Julia Strecker:
Die spirituelle Dimension einer ganz normalen Geburt
Vor ein paar Tagen hat meine Nachbarin Ina einen kleinen Jungen zur Welt gebracht. Immer wenn Kinder geboren werden, ist das etwas besonderes. Immer wenn ich das in meiner Nähe erleben darf, denke ich dass es einfach zu groß und damit eigentlich auch nicht in Worte fassbar ist… in diesem Fall dachte ich daran, dass ich dir, Hanna, versprochen hatte, etwas zur Geburt meines Sohnes Jacob zu schreiben. Also doch Worte?
Am Anfang war das Vertrauen. Ich war gesegnet von diesem Vertrauen schon während meiner Schwangerschaft. Von dem Moment an, als ich spürte, dass ich ein Kind in meinem Bauch trage, fühlte ich mich wie umgeben von einem Lichtstrahl, der mich auch nicht mehr verlassen hat. Es gab mal eine Situation, um meinen Geburtstag herum, als ich bei mir in der Küche stand und ein großes Fest vorbereitete. Ich kenne mich in solchen Situationen als schnell überfordert. An diesem Tag, an dem ich viele Leute erwartete, überraschten mich mein eigener Gleichmut und dieses tiefe Vertrauen, dass ich von nun an nicht mehr allein bin.
Ich weiß noch, als mich dieser Gedanke das erste mal ereilte, es war als ich die ersten Bewegungen Jacobs in meinem Buch wie schmetterlingshafte Flügelschläge spüren konnte, war ich wie außer mir und zugleich ganz tief bei mir.
Es war ein tiefes Glücksgefühl, das mich ereilte und mich umfing wie eine goldene wärmende Lichtquelle… in allen Zeiten meiner Schwangerschaft gab es diese Lichtquelle, und das, obwohl ich mich in einer höchst komplizierten Beziehung befand und viele Dinge klären musste…
Manchmal gab es natürlich Gedanken an die möglichen Hindernisse und Stolpersteine. Was ist, wenn das Kind behindert ist? Werde ich als Mutter noch auf meine eigenen Bedürfnisse achten? Es gab Momente, während der letzten Monate der Schwangerschaft, in denen mich so etwas wie ein apokalyptisches Zeitgefühl einholte. Was wird sein, wenn das Kind dann da ist? Werde ich noch zu mir selbst und dem, was mir wichtig ist, kommen?
Jacob kam, wenn die Berechnungen gestimmt haben, 10 Tage zu spät. Zwei Tage vor seiner Geburt wurde ich das erste Mal von einer immensen inneren Unruhe gepackt. Ich wollte nicht mehr länger warten. Ich wollte, dass das Kind meinen Bauch verlässt, ich wollte vor allem meinen dicken Bauch nicht mehr, …zwei Tage und zwei Nächte war ich dann in so einer Art Ausnahmezustand. Ich wusste nicht mehr wohin mit mir und begann zu agieren. Alle Register wurden gezogen: eine kleine Joggingtour durch meine Nachbarschaft, ein dickes Glas Rotwein zum Abendessen, tiefgefrorene Himbeeren im Doppelpack und ein kamerunischer Spezialwaldhonig, den mir eine Freundin zur Herbeirufung des Kindes geschenkt hatte.
Und tatsächlich… wenige Stunden nach Einleitung dieses Intensivprogramms setzten die ersten Wehen ein.
Ich fühlte von der ersten Wehe an, dass es gut gehen würde, dass ich keine Angst zu haben bräuchte. Es war wie eine Stimme, die in mir beruhigend auf mich einwirkte, wenn auch von der ersten Wehe an die Schmerzen heftig waren.
Ich lag zunächst atmend und abwartend auf meinem Bett, meine Freundin Marianne, die neben der Hebamme ausgewählte Geburtshelferin war, leistete mir Gesellschaft und wir hatten eine gute und klare vertrauensvolle Atmosphäre im Raum. Es waren ca. drei Stunden, in denen ich in absoluter Gelassenheit und auch einem guten Stück Vorfreude auf meinem Bett lag, zwischendurch sogar noch mal kurz einnickte, bis dann gegen 5.30Uhr, als es draußen schon hell geworden war, die Wehen stärker wurden, so dass wir die Hebamme anriefen, die seit dem Einsetzen der ersten Wehen schon in Rufbereitschaft war.
Sie kam dann mit ihrem kleinen französischen Auto bei mir vorbeigefahren, lud Marianne und mich und unser Gepäck hinein, und wir fuhren dann ein paar Straßen weiter zum Geburtshaus, wo ich in einem geräumigen wunderschönen Zimmer mein Kind zur Welt bringen würde.
Der Raum hatte Jalousien, durch die, so erinnere ich es, recht früh am Morgen schon, die Sonne hineinfiel. Überhaupt ist meine Erinnerung an diesen Morgen, dass die Sonne unermüdlich hell und leuchtend durch die Fensterscheiben fiel und dass wir alle lichtumflutet und -umwoben waren.
Vera, die Hebamme, ließ gleich nach unserem Ankommen das Wasser in die Badewanne laufen. Ich weiß nicht, wie lange ich mich in dieser großen Wanne vom Wasser umspielen und tragen ließ. Die Wehen wurden stärker, und es gab einen plötzlichen Druck in mir, so dass ich auf einmal nicht länger in der Wanne bleiben wollte. Ich hatte einen starken Pressdrang, zugleich aber immer das Gefühl, es handele sich hier um den Darm, der entleert werden wollte. Nachdem Vera mir einen Einlauf gemacht hatte, gab es so eine kurze Phase wie die Ruhe vor dem Sturm, aber dann ganz plötzlich hatte ich ganz schnelle und starke Wehen hintereinander und wusste nicht mehr, wie ich mich halten sollte.
Marianne, die mir die ganze Zeit den Rücken gestreichelt hatte, war mir plötzlich auch zu nah.
Der Vater des Kindes, von dem ich zur Zeit der Geburt schon getrennt war, der aber trotzdem anwesend war, rückte mir auch zu nah auf die Pelle. Ich hatte das Bedürfnis, mich zu verkriechen, irgendwo abzutauchen, aber das ging ja nicht.
Als ich noch mal in die Badewanne gestiegen war, merkte ich, dass auch das Wasser und die Wärme mir zuviel wurden. In dem Moment war mir, als betrete ich einen ganz dunklen Tunnel, und ich wusste noch nicht, ob und wie ich das Licht wieder sehen würde. Ich hatte inzwischen solche schrecklichen Schmerzen, dass ich nur noch wimmerte und schrie. Als ich versuchte, mich wieder in eine hockende Gebärstellung zu begeben, in der ich vorher schon einige Zeit, recht entspannt, verbracht hatte, war mir, als müsse ich sterben, der Gedanke an den Tod war es vielleicht nicht, nein, es war vielmehr dieses Gefühl, dass ich nichts mehr tun kann, was mir hilft.
Ausgeliefert zu sein…aber irgendwie, und das ist eben die essentielle Erfahrung meiner Geburtsgeschichte, nicht verloren, sondern in allem Schmerz geborgen und aufgehoben. Ich erinnere mich noch an einen Moment, als ich mich schier krümmte vor Krämpfen und mich wahnsinnig machenden Stichen, dazu dem immensen Blutverlust, dass ich mich in dem Moment als ich mich am erbarmungsvollsten, elend, nackt und bloß fühlte ein Licht durchs Fenster sah. Es war wirklich ein großartiges Geschenk, vom Licht beschienen, wie erleuchtet und dazu wieder diese innere Stimme, die mir ganz klar zu verstehen gab, dass alles gut wird.
An einem Punkt, ich weiß nicht mehr genau, wann, aber ich weiß noch sehr genau, wie er sich anfühlte, musste ich dann nur noch schreien und hecheln, weil die Wehen so heftig waren, und ich merkte, dass es jetzt gleich so weit sein wird.
Es war in dieser Phase der Geburt schon so, als sei es geschafft. In meiner Erinnerung war von dem Moment an, als ich pressen konnte, das Gefühl der Erleichterung und des großen Vertrauens wie eine Welle durch meinen ganzen Körper. Ich fühlte mich vom Licht beschienen, und obwohl das Herausdrücken des Köpfchens weh tat, war es doch ein wundervoller und ungeahnt starker Moment. Ich konnte mich diesem Gefühl ganz hingeben, und so kam dann auch um 14 Uhr mein geliebter Sohn Jacob auf die Welt. Als dann dieses kleine Menschenwesen auf meinem Bauch lag, habe ich erstmal leise in mich hineingeweint.
Er war schöner, als ich ihn mir je vorgestellt hatte, meerblaue Augen, die zarteste Babyhaut (überhaupt nicht schrumpelig, wie man sich Babies immer so vorstellt). Ich habe bestimmt 10mal seine zehn Finger und die winzigen Fußzehen gezählt und immer wieder vor Rührung geschluchzt, vor Freude und unfassbarem Glück.
Alles weitere wäre eine Geschichte für sich: die ersten Stunden mit diesem kleinen Menschen, der Gang nach Hause(da das Geburtshaus in unmittelbarer Nähe war, gingen wir zu viert nach Hause zu mir), unser großes Festessen auf meinem Bett und die ersten Tage, in denen ich nicht nur wie frisch verliebt durch die Welt lief, sondern auch im absoluten Gefühl von Zeit- und Raumlosigkeit. Es war, als sei die Zeit stehen geblieben, bzw. als haben Zeit und Raum keine Bedeutung mehr. Da ich aber hier nur die Geburt beschreiben sollte, belasse ich es bei diesen Andeutungen.
Noch eine Mini- Geschichte zum Schluss: Von Anfang faszinierten mich die extrem feinen hohen Töne, die Jacob von sich gab. Er piepste und fiepste wie ein Vögelchen, so dass ich in den ersten Tagen und Nächten immer nur „Vögelchen“ zu ihm sagte. Als ich ihn das erste Mal mit in die gegenüberliegende Pizzeria nahm, er war vielleicht eine Woche alt, sagte ich auch „Vögelchen“, als er einen seiner typischen Laute von sich gab. Claudio, der Kellner stand gerade neben mir und sagte: „uccelino“. Bis heute ist das Jacobs Kosename.