Hanna Strack » Lübeck in den 30er Jahren: Kirchenkampf

Meine Mutter schrieb aus ihrer Heimat Lübeck an meinen Vater, ihren Verlobten:

 

Lübeck, 1.4.31

 

… nur werden die Sorgen um Deutschlands Zukunft immer größer. So unruhig wie augenblicklich, wenigstens hier in Lübeck, war´s wohl noch kaum. Jeden Tag ist wieder was Neues los. Der Staat macht oder ist schon bankrott, wie viele Geschäfte stehen kurz davor – immer größer wird die Not der Arbeitslosen. 17 Jahre lebt das deutsche Volk schon in Unruhe und – Unfrieden. Welches ist der Weg, den Gott es gehen lässt? Damit einige unter ihm den inneren Frieden erfassen + grad´ in der Zeit der äußeren Not + Unruhe Zeichen dafür sein sollen, daß noch eine „Ruhe vorhanden ist dem Volke Gottes?“

Wenn man nur an das nationale Wohl Deutschlands in der Zukunft denkt, kann man wohl das Grausen kriegen. Wie lange werden wir den Feind noch abwehren können, der von außen kommt? Und wann wird der Teufel die Macht haben innerhalb des Landes sein Unwesen mit Lust + Gier treiben zu können? Ob´s noch eine Spanne Zeit dauern wird – oder vielleicht liegt sie schon ganz nahe?

Du, glaub´ nicht, Karl, daß ich verzagt sei oder irgendwie Angst hätte. Angst -? Was heißt das? Die Angst verschwindet so bald wir einen festen starken Glauben haben, der uns nicht von Jesus trennen kann. Aber etwas Unmenschliches ist es nicht, Angst haben – müsste doch auch Jesus mit sich kämpfen bis er sagen konnte: Vater nicht mein, sondern dein Wille gescheh! Und das werden auch wir erleben müssen, wenn es einmal ganz traurig in Deutschland aussehen wird – wenn der Kommunismus uns herrschen wird – oder der Krieg uns erklärt wird!

 

5.3.33 aus dem Blindenheim in Wertheim

Denk mal, unsere kl. Jüdin wurde gestern plötzlich von ihren Eltern abgeholt per Auto. Sie hat über Heimweh geklagt und nun waren die Eltern besorgt. Das waren Juden, bes. d. Mann, vor denen man die höchste Achtung haben muss.  Im Sommer soll sie wiederkommen …

Ich habe Liste 8 gewählt. Ich glaube, Karl, letzten Endes kommt es doch auf die an, die für ihr Volk bitten.

 

3.10.33

Da meinte Vater in einer Unterhaltung, er trüge sein Naziabzeichen nicht bei der Kundschaft, weil nicht alle Kunden so eingestellt seien u. es ihm dann nur schaden könnte. Wie ich darauf sagte, ebenso sei es auch nicht recht, dass ein Pastor bei einer Kundgebung der „Deutschen Christen“, also bei einer kirchl. Angelegenheit, in Nazi-Uniform+Hakenkreuz erschienen, da wurde Vater fast bös auf mich, denn das sei was anders + der Mann handle nur „praktisch“, denn in der heutigen Zeit hätten sich alle Beamten + Staatsangestellten danach zu richten, wenn sie ihre Existenz nicht verlieren wollten + ein Familienvater hätte sich zu allererst darum zu kümmern.

 

27.9. Freitag

Gestern Abend waren Mutter u. ich in einer Kundgebung der „Deutsch. Christen“. In der Pause bat ich M., wir möchten doch weggehen. Das missfiel ihr natürlich sehr. Wie oberflächlich geht doch alles  zu!

Immer dieselben Lieder: Ein feste Burg, … Nun danket alle Gott … Deutschland über alles … Horst Wessel Lied. Die Rede von Pastor Ludwig Beckemeier (St. Petri) glich im Großen u. Ganzen der von Pastor Helmut Johnsen. Was wird aus der Kirche?

 

4.10.33

Nach dem Gottesdienst bei Pastor Erwin Schmidt: …

Die Predigt war ja so fein. Er blieb nicht bei Volk+Kirche, sondern führte seine Worte Durst nach der Wahrheit.

Eben machte ich im Pfarrhaus noch einen Besuch: Pfarrer Schmidt ist von den Dtsch. Christen angeklagt wegen einer Predigt (vor 3 Wochen) in der er für die betete, die im Konzentrationslager sind!! Weißt Du, dass Bodelschwingh aufgerufen hat zu einer Art „Bruderkreis“? Hast Du von einem Prof. Hauer aus Tübingen gehört, der den Dtsch. Christen zu gerufen hat: „Ihr habt ja Euren eigentliche Sendung noch gar nicht erfasst, Ihr müsst doch das germanische Freiheitsideal ins Volk hineintragen. Das ist Eure Berufung.“ Nun also müssen sich die „nat.social. Pfarrer“ verantworten, die kommen jetzt ja in furchtbare Konflikte. – Pf. Schmidt ist von Senator Emil Bannemann als sein Mitarbeiter im Winterhilfswerk (gebeten) berufen + und sind ja die Dtsch. Christen außer sich, dass sie nicht einmal „danach gefragt“ wurden. Wegen der Anklage hat er sich an Bodelschwingh gewandt, auch wegen seiner Unterredung mit Joachim Hossenfelder,+ B. antwortete er solle ganz ruhig sein, es sei unmöglich, dass sie ihn deshalb was anhaben können. Pastor Johnsen hat zu Schmidt, nach einer langen Unterhaltung, gesagt: „Werde man Dtsch. Christ, dann kannst Du alles sagen!“ –Viele Menschen, die sich bisher gar nicht um ihren Glaubensstand gekümmert haben, wachen jetzt auf, weil sie zur Entscheidung aufgefordert werden ohne es selbst zu merken.

 

15.10.33

Vater war gestern Abend über Hitlers Rede recht beglückt + nachher ganz vergnügt, wie lange nicht. In der letzten Zeit war er nämlich etwas gedrückt.

 

23.10.33

Gestern – Sonntag … morgens waren Mutter + ich zur Kirche bei Pastor Werner Greiffenhagen. Er hielt seine Predigt in der Hauptsache an die Konfirmanden, die in der letzten Woche die 1. Stunde hatten. Es war eine feine Predigt: „Wachet, steht fest im Glauben, seid männlich u. seid stark.“

 

6.11.33

Da ich am St. Jürgenring eine Besorgung zu machen hatte, ging ich bei Pastor Georg Schaade vorbei (den wir vergeblich aufsuchten) + wollte ihn fragen, wann er Zeit hätte, mit einmal näheres über das Wesen +Wollen der „Dtsch. Christen“ zu sagen. Wir kamen dann aber gleich in ein sehr lebhaftes Gespräch, das wohl über 1 Stunde dauerte. – Dabei hab` ich dann herausgemerkt, dass er selbst recht unsicher ist, auch wohl etwas gequält. Eigentlich tat mir der Mann leid. Schade ist es,

 

31.1.1934

Donnerstag,

inzwischen höre ich wieder so manches über die kirchl. Vorgänge. Die „Deutsche Nationalkirche“ würde wohl in Jahresfrist gegründet sein oder werden. Was machen wir dann? Falls Du mal ein Angebot ins Ausland bekommst, Schatz, weise es nicht einfach von der Hand. Vielleicht wird es einmal die einig-mögliche für Dich sein, wenn Du im amt bleiben willst! Pastor Schmidt u. noch 3 weitere Pastoren stehen vor der Entlassung! Am letzten Sonntag wurde er vor 2 Senatoren u. Pastor Alfred Stülken geladen u. sollte sich rehabilitieren als Leiter des Notbundes in Lübeck. Währenddessen u. als er schon wieder 1 Std. im Haus war, haben 3 Kriminalbeamte das Haus bewacht + die Telefongespräche werden noch jetzt kontrolliert! Abends haben dann alle 14 Pastoren des N.B. erklärt, dass sie geschlossen hinter Schmidt stehen + alles mit ihm tragen wollen! Über die Besprechung zwischen Hitler, Göring, Reibi + den Bischöfen muss man ja leider wieder sehr enttäuscht sein. Warum konnten denn nicht mal die Bischöfe wie Simon Schöffel, Julius Kühlewein + Hans Meiser fest bleiben? O, der Herr wird noch viel auf seine Herde laden müssen.  Hast Du die „Junge Kirche“? In einer schwedischen Zeitung „Svenska dagblad“ hat gestanden, Hitler hätte den Reibi beurlauben wollen, aber Göring

 

Hier bricht der Brief ab. Die Namen wurden mit den Vornamen ergänzt.