Hanna Strack » Frauen im Sufismus

Sufismus – der Weg zum Göttlichen in der Religion des Islam


Hier als pdf-Datei: Sufismus

 

 

 

In jeder der großen Weltreligionen finden wir zwei ganz unterschiedliche Glaubenshaltungen, die nahezu gegensätzlich sind:

Die eine sagt: „Gott ist mein Gegenüber, der Schöpfer und Rufer, der mich mahnt, seine Gebote zu erfüllen“. Die andere sieht Gott im Inneren des Menschen: „Gott ist in mir als ein Licht, ich bin mit ihm in Liebe verbunden“.

Dieser zweite Weg hat den Namen „die Mystik“ bekommen. Das Wort kommt von myein und meint „Augen schließen“.

In der christlichen Tradition kennen wir die Mystiker wie Meister Eckhart und Johannes Tauler, wie Mechthild von Magdeburg und Hildegard von Bingen.

Die Religion des Islam aber wird uns in den Medien immer so vorgestellt, als ob sie nur den ersten Glaubensweg kenne: der Gott Allah wird uns als Herrscher vorgeführt, der seine Gläubigen zum Heiligen Krieg aufruft. Der Islam erscheint so einseitig aggressiv, frauenfeindlich, gesetzesstreng.

 

Aber das ist ein verfälschendes Bild vom Isalm. Denn auch er kennt eine starke mystische Tradition. Sie ist uns in den letzten Jahrzehnten besonders durch die Bücher von Annemarie Schimmel wieder näher gebracht worden.

 

Was ist das, der Sufismus? Suf bedeutet Wolle, womit das Gewand der EinsiedlerInnen gemeint ist. Im frühen Mittelalter begegneten sich im vorderen Orient muslimische und christliche Asketen, die als Einsiedler in der Wüste wohnten, um Gott nahe zu sein. Aus diesen Gruppen entstand eine Ordensgemeinschaft, die den Namen Sufismus erhielt.

Damals wie heute wenden sich Frauen und Männer ihrer bisherigen Lebensart ab. Sie suchen sich einen Meister, der sie durch Handschlag aufnimmt. Er leitet sie an in geistigen Exerzitien, durch die sie Gott näher kommen können.

 

So gibt es z.B. in Konia, das in der Türkei südlich von Ankara liegt, das Zentrum des Mevlevi-Ordens. Dieser geht auf einen Dichter im 13.Jahrhundert zurück. Die Andachtsübung der Derwische, so nennen sich die Mitglieder dieses Ordens, besteht aus einem Tanz, der von Flötenspiel begleitet ist. Im drehenden Tanzen löste sich das Ich auf und es gibt kein Hindernis mehr, Gott zu begegnen. „Lachen, Tanz und Freude sind die drei Erzengel, die uns begleiten“, so erklärt ein Ältester die Regeln, nach der sie leben.

 

Vom Meister, von heiligen Frauen und Männern, geht bakara, der geistliche Segen auf die Schüler und Schülerinnen über.

In den mystischen Traditionen der Religionen haben Frauen trotz ihrer traditionellen Unterordnung immer eine bedeutende Rolle gespielt. So auch die Heilige Rabi´a al-Adawiyya von Basra, die um 800 n.Chr. lebte. Sie war eine Sklavin gewesen und war dann den Weg der Gottsuche gegangen. Einmal wurde sie in einer Straße in Basra gefragt, warum sie eine Fackel in der einen und einen Eimer Wasser in der anderen Hand trage und sie antwortete: „Ich will Feuer ans Paradies legen und Wasser in die Hölle gießen, damit diese beiden Schleier verschwinden und es deutlich wird, wer Gott aus Liebe und nicht aus Höllenfurcht oder Hoffnung aufs Paradies anbetet.“ Rabi´a hat in den strengen und herben Orden des Sufismus die Liebe als Weg zur unio mystica, zur Vereinigung mit Gott, eingeführt.

 

In vielen Worten und Bildern beschreiben die Sufis den Sinn dieses Glaubensweges: Sufismus wird nicht erworben durch viel Beten und Fasten, sondern in der Sicherheit des Herzens und der Großmut der Seele.

„Den Geschmack des Honigs kann man nicht beschreiben“. So ist dieser Weg zur letzten Wirklichkeit eine Erfahrung, die alles Wissen, alle Bücher hinter sich läßt. Das Wasser zu kennen, löscht den Durst nicht, du mußt es trinken.

In Deutschland finden wir unter den Moslems den Tasawwuf-Orden, in dem Frauen und Männer Mitglieder sind.

Die Ordensmitglieder treffen sich an Wochenenden zu Meditationen, den dhikr-Kreisen, das sind Runden des Gottesgebetes. Dabei verbinden sie Gebete und Glaubensbekenntnisse, rhythmisch gesprochen und gerufen, mit tänzerischen Körperbewegungen. Durch Hyperventilation erreichen sie so tranceähnliche Zustände.

 

Hanna Strack

 

Gebet der Rabi´a, 8.Jhdt:

O Gott, die Nacht ist vorüber und der Tag dämmert. Wie gern möchte ich wissen, ob Du meine Gebete angenommen oder sie verworfen hast! Deshalb tröste mich, denn Dir obliegt es, mich in diesem Zustand zu trösten. Du hast mir Leben gegeben und hast für mich gesorgt, und Dein ist der Ruhm. Wolltest du mich auch von Deiner Tür vertreiben, ich würde sie doch nicht verlassen um der Liebe willen, die ich in meinem Herzen für Dich trage.