Interview mit Maria Magdalena:
Maria Magdalena, hattest du keine Angst, als du zum Grab gingst?
Meine Verzweiflung war größer als meine Angst. Ich konnte ja nicht wissen, was mit mir geschehen würde.
Was ging in dir vor?
Unsere ganze hoffnungsvolle Bewegung war unter dramatischen Umständen und unter Qualen zu Ende gegangen. Unsere Gemeinschaft war wie zerschlagen, viele versteckten sich aus Angst. Und bedenke: den ganzen Freitag hatte ich am Kreuz ausgeharrt, hilflos musste ich dem Sterben Jesu zusehen.
Was sollte nun aus dir und aus der Gemeinschaft der Jüngerinnen und Jünger werden?
Unser geistiger Mittelpunkt und Vordenker war weg, aus unserer Mitte gerissen. Durch den Verrat eines von uns…. Und für mich selbst bedeutete Jesus noch viel mehr. Erinnere dich: Er hatte mich von sieben Dämonen befreit, von Angst, Depression und Verzweiflung.
Was wolltest du am Grab?
Ich hätte wenigstens noch in Ruhe Abschied nehmen wollen, ihn salben, den Liebesdienst an einem Toten verrichten.
Doch die Leiche war einfach weg – nicht mal mehr Abschied konnte ich nehmen, nicht die Leiche bestatten – Ich habe nur noch geweint.
Und dann, als du seine Stimme hörtest, „Maria“ sagen?
Meine Augen hatten ihn erst nicht erkannt, aber mein Herz ließ mich nicht zweifeln. Schlagartig war mir klar, wer er ist –Jesus, mein Rabbi.
Ich wusste: meine Beziehung zu ihm ist nicht zu Ende, sie geht auf einer völlig anderen Ebene weiter. Die Sorge, dass nichts mehr nachkommt und alles zu Ende ist, ist von mir und auch von den anderen genommen.
Und ich empfinde es als eine besondere Geste von Jesus, dass ich, die am Kreuz bis zuletzt bei ihm war, auch die erste bin, die ihn lebendig begegnete. O, diese Stunden zwischen Sterben und Auferstehung!
Aber hattest du nicht Sorge, dass die anderen dich für verrückt erklären würden?
Darüber habe ich nicht nachgedacht. Aber ich befand mich in einem seelischen Ausnahmezustand. Ja, deshalb habe ich wohl auch Engel gesehen, die ja Petrus und Johannes nicht gesehen haben. Eine totale Erleichterung und Verwirrung zugleich.
Du bist dann zu den anderen gegangen und hast ihnen gesagt: „Ich habe Jesus den Lebendigen gesehen.“ War das nicht gefährlich?
Nicht einen Moment habe ich gezweifelt, dass ich den anderen erzählen muss, was ich gesehen hatte. Natürlich, ich konnte nicht wissen, wie die Herrschenden reagieren würden, wenn der, den sie wie einen Verbrecher kreuzigen ließen, nun von den Toten auferstanden war.
Und wie haben die anderen aus der Jesusbewegung reagiert auf Deine frohe Botschaft?
Sie haben gedacht, ich sei nicht ganz bei Trost, ja wirklich. Aber im Gegenteil: Ich war ja getröstet!
Maria Magdalena, was möchtest du uns heute und hier sagen?
Ich kann euch sagen, was ich erlebt habe. Ich war dem sterbenden Jesus treu geblieben und habe mit ihm in seiner Folter am Kreuz gelitten. Ich habe ihm die Treue gehalten auch über den Tod hinaus.
Ich habe den Mut nicht verloren, ihn öffentlich zu betrauern. Dass ich ihn als Erste nach seiner Auferstehung sehen durfte, war meine ganz persönliche Gotteserfahrung. Sie hat mich ins Leben, in die Zukunft gerufen.
Ich wünsche euch, dass ihr immer genug die Fantasie habt, mit der ihr eure persönliche Resignation und auch die Ängste überwinden könnt. Eure Ängste und Sorgen sind anders als die Meinen.
Und ich wünsche euch, dass ihr die Ausdauer habt, eure Einsichten auch überzeugend und geduldig zu vertreten.
Danke, Maria Magdalena, für dieses Gespräch. Wir danken dir dafür, dass du uns zeigst, wie Gottes Macht und Gottes Licht wirkt in der Verzweiflung und in der Trauer im Tod. Mit dem, was du sagst, bist du eine Prophetin für unsere Zeit!
Text: Katrin Kuchmetzki, Hanna Strack