Hanna Strack » Geburt im KZ Birkenau

Diesen Artikel hab eich im internet gefunden, ich konnte die Quelle nicht ermitteln, bitte aber, falls Sei es wissen, es mir zu melden:

 

 

Geburt im KZ

 

Wir schreiben das Jahr 1942. Birkenau, das Konzentrationslager, wo Schmutz, Ungeziefer und Seuchen einander die Waage halten. Dunkel und voll Schlamm sind die Pferdebaracken, in denen wir wohnen und leben. Leben? Es ist Nacht. Wer um diese Zeit durch das Lager geht, hört das verzweifelte Weinen und Stöhnen der Frauen, die zu zehn und zwölf in den Kojen aufgestapelt sind; aufgestapelt im wahrsten Sinne des Wortes, denn zum Nebeneinanderliegen reicht nicht der Platz aus. Gib Acht, wenn du gehst, wohin du deinen Fuß setzt, damit du nicht über die Leichen fällst, die rings um die Blocks in Massen auf der Erde liegen. Störe sie nicht, lass sie schlafen – ihr Kampf ist zu Ende. Komm mit mir in den Krankenbau, ich werde dir ein Bild zeigen, das du nie vergessen wirst. Halte die Tür fest, damit der Wind sie dir nicht aus der Hand reißt. Und wundere dich nicht. Du darfst dich hier über nichts wundern.

Da liegt eine Frau auf der Erde. Sie hat ihre Zähne fest aufeinander gebissen. Ihre Hände suchen Halt im Schlamm, den man hier Fußboden nennt. Dicht daneben siehst du eine Pflegerin, die Zeitungspapier in der Hand hält und Stück für Stück anzündet. Warum tut sie das, will sie die Baracke in Brand setzen? Nein, sie leuchtet nur. Den hier wird ein Kind geboren, und mehr Licht haben wir nicht.

Du musst dir alles genau anschauen, und du wirst sehen, dass die Frau ohne Decke und ohne Laken im Schmutz der Erde liegt, sehen, dass kein Becken mit Wasser daneben steht, denn Wasser haben wir nur wenn es regnet.

Du darfst nicht vergessen, die junge Ärztin anzuschauen, die neben der Frau kniet und ihr hilft. Hast du schon einmal soviel Verzweiflung in einem jungen Gesicht gesehen? Sie trägt keinen weißen Kittel, ihre Hände stecken nicht in sterilen Gummihandschuhen, aber dafür hat sie den Kopf kahl geschoren, und ihr Gesicht ist nicht nur in dieser Nacht so bleich und verzweifelt. – „Ich kann keine kleinen Kinder mehr sehen“, hat sie mir gestern gesagt. Verstehst du nun, warum? Und nun gib Acht, das Kindchen will gleich da sein.

Und die Frau auf der Erde gräbt ihre Hände noch tiefer in den Schmutz, und schreit – schreit. Die Ärztin kniet vor ihr, arbeitet schnell und geschickt mit ihren jungen mageren Händen. Noch ein letzter Schrei, ein letztes Aufbäumen und das Kindchen ist da. Erschöpft sinkt die Mutter zurück und schließt die Augen … und weint. Schau dich um, und vergiss es nicht.

Sie weinen alle, alle die herumstehen. Kleines, süßes Kind, du kommst nun nicht in eine Wanne mit warmem Wasser. Du wirst nicht in zarte, weiße Windeln gelegt. Du weißt doch nicht, dass wir hier kein Wasser haben und dass wir uns beeilen müssen, denn unser Papier, das uns leuchtet, ist zu Ende. Und du weißt noch nicht, dass morgen in dein zartes weißes Ärmchen spitze Nadeln hineingedrückt werden und eine Nummer zurückbleiben wird, und du dann Häftling Nummer soundsoviel bist.

Wir lieben dich, kleines Wesen. Du wanderst von Arm zu Arm, und wir küssen deine kleinen Füßchen, die eben aus warmer Hülle in Not und Elend gesprungen sind, und das, was du auf deinem Gesicht fühlst ist nicht die Sonne. Es sind Tränen, heiße, bittere Tränen, die wir weinen um dich und vor Zorn über eine Menschheit, die solches geschehen lässt. O.R.

Zeitungsartikel aus der Dresdener Zeitung „Union“ vom 29.9.1946