Eine Predigt über Genesis 21,14-19 und 16, 13+14 in Erzählform:
Das Bild zeigt aus der Decke der Heilig-Geist-Kirche in Wismar, wie der Engel Hagar weckt, um ihr die Wasserstelle zu zeigen.
Ich werde Abrahams Blick nicht vergessen. Er hatte schon Ismael und mich zum Abschied umarmt und war einige Schritte gegangen, als er sich noch einmal nach uns umdrehte, seine und meine Augen begegneten sich ein letztes Mal.
Schnell nehme ich Ismael, unseren Sohn, fest bei der Hand, rücke den Wasserschlauch auf meiner Schulter zurecht und orientiere mich an der aufgehenden Sonne. Wir steigen in das erste Tal hinunter, ein ausgetrocknetes Flussbett. Ich will die Oase erreichen, die auf dem Weg zu meiner alten Heimat, Ägypten liegt. Erinnerungen steigen in mir hoch von Abschiedstanz mit den Priesterinnen, vom Aufbruch der großen Sippen und Herden, von Saras ersten Anweisungen an mich, ihre persönliche Sklavin.
Mutter schau! Ismael bleibt wie angewurzelt stehen: Vor unseren Augen streift eine Schlange an einem Geäst ihre Haut ab. Wir hören das leise Knistern und bewundern die leuchtenden Farben ihrer neuen Haut. Ob wir auch einmal solch ein neues Leben beginnen können?
Dann trinken wir und essen und nach kurzer Rast wandern wir weiter durch die Wüste.
Gegen Abend kommen mir die ersten Zweifel. Habe ich den Stand der Sonne etwa falsch eingeschätzt jetzt in dieser Jahreszeit? Müssten wir nicht schon bei der Oase sein? Haben wir sie verfehlt? Drehen wir uns etwas im Kreise? Wir trinken den letzten Schluck aus dem Wasserschlauch. Ich merke, dass Ismaels Kräfte nachlassen. Ich werde sehr unruhig. Der Junge weint leise. Mama, ich kann nicht mehr! Auch meine Kräfte schwinden.
Jetzt kann ich nicht mehr. Ich setze Ismael in den Schatten eines dürren Strauches. Ich kann sein Wimmern nicht mehr anhören, es ist fürchterlich. Und ich lege mich ein Stück entfernt in den Sand.
Ich träume von damals, als mich eines Abends Sara ansprach. Sie sagte, dass sie kein Kind bekommen habe bis jetzt und es wohl nichts mehr wird. Aber Abraham braucht ein Erbe. Deshalb wird er zu mir kommen, sagt sie. Sie wirkte sehr bedrückt. Bitte lass ihn zu dir und schenke uns einen Sohn!. Ich dachte damals, wie verrückt doch die Welt ist. Warum unbedingt ein Sohn?
Und dann habe ich Ismael geboren, auf dem Schoß der Sara sitzend. Es war ihr und Abrahams Kind. Und dann plötzlich wurde sie doch noch schwanger… ach ja, Probleme zwischen uns Frauen gab es dann schnell.
Ich war so elend und müde, spürte meine ganze Hilflosigkeit und bereitete mich aufs Sterben vor, müde, kraftlos, erschöpft.
Ich muss wohl eingeschlafen sein. Denn plötzlich sehe ich ein Glitzern in der Abendsonne, als ob Wasser sich kräusle. Ich höre ein leises Rauschen. Wasser! Es fährt mir in die Glieder! Ich schleppe mich dahin, wo das Glitzern und Rauschen her kam. Wasser! Aus Müdigkeit und vor Angst hatte ich es wohl nicht gesehen! Wer hat mir die Augen geöffnet dafür? Welcher Engel ist mir erschienen? Will Gott nicht, dass wir untergehen? Will diese Gottheit, die mich sieht, dass wir leben?
Ich netze meine Lippen, dann fülle ich ein wenig Wasser in den Schlauch und gehe rüber zu meinem Kind, das bewusstlos da liegt. Mein Kind, wir werden leben! Ismael spürt das Wasser auf seinen Lippen, öffnet die Augen und wir umarmen uns.
Dann knien wir im Sand und rufen leise:
Du, Gott, du Sehender, du hast uns in unserer Erschöpfung gesehen!
Gott, du Hörender, du hast unser Weinen und Wimmern vernommen!
Gottheit, du sehende und Hörend, du Lebensquell, führe uns durch die Wüste und schenke uns Zukunft!
Und dann tanzen wir erst langsam und immer schneller vor lauter Lebenslust und Freude!