Hanna Strack » Gender Religion Bildung

Annebelle Pithan/Silvia Arzt/Monika Jacobs/Thorsten Knauth (Hg.): Gender Religion Bildung.

Beiträge zu einer Religionspädagogik der Vielfalt, Gütersloher Verlagshaus 2009  ISBN 978-3-579-08093-2

Eine Veröffentlichung des Comenius-Instituts

 

Es ist eine erstaunliche Leistung der letzten dreißig Jahre, die Religionspädagogik aus feministischer Sicht, genauer aus der Gender-Perspektive, einer umfassenden Revision unterzogen zu haben.

Das Comenius-Institut, Münster, hat nun ein interkonfessionelles Standardwerk für die religionspädagogische Theorie und Praxis unter der Leitung von Annebelle Pithan, Silvia Arzt, Monika Jacobs, Thorsten Knauth, veröffentlicht, das den heutigen Stand dokumentiert und Impulse für die Herausforderungen der Zukunft gibt. Eine Rezension kann der Fülle der Themen kaum gerecht werden.

Der 1. Teil umfasst sechs Aufsätze zu den Grundlagen, so u. a. Gisela Matthiae über Genderdiskussion und Geschlechterverhältnis, Ina Praetorius zu ethischen Reflexionen. Annette Mehlhorn weist in ihrem Aufsatz „Unterschiede als Brücke für Begegnung“ hin auf das Sara-Hagar-Projekt, das vom Hessischen Sozialministerium angeregt wurde. Thorsten Knauth greift die bisher kaum beachtete Perspektive von Jungen in der Religionspädagogik auf. Die Männerforschung ist ja relativ neu gegenüber der feministischen Theologie.

Der 2. Teil ist Rückblicken gewidmet. Annebelle Pithan diskutiert neue Perspektiven für die Historiographie oder Anke Edelbrock stellt Arbeitsbedingungen und Selbstverständnis von  Religionslehrerinnen in Kaiserreich und Weimarer Republik vor.

Glaubenswelten ist der 3. Teil überschrieben. Hier werden in sieben Beiträgen u. a. Gottesvorstellungen (Christine Lehmann), Frauenspiritualität (Edith Franke/ Verna Maske) und männliche Identitäten (Rainer Volz) beschrieben.

Das Konzept der gendergerechten Religionspädagogik ist zugleich der Vielfalt, der Heterogenität, Gerechtigkeit und Anerkennung verpflichtet und versteht sich kontextuell. So ist der 4. Teil mit vier Beiträgen den Lebenstexten gewidmet, die jeweils um biblische Texte kreisen, so schreibt Silvia Arzt  über Bibel lesen als Mädchen, als Junge.

Es folgen im 5. Teil mit sechs Aufsätzen die Bildungsorte, wie Kindergarten, katholische Kinder- und Jugendverbandsarbeit, Schule und Kirche, Geschlecht und Schicht in der katholischen Verbandsarbeit, sowie Kerstin Söderbloms Beitrag zu den Herausforderungen jenseits der Heteronormativität, den sie im letzten Teil fortführt als Traingingskurs für christliche Lesben und Schwule in Osteuropa.

Im 6. Teil, der sich als Werkstatt versteht, wird es noch konkreter. Unterrichtserfahrungen, auch aus Österreich und der Schweiz, werden vorgestellt. Sybille Becker zeigt in einem leib-körperlichen Gender-Spiel die Umsetzung einer Vielfalt von Geschlechterrollen am Gleichnis „Vom verlorenen Sohn“: Gott ist wie eine Galerie von Bildern. Globales Lernen und interreligiöse Gastfreundschaft sind weitere Praxismodelle. Alexander Schroeter-Reinhard beschreibt eine geschlechtersensible Firmvorbereitung am Beispiel der neuen Medien.

Am Schluss jedes Kapitels steht eine umfangreiche Literaturliste.

Geschlechterbewusste Bildung, die das Unverfügbare zum Thema hat, kann nicht in einem geschlossenen Konzept eingefangen werden. Sie arbeitet mit Fragmenten und Brüchen in den kognitiven, affektiven und ästhetischen Dimensionen. So wird auch der inneren Komplexität der sexuellen und theologischen Ideale von evangelikalen Jugendlichen Rechnung getragen. Dies ist für unsere Gesellschaft eine Zukunft weisende Aufgabe.

Es können hier nur wenige der sechsunddreißig Einzelbeträge genannt werden. Sie zeigen jedoch, dass dieses Buch eine Schatzgrube ist für eine neue Sprache, für Einsichten in die Geschlechterdifferenz, Reflexionen über die Entwicklung der Sensibilität in den letzten fünfzig Jahren und Praxisentwürfe, die dem eigenen Anspruch an Vielfalt gerecht werden. Eine weiter führende Frage ist noch zu stellen, nämlich wie denn neben den Themen Entwicklungspsychologie, Sozialisation und Unterrichtsgestaltung auch die korporale Geschlechterdifferenz in der Religionspädagogik lebensweltlich und theologisch zu verstehen und zu vermitteln sei ohne einem Biologismus zu verfallen.

Dem Gütersloher Verlagshaus ist ein Dank auszusprechen für die Veröffentlichungen des Kompendiums feministische Bibelauslegung, für das Wörterbuch der feministischen Theologie und nun für dieses Standardwerk gendergerechter Religionspädagogik.

 

Hanna Strack, Pinnow/Schwerin