Hanna Strack » Predigt zu Johannes 12,20-26

 

Joh12,20-26Lätare

 

Predigt zu Joh 12,20-26

 

Liebe Gemeinde,

heute ist uns von der liturgischen Kommission ein Predigttext ausgewählt worden, der ganz den Geist des Johannesevangeliums atmet. Ich lese ihn zunächst einmal als Ganzes vor und zwar aus der modernen Übersetzung, der so genannten Bibel in gerechter Sprache:

 

„Es gab auch einige griechischsprachige Menschen unter denen, die hinaufgingen, um beim Fest anzubeten. Diese nun gingen zu Philippus – dem aus Betsaida in Galiläa – und fragten ihn und sagten: »Herr, wir wollen Jesus sehen!« Philippus ging und sagte es Andreas; Andreas und Philippus gingen und sagten es Jesus. Jesus antwortete ihnen und sagte: »Die Zeit ist gekommen, dass der göttliche Glanz des erwählten Menschen gezeigt werde. Amen, amen, ich sage euch: Wenn das Weizenkorn, das in die Erde fällt, nicht stirbt, bleibt es allein; wenn es aber stirbt, trägt es viel Frucht. Alle, die ihr Leben lieben, verlieren es; und alle, die ihr Leben in dieser Welt hassen, werden es bis in das ewige Leben bewahren. Die mir dienen, sollen mir folgen; und wo ich bin, dort werden auch die sein, die mir dienen. Alle, die mir dienen, die wird Gott ehren, weil sie – die Gottheit – mein Ursprung ist.“ Johannes 12,20-26

 

Ich möchte Ihnen zunächst davon erzählen, wie eine Frau einen Vers aus dieser Bibelstelle, unserem Predigttext, entdeckt hat und warum sie sich darüber so gefreut hat.

Und dies ist der Vers:

„Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und stirbt, bleibt es allein; wenn es aber stirbt, trägt es viel Frucht.“

Die Frau, von der ich erzählen will, ist Hanna Fischer, sie ist Hebamme in Süddeutschland. Sie leitete wie viele andere Hebammen auch Vorbereitungskurse für schwangere Frauen und dabei hat sie auch die Partner, die zukünftigen Väter, mit einbezogen. Nun hat sie ein Video über die Kurse gedreht und veröffentlicht. Darin erklärt sie nicht nur über die körperlichen Erfahrungen, die auf die Mutter zukommen, sondern sie spricht auch die seelische und spirituelle, also die religiöse Seite von Schwangerschaft und Geburt an.

 

Hanna Fischer ist eine Christin, sie engagiert sich auch in der Kirchgemeinde. Nun war ihr immer schmerzlicher bewusst geworden, dass es keine Literatur gab, die etwas Sinnvolles über den Geburtsschmerz sagte. Und dann entdeckte sie eine Bibelstelle, die den Frauen in dieser besonderen Situation Trost und Zuversicht gibt, in den – wie wir sagen – anderen Umständen oder – wie es früher hieß – wenn sie guter Hoffnung sind.

Bei den Älteren unter uns hatten die Mütter noch keine Vorbereitungskurse, sie haben einfach das Kind, uns selbst und unsere Geschwister, ausgetragen und geboren. Heute haben viele Frauen durch die Vorsorgeuntersuchungen eher mehr als weniger Angst! Umso mehr ist das Angebot des christlichen Glaubens, sind Vertrauen und Hoffnung und Liebe gefragt!

 

Die Hebamme Hanna Fischer spricht nun in ihrem Video ganz beglückt davon, dass sie diese Bibelstelle gefunden hat, nämlich diesen Vers aus unserem Predigttext:

Jesus spricht: Amen, Amen, ich sage Euch: Wenn das Weizenkorn, das in die Erde fällt, nicht stirbt, bleibt es allein; wenn es aber stirbt, trägt es viel Frucht.

Hanna Fischer sagt dazu: „Jede Kartoffel, die zur Saatkartoffel wurde, können wir nachher nicht mehr gebrauchen, aber sie trägt vielfältig Frucht.“ Und zu den Schwangeren: „Wenn ihr denkt, ihr sterbt, dann kommt das Kind! Diese emotionale Tiefe führt zu Erkenntnissen, die wir sonst nicht bekommen! Und die Liebe zum Kind wird geboren und uns begleiten.“

 

Liebe Gemeinde, nur wenige von uns haben selbst ein Kind geboren, aber wir alle, Frauen und Männer, jung und alt, sind diesen Weg ins Leben angetreten, wir alle hatten diese Grunderfahrung: Als befruchtete Eizelle wurden wir im Dunkeln des Schoßes unserer Mutter zur vielfältigen Frucht, und als wir geboren wurden, haben wir wohl auch selbst diese Erfahrung gemacht, dass wir durch eine Tiefe Angst ans Licht kamen.

 

(Hier kann jetzt diese Fantasiereise eingefügt werden.)

Ich lade Sie alle jetzt herzlich ein zu einer Fantasiereise. Sie können einfach meinen Worten lauschen und sich vor Ihrem inneren Auge das vorstellen, was ich erzähle. Wenn Sie sich nicht darauf einlassen wollen, dann hören Sie einfach so zu, fühlen sich aber dennoch ganz dazu gehörig!

Wir setzen uns vorn an die Bank- oder Stuhlkante hin, dass wir aufrecht sitzen können.

Wir spüren unserem Atem nach, aus und ein, ein paar Mal. Nun stellen wir uns ein Samenkorn vor. Wie klein ist es?

Jetzt schlüpfe ich in dieses Samenkorn hinein, ich bin selbst jetzt ein kleines Samenkorn.

Ich spüre, dass ich in eine feuchte Erde gelegt werde. Es wird ganz dunkel um mich. Ich rieche die feuchte Erde, ich werde müde. Nur Stille ist um mich. Es geschieht nichts. Ich ruhe so tief, dass ich mich tot fühle.

Da spüre ich, wie sich etwas in mir verwandelt. Da tut sich etwas, es regt sich in mir. Etwas will wachsen und drängt ans Licht. Völlig neue Gefühle kommen in mir auf. Es dauert lange, dieses Verwandeltwerden. Und plötzlich wächst ein Blättchen aus mir, stößt durch die Erdekruste und – das ist Licht! Luft, Sonne! Wind! Ich bin ganz verwandelt, bin neu geboren, ich merke auch, dass ich ganz anders bin, kein kleines Samenkorn mehr sondern ein kleines kräftiges Pflänzchen. Jetzt drängt alles zum Wachstum hin. Nach einiger Zeit trage ich die Blüten, dann trage ich die Früchte – ich habe mich vervielfältigt!

Nun danken wir dafür, dass wir diese Beobachtung in aller Ruhe machen konnten und verabschieden uns von der kleinen Pflanze, die wir selbst waren. Wir öffnen die Augen und kommen zurück in diesen gottesdienstlichen Raum.

 

Wir haben diesen einen Vers vom Weizenkorn nun schon recht gut verstanden. Aber was bedeutet er für die Jüngerinnen und Jünger und für Jesus?

Nun wenden wir uns wieder unserem Predigttext zu und verstehen, wie dieses Wort vom Samenkorn, das nicht allein bleibt sondern viel Frucht bringt, wie dieses Wort vom Samenkorn die Botschaft des Glaubens an Jesus Christus in ein besonderes, ins rechte Licht rückt:

Jesus hat ja in seinen Gleichnissen oft vom Samenkorn erzählt, vom Senfkorn z. B., das so klein ist und dann ein großer Baum wird. Hier in unserem Predigttext hat Jesus das Gleichnis vom Samenkorn nun auf seinen eigenen Tod und seine eigene Auferstehung hin ausgelegt. Die Menschen, hier sind es die Griechen, wollten in Kontakt kommen mit Jesus. Das geht etwas umständlich zu: Sie wenden sich zuerst an Philippus, dieser an Andreas und beide tragen es Jesus vor.

Aber Jesus sagt es ihnen ganz eindeutig: Wer ihn verstehen und wer ihm wirklich begegnen will, muss sich darauf einlassen, dass dies nur durch die Tiefe des Sterbens und durch die Verwandlung des Neuwerdens möglich ist. Das zeigt uns das Samenkorn, das haben wir alle erfahren in unserer ersten Heimat im Mutterschoß. Diese Erfahrung hat Jesus auch gemacht in seinem Leiden am Kreuz und seiner Auferstehung. Wenn wir dies mit einbeziehen, dann können wir Jesus im seinem Sinn dienen.

 

An unsere eigene Geburt können wir uns nicht mehr erinnern, geschweige denn an die Zeit davor. Aber wir wissen, dass es eine Zeit von Erfahrungen war, die sich tief in unser Körper-Gedächtnis eingeprägt haben. Wir kommen alle aus dieser tiefen Verwandlung von der befruchteten Eizelle zum Neugeborenen Menschenkind hervor.

 

Ich möchte aber jetzt besonders alle unter Ihnen, liebe Gemeinde, ansprechen, die in den Kriegs- und Fluchtjahren geboren sind. Diejenigen unter Ihnen, die im Krieg oder auf der Flucht oder in anderen lebensfeindlichen Situationen im Schoß ihrer Mutter die Ängste spürten und in verzweifelten Situationen auf die Welt kamen, Sie spüren vielleicht immer noch Ängste und sind sich dann oft nicht dessen bewusst, dass die Ursache so weit zurück liegt. Das haben wir lange verdrängt, aber im Alter, in der Ruhezeit des Rentendaseins kommt es bei vielen wieder hoch. Ein Mann, der seinen im Krieg gefallenen Vater nie gekannt hat, schreibt: „Bewältigen – so hieß früher das Schlagwort – kann man diese Vergangenheit nicht, wohl aber überwachsen in der Neugestaltung des Lebens. Das heißt für mich: nicht mehr zu hadern, Neugier auf das Leben zu entwickeln und gerne zu leben.“

 

Es ist ein Trostwort, das Jesus uns hier schenkt: Die Dunkelheit in der Erde, diese Tiefe, durch die Jesus wie jedes Samenkorn gegangen ist, wird von Gott verwandelt in die

Auferstehung, in den Anfang eines großen fruchtbaren Lebens. Wenn wir so unsere Ur-Ängste verstehen und annehmen können, dann können wir aus der Hoffnung leben, dass wir mit Jesus auch unser ganzes Leben als Fülle der Frucht sehen.

 

Wie aber verstehen wir nun die letzten Verse unseres Predigttextes? Es heißt dort:

 

Alle, die ihr Leben lieben, verlieren es; und alle, die ihr Leben in dieser Welt hassen, werden es bis in das ewige Leben bewahren. Die mir dienen, sollen mir folgen; und wo ich bin, dort werden auch die sein, die mir dienen. Alle, die mir dienen, die wird Gott ehren, weil sie – die Gottheit – mein Ursprung ist.“

 

Jesus ist durch die Todesstunde ins Leben aufgestanden. Jesus ist im Sterben neu geboren worden. Dies sagt Petrus ganz direkt in einer Predigt, die die Apostelgeschichte uns überliefert hat. Er verwendet dabei auch das Bild von der Geburt und den Schmerzen der Geburts-Wehen: Jesus wurde auferweckt, so Petrus, indem Gott die Wehen des Todes gelöst hat. (Apg 2,24). Welch ungewohntes und doch so lebensnahes Bild!

 

Und nun lade ich Sie ein, mit mir noch einen Schritt weiter in den Predigttext zu gehen und das Geheimnis unseres Daseins zu betrachten:

Denn auch dieses entspricht der tiefen Erfahrung von Geburt und Tod, von Geborenwerden und Sterben: Wir sind nicht selbst diejenigen, die das machen, dass wir ins Leben kommen und aus dem Leben gehen. Wir sind eingebunden in das Schöpfungsgeheimnis Gottes, der – oder die, denn Gott ist nicht auf das männliche Geschlecht festgelegt – unser Ursprung ist. Wenn wir unser Leben von da her begreifen, dann verlieren wird unser Ich. Und was gewinnen wir stattdessen? Wir gewinnen die Beziehung zu Gott, wir gewinnen den Glanz, der von Gott kommt, wir gewinnen das ewige Leben. Es beginnt so schon hier und heute. Und so dienen wir Jesus und folgen ihm nach.

Damit ist der Kreis geschlossen: Die Menschen, die zu Jesus wollten, begreifen es: Die Erfahrung von Sterben und Geborenwerden verbindet uns mit Jesus und zusammen mit Jesus verbindet es uns auch mit Gott.

Jetzt haben auch wir, die wir mit Ängsten ins Leben geboren wurden, den Mut dazu: Wir lassen uns aus der Dunkelheit unserer Ängste verwandeln und können nun vielfältige Frucht wachsen lassen.

 

Der Glaube und die Hoffung und die Liebe machen es uns möglich. Dafür danken wir dir, Jesus Christus!

Amen