Helen Schüngel-Straumann: Meine Wege und Umwege. Eine feministische Theologin unterwegs. Autobiografie, Ferdinand Schöningh, Paderborn 2011
€ 24,90/sFr 35,90, ISBN 978-3-506-77196-4
Das Buch liest sich streckenweise wie ein Krimi: Komplotte, Intrigen, Demütigungen, Prozesse musste Helen Schüngel-Straumann von Professoren ertragen und durchstehen. Sie nimmt kein Blatt vor den Mund. Das war in den 70er Jahren.
Helen Schüngel-Straumann, Schweizerin, multilingual, katholische Theologin, Dozentin in Bonn, Professorin in Kassel für AT und Bibelwissenschaften. Sie ist Pionierin: erste Promotion eines Laien (sic!) an der katholisch-theologischen Fakultät in Bonn, erste Frau in zahlreichen Gremien, erste Alttestamentlerin mit feministischer Fragestellung unter Einbeziehung der Wirkungs- und Rezeptionsgeschichte. Ihre ersten Themen: Gen 1-3, Gottebenbildlichkeit der Frau, Eva, Hosea 11, ruach, Tobit, alles basiert auf sehr gründlichen vorurteilsfreien Exegesen und ist bereits veröffentlicht. Von 1987 bis 2001 ist Helen Schüngel-Straumann Professorin in Kassel, eine Zeit der fruchtbaren katholisch-evangelischen Zusammenarbeit mit der Neutestamentlerin Luise Schottroff.
In den 80er Jahren dann der große Aufbruch: Frauenforschung – Perspektiven feministischer Theologie in den Fakultäten und dann hinaus in die Kirchenlandschaft mit Frauenthemen: Frauen in der Bibel, in der Kirchengeschichte, Frauen in der kirchlichen Arbeit, Gottesbilder in der Bibel. Überfüllte Hörsäle, Akademien, Tagungshäuser. Helen Schüngel-Straumann gründet zusammen mit Elisabeth Moltmann-Wendel, Elisabeth Gössmann und anderen Netzwerke, so auch die Europäische Gesellschaft für theologische Forschung von Frauen (ESWTR) 1986 in Magliaso/Tessin (urspr. in Boldern geplant). Als deren Präsidentin 1995-1997 hatte sie ein Gespräch mit dem damaligen Kardinal Ratzinger in Rom, um dem nihil obstat für fünf jüngere Wissenschaftlerinnen den Weg zu bereiten. Ratzinger betonte, dass die Männlichkeit Jesu „essentiell/theologisch zentral“ sei. Erlösungswerk und Kreuzigung „wären einer Frau nicht zumutbar gewesen“. Helen Schüngel-Straumann schreibt dazu: „Dieses Argument – in Anbetracht dessen, was Frauen in der Geschichte schon alles zugemutet wurde – hat mich fast vom Stuhl gerissen.“ Das nihil obstat wurde im folgenden halben Jahr für vier der fünf betroffenen Theologinnen erteilt! Trotz aller Kritik – als Jugendliche war ihr sehnlichster Wunsch, Priester zu werden und klagte, dass sie nur ein Mädchen sei, – bleibt die Kirche ihre Geborgenheit und spirituelle Heimat.
Von ihren zahlreichen Veröffentlichungen und Mitherausgeberschaften seien besonders erwähnt: Herders Theologischer Kommentar zu AT, das Jahrbuch der ESWTR, das Wörterbuch der Feministischen Theologie, auch die 2. Auflage, und das Kompendium Feministische Bibelauslegung.
Höhepunkte ihres Wirkens sind Tagungen auf Burg Rothenfels, die Salzburger Hochschulwochen, Reisen nach Tokio für die Festschrift zum 65. Geburtstag von E. Gössmann, nach Jerusalem zu Fachkongressen, ihr 60. Geburtstag in Freiburg unter dem Motto Ruach: Geistkraft schafft Atemraum! und die Festschrift zu ihrem 65. Geburtstag mit 40 Beiträgen: Gott bin ich, kein Mann, das Thema ihrer ersten Arbeiten über Hosea 11.
Helen Schüngel-Straumann schreibt von persönlichen Erfahrungen in der Kindheit, mit der eigenen Familie oder von ihren Wanderungen in den Alpen. Empfindungen bringt sie auch in kurzen Gedichten zum Ausdruck, in Nachdichtungen von Bibeltexten oder in Träumen.
Mit dem Ruhestand ab 2001 verwirklicht sie die Gründung ihrer Stiftung von 1996 (www.feministische-theologie.de), die eine Bibliothek für feministische Forschung tragen wird. Diese konnte sie im Zentrum Gender Studies an der Universität Basel einrichten und dort angliedern, sodass sie auch später Bestand haben wird. Nachlässe sind eingegangen von Herlinde Pissarek-Hudelist, der ersten Theologieprofessorin und Dekanin in Innsbruck, von Marga Bührig, deren Biografie Spät habe ich gelernt, gerne Frau zu sein für viele Frauen das Tor geöffnet hat zum eigenen Weg, von anderen bekam sie Bücher, so von Ursula King, der weltweit renommierten Religionswissenschaftlerin aus Bristol/UK.
Helen Schüngel-Straumann wusste schon als Elfjährige „Ich bin allein und muss mir selbst helfen,“ nur ein Pater, eine Art Seelenführer oder Spiritual Director hat sie über Jahre beraten und so unterstützt. Sie weiß früh, dass sie „der Sache auf den Grund gehen will.“ Doch gab es keine Vorbilder. Manchmal kommt Bitterkeit hoch über die Verletzungen und Demütigungen, aber „Die Räume wurden immer weiter“ – so kann sie über die Theologie hinaus für Menschenrechte zusammen mit Juristinnen, Historikerinnen und Gleichstellungsbeauftragten kämpfen.
Das Buch bietet jungen Frauen und Männern die Chance, einen Einblick in die Arbeit (nicht Vorarbeit!) der Pionierinnen und der Gestaltwerdung der feministischen Theologie, des Ökofeminismus und der Befreiungstheologie zu gewinnen. Für uns Gleichaltrige ist es bewegend, immer wieder Bezugspunkte zu den eigenen Erfahrungen in Familie und in der Wissenschaft zu entdecken oder die Armut bis in die Studentinnenzeit: Reisen war nur per Autostop möglich.
Helen Schüngel-Straumann lebt nach einigen Jahren im Münstertal/Schwarzwald jetzt wieder in Basel, wo sie einst zur Schule ging.
Hanna Strack
Siehe auch: www.schlangenbrut.de