der Wende aus einer Kleinstadt im Westen in ein Dorf in den neuen Bundesländern gezogen. Sie hat mir ihrem Mann die alte Schule gekauft und nun wohnen sie dort. Auf dem Gelände steht ein Stall, der jetzt leer ist. Zu DDR-Zeiten war er Arbeitsplatz der LPG für viele im Dorf. Die meisten sind seit der Wende arbeitslos, weil die LPG aufgelöst wurde. Deshalb mögen die Leute Tanja G. nicht. Jetzt diese Wessis! Tanja  G. will in dem Stall eine Ausstellung mit Kunsthandwerk aus Tansania einrichten, auch einen Eine-Welt-Laden. Nun wird sie gemobbt, die Leute sind dagegen, dass hier Unruhe ins Dorf kommt, mehr Autoverkehr. Eigeninitiativen sind ihnen suspekt. Hatte Tanja G. zu wenig für einen guten Kontakt gesorgt, zu forsch ihre Idee in die Tat umsetzen wollen? Bei einer Dorfversammlung spricht sie es aus: „Ihr seid gegen mich, aber keiner traut es sich offen zu sagen. Was habe ich euch denn getan?“

 

Da entlädt sich die ganze Wut der Nachbarn. Einige werden sogar handgreiflich.

Tanja G. ist entsetzt, sie versteht aber, dass sie so nicht weiter machen kann. Zuhause bespricht sie alles mit ihrem Mann und ihrer Schwiegermutter, die bei ihnen wohnt. Tanja  betet und bittet für sich um den Geist der Wahrheit.

 

Dann fällt sie eine Entscheidung. Sie gibt die Idee auf, beginnt eine neue Ausbildung und erfährt nun Akzeptanz und Anerkennung, auch im Dorf.

 

Die Atmosphäre war total vergiftet in diesem Dorf und so ist es in anderen Gruppen, Familien,  Kirchgemeinden und Parteien. Probleme werden seit Jahren unter den Tisch gekehrt, sie haben, so wie es von dem Jungen heißt, einen Geist in sich, der sie sprachlos macht.

Man spricht nicht mehr miteinander, man geht sich aus dem Weg.

Es macht die Leute krank. Es ist ein krank machender Geist, ein sprachlos und taub machender Geist, man hört einander nicht mehr zu.

Es ist ihnen schon das Wasser bis zum Hals gestanden, sie drohten unterzugehen. Sie haben zu vieles im Feuer ihrer Wut verbrannt, was ihnen noch gut getan hätte, der Vater des Jungen sagt: schon oft hat der Geist mein Kind ins Feuer oder ins Wasser geworfen, um es zu töten. Er und sicher auch die Mutter sind jedes Mal hilflos.

Sie haben sich schon zu viele böse Worte gesagt. Das vergisst keine und keiner.

 

Wie starr leben sie aneinander vorbei. Und wieder findet keine Aussprache statt. Sie reden immer um den heißen Brei. Sie treiben ein Spiel miteinander. Sie sagen Sätze, von denen sie das Gegenteil meinen.

 

Die Krankheit des Sohnes ist das Sinnbild für diesen Geist, der die Menschen unfrei macht, einzelne sind schon richtig krank geworden, Magengeschwüre, Asthma, Herzbeschwerden.

Der Vater ist das Sinnbild für die Suche nach Befreiung, Erlösung aus dieser vergifteten Atmosphäre. Deshalb bittet er Jesus: Wenn du die Macht hast, hilf uns und hab mit uns Erbarmen.

 

Auch in einer durch die Politik hervorgerufenen Situation geht vieles schief, das Volk wird nur mit Halbwahrheiten informiert. So kann es doch nicht weitergehen! Aber was kann man machen? Kann da überhaupt noch jemand helfen? Es müsste eine Person von außen sein, ein Mediator, wie es heute heißt, eine Pastorin, ein Lehrer. Wer hätte denn die Autorität, einmal wirklich die Wahrheit zu sagen? Wer würde es aushalten, selbst zum Angriffsziel zu werden?

 

Der Vater, der – wie die Mutter – unter der Not, der Unwahrheit und der psychosomatischen Erkrankung, am meisten leidet, er würde diesem Geist schon vertrauen, aber er hätte noch nicht die Kraft, sich so für eine Klärung, so gegen die vergiftete Atmosphäre, einzusetzen. Schließlich würde er sich ja den anderen schutzlos auszusetzen. Er antwortet auf Jesu Einwand:

Ich glaube, hilf meinem Unglauben, ich vertraue, hilf meinem Mangel an Vertrauen!“

 

Und jetzt passiert es, es ist so weit, in der Familie, in der Gruppe, in der Partei. Sie haben sich geeinigt, eine Hilfe von außen zu holen. Sie sitzen um den Tisch, lauernd, misstrauisch – was kann hier eine Person von außen schon wissen und was uns sagen?

Ich will es versuchen, sagt jemand, eine Fachfrau, ein allgemein anerkannter Einwohner, eine neutrale Person, die Autorität ausstrahlt.

Jesus bedrohte den unreinen Geist und sagte zu ihm: „Du sprachlos und taub machender Geist, ich gebiete dir, lass den Jungen frei und belaste ihn nie wieder.“

 

Dann kommt die Wahrheit zur Sprache, klar, ohne Umschweife, es tut weh. Es kommt zu einer offenen Aussprache, es wird gesagt, was Sache ist. „Alle hacken auf mir herum, ich habe keine Luft zum Atmen!“ oder „die DDR war ein Unrechtsstaat,“ oder „Ihr Wessis habt unsere Arbeitsplätze vernichtet!“ So geht es nicht weiter, so nicht! Die Wahrheit ist schmerzhaft, fast unerträglich. Sie nehmen kein Blatt vor den Mund, sie riskieren aggressive Abwehr und Wut. Vom unreinen Geist des Jungen heißt es:

Da schrie der Geist auf, schüttelte den Jungen heftig und gab ihn frei.

Der alte Geist begehrt noch einmal auf: „Lass uns in Ruhe, wir wollen das nicht hören,“ „es ist doch auch so gegangen, warum muss das jetzt alles auf den Tisch?“ So eine vergiftete Atmosphäre ist zählebig. Und dann erleben sie es alle, wie die angestaute Aggression noch einmal hoch kocht. Die Leute  schäumen vor Wut, alles scheint noch schlimmer zu werden.

 

Jetzt geht es um den Kampf zweier Mächte, dem Geist, der zerstört, kränkt, unfrei macht auf der einen Seite, dem Geist, der auf Vertrauen setzt, der die Wahrheit zu Wort kommen lässt auf der anderen Seite. Hass gegen Liebe, Resignation gegen Mut. Jesus gibt deshalb die Frage zurück: Was heißt: wenn du die Macht hast? Alles ist möglich für die, die vertrauen.“

Jesus sagt: wer vertraut, kann es. Wem oder was vertraut? Jesus vertraut dem Geist Gottes. Es ist der Geist der Wahrheit und der Liebe. Jesus hat sich verbunden mit diesem Geist. Seine Freundinnen und Freunde sind noch nicht so weit, dass sie im Vertrauen auf diesen Geist handeln. Das hat der Vater gemerkt.

Und dann herrscht plötzlich Stille, eine merkwürdiges Schweigen, niemand weiß so recht, was zu sagen. Jeder ist irgendwie betroffen. Plötzlich geht gar nichts mehr.

Der Junge lag wie tot da, so dass die Menge sagte: „Er ist gestorben.“

 

Die Luft ist rein, aber wie lang soll das Schweigen dauern? Langsam trauen sich einige aufzuschauen, sie vermeiden noch den Blick der anderen. Peinlich. Wut verwandelt sich in Nachdenklichkeit, Schuldzuweisungen verwandeln sich in eigene Verantwortung. Es ist, als würde ein Kleinkind laufen lernen müssen.

Jesus nahm seine Hand, ließ ihn auferstehen.

 

Die Person, die die Autorität hatte, die das Vertrauen in die Macht der Liebe, des Verstehens und Verzeihens, sie spricht als erstes nach dem Schock. Auch bei einem Kleinkind halten wir die Händchen, führen es behutsam. Jesus reicht dem Jungen die Hand, die andere Hand stützt den Ellbogen.

„Ich schlage vor, dass Sie jetzt erstmal nachhause gehen und dann heute Abend gemeinsam essen, was alle zusammen mitbringen, gemeinsam um einen Tisch sitzen, nachdem Sie nun reinen Tisch gemacht habt. Und am Sonntag lade ich Sie zum Abendmahl ein.“

 

Ja, das könnten wir machen. Das ist gut, da haben wir etwas zu tun. Das hilft. Jesus gibt den Jungen zurück, in die Freiheit, in sein eigenes Leben:

… und er stand aus seiner Krankheit auf.

 

Es ist eine Auferstehung mitten im Alltag. Ein neuer Geist zieht ein. Sie müssen sich noch üben, auch zu vertrauen. Der Junge geht mit seinem Vater nachhause, die Mutter muss den neuen Geist wahrnehmen und sie muss sich neu einstellen auf den Geist in der Familie. Sie muss den Jungen frei geben.

 

In den Gruppen, Kirchgemeinden und Parteien haben die Leute es nicht mehr nötig, einander zu verletzen. Stattdessen müssen sie eine neue Sprache suchen, Worte, die gut tun, Worte, die stärken, auch mal ein Lob, eine Anerkennung. Da bricht einem doch kein Zacken aus der Krone. Es ist verdammt schwer. Aber dieses Erlebnis der befreienden Worte, der Heilung von einem unreinen Geist, hilft ihnen dazu. Der Geist, der alles unter den Tisch kehren wollte, der eine feindliche Gesinnung herauf beschworen hatte, er wird keine Chance mehr haben. Aber Mut braucht es auch dazu.

„Wenn Sie in ein paar Wochen noch mal  ein Nachgespräch brauchen, komme ich gerne,“ so verabschiedet sich die Pastorin, der Mediator, der Lehrer.

Wir danken dem Geist der Wahrheit, dass wir dem krank machenden Geist nicht unterworfen bleiben!

 

Amen