Hanna Strack » Briefe von der Front in Wollseifen/Eifel, Januar 1945

Der Förderverein: Wollseifen

Blick auf das“ tote Dorf“: Nationalpark

 

E i f e l / Silvester 1944

 

Hörst Du vom Turm die Glocke hallen?

Sie läutet aus das alte Jahr.

Ich will mit Dir in Demut wallen

zum Haus des Herrn, zu danken am Altar.

 

Hörst Du vom Turm die Glocke hallen?

Sie läutet ein das neue Jahr.

Lass alles Sorgen Dir entfallen:

Gott bleibt getreu, unwandelbar.

 

Hörst Du vom Turm die Heimatglocke hallen?

Sie hat gesegnet einstmals unsern Liebesbund!

Und sollte in den Tod ich fallen,

so tröste Liebste Dich ihr heil’ger Mund!

 

Hör’ dann vom Turm die Glocke schallen:

Sie rief mich in das ewige Friedensjahr.

Sie kündet Dir bei Deinem Erdenwallen

des Herren Heil und Hilfe immerdar.

 

————————

 

Hörst Du vom Turm die Glocke hallen?

Mag sein, sie ruft zum Frieden gar

die Welt, und lässt im Glück mich wallen

bei Dir und unserer Kinderschar.

 

 

Dein Karl.

 

 

 

 

O.U. 1.1.45

Br. Nr. 1

 

Meine liebe Maria!

 

„Stehe mir bei, Herr, mein Gott, hilf mir nach Deiner Gnade“. Betend sind wir beide in das neue Jahr gegangen, und es ist so ungewiss, ob wir beide es wieder beschließen werden. Aber das möge doch die uns begleitende Freude bleiben, solange wir miteinander leben dürfen, dass es ein Leben in herzlicher Liebesgemeinschaft bleibt.

Am Silvester Abend hatte ich noch Arbeit mit der Verteilung von Schnaps und Wein, der so spät zugewiesen wurde, allerdings in solchen Mengen, dass man keinen Rausch davon bekam.

 

Heute muss ich einen Teil noch weiter nach vorn bringen den Kameraden, die an Brücken und anderen Objekten Wache haben. – Um Mitternacht hörte ich Pistolenschüsse knallen, womit sich Kam. belustigten, dann war es still und ich war bei Dir und bei unsern Kindern und bei den Angehörigen.

Der Gedanke, vielleicht einen Gottesdienst halten zu können, ging leider nicht zu verwirklichen; Lt. Jentsch (der schon mal erwähnte 19-jähr. Lt.) bedauerte, dass wir Dienst machen müssten. – Mein unmittelb. Vorgesetzter, Uffz. und Rechnungsführer Otto Schweigert, Tuttlingen, Du kennst ihn ja, war hier zur Löhnung und brachte auch Briefumschläge, leider keine Post. Das heißt doch von Vater vom hlg. Abend! und mit der Nachricht, dass er Dich gesprochen hat am Telefon! So erfahre ich doch indirekt von Dir und Eurem guten Befinden.

Vorhin konnte ich Pf. Heßler einen kurzen Besuch machen. Dabei gab mir Frau Kaufmann, deren Mann ich 1949 in Gemund traf, und Kind auch im Schulkeller wohnen, 2 Tassen Bohnenkaffee und Gebäck. Kaufmanns sind Kölner Ausgebombte. Gestern Abend sollen ja Himmler und Hitler gesprochen haben: „Der Krieg geht weiter – bis zur ehrenvollen Niederlage“; so meinen die Kameraden, die davon gehört haben. Vielleicht bekommt man die Reden noch zu lesen. Es ändert aber nichts an der Tatsache, dass alles hoffnungslos aussieht.

Heute morgen hatte ich wieder zu verwiegen, was nach vorne kommt. Das ist zwar nicht so einfach, wenn man keine Tüten hat. Zum Glück habe ich dafür noch Zeitungen aus dem Pfarrhaus mitbekommen, (woraus sich auch manches Gute lesen lässt, und Du hin und wieder als Ausschnitt erhalten wirst – oder auch nicht, wenn die Post nicht durchkommt.)

 

Langsam muss ich mich richten. Es ist klar und kalt draußen.

 

 

O.U., den 3.1.45

Br.Nr. 2

 

Leider werden so manche liebe Grüße von Dir und mir unterwegs bleiben und nicht ans Ziel kommen; und wir warten doch so sehr auf unsere Grüße! Oder ist es nur der Tod, auf den wir zu warten haben?

Er war heute wieder nahe bei uns und hat uns gemahnt. Aber ich erzähle lieber der Reihe nach; gestern kam ich nicht dazu.

 

Am Abend des 1.1. hatte ich zus. mit Kam. Grießhaber* einen anstrengenden Marsch mit der Verpflegung, die wir auf einen kl. Karren hatten. Es war sternenhell und schön. Auch war es ruhig, nachdem der Nachmittag etwas lauter gewesen war. Unten im Dorf wurden einige Leute beim Essen von einem Ari-Volltreffer überrascht; zwei mussten ihr Leben lassen; einige sind verwundet. Nun deckt die stille Nacht wieder viel Jammer zu.

 

Wir haben zu tun, dass wir bei der Unebenheit und Glätte des Waldweges den steilen Berg hinunterkommen; Kameraden, die in ihren weißen Tarnanzügen sich gespensterhaft ausnehmen, helfen uns dabei. Unten bei der Holzbrücke über einen Zipfel des künstl. Gebirgssees sieht es wüst aus; man muss vorsichtig sein, dass man nicht in einen Trichter fällt. Die Brücke selbst steht noch, wenn auch durch Splitter beschädigt. Inzwischen kam der Mond und verzaubert See und Tal und Berg mit seinem Gespensterlicht. Die Kameraden gehen übers Eis und rufen 2 der Unsrigen zum Verpflegungsempfang. Wir gehen längs des Weges bis zum Stauwehr. Hier also haben die Bomber ihr Werk versucht, wie wir’s von H…. **aus beobachtet haben. Aber der Weg über die Mauer ist so, dass wir gefahrlos herüber kommen. Wir begrüßen herzlich die Kam. vom Bunker und wünschen ihnen ein gesundes Jahr 1945 und möglichst baldige Heimkehr. Das hört man ebenso gern wie dies, dass wir Alkoholisches und Zigaretten mitgebracht haben. – Dann geht es weiter den steilen Berg hinauf. Im Pfarrhaus *** vor der Kirche liegen 2 Mann von uns. Der Keller ist gut und warm. Im nächsten Dorf liegen sie nur **** in der Küche eines Bauernhofes und haben gerade den kleinen Schrecken eines Granatsplitterbesuches überstanden. Das Loch, das er geschlagen hat, haben sie bereits wieder „verklebt“. Hier nehmen die mitgekommenen Kam. die restl. Verpflegung vollends mit nach vorn, wo sie in der Nacht „Spazierstöcke“ ***** pflanzen und „Törtchen“ backen müssen vor der HKL ******

Werden sie alle wiederkehren? – Griesshaber und ich gehen mit dem Wagen zurück. Wir treffen Lt. Kiel, der die Sache vorne leitet. Es ist kalt, aber das schwierige Gehen macht uns warm. Es geht alles gut, wenn auch die eisernen Hunde hin und wieder bellen. Die Stimmung der Umgebung ist so, dass man schließlich den Gedanken freien Lauf lässt. Wohin werden sie gehen? Ja, wenn man jetzt nach Besteigung des Berges dort eintreffen könnte, im Frieden des Familienkreises! D – ssss! – Kopf eingezogen – rumms! Es sind kaum 300 m vor uns, wo es am Waldrand aufblitzte. Eine zweite Granate pfeift gleich hinterher. – Sollen wir weitergehen?

 

Werden die nächsten Schüsse kürzer kommen? – Doch sie kommen garnicht mehr. Wir gehen weiter, d.h. wir schinden uns langsam den Berg hinauf. Sollte wirklich eine Granate für uns gedreht sein – irgendwo in England oder Amerika? In einer Fabrik, in welcher ein Nachkomme meines Großvaters arbeitet, ein blutsverwandter oder ein bewusster Christ, ein Glaubensverwandter?! –

Gott sei Dank gegen 2 Uhr haben wir’s geschafft! Man schläft gut nach solcher Tour! Aber ich spüre auch durch Kopfschmerzen, was ich da hinter mir habe. Am Abend mache ich uns ein paar Pfannkuchen und gehe früh schlafen. Heute morgen als ich gerade in der kalten Hütte wieder die Verpflegung richte, setzt stärkeres Ari-Feuer ein: Unten ins Dorf, näher bei uns; da sausen wir in den Keller. Eine Granate schlägt im Garten ein, hinter dem Stallgebäude; die nächste vor dem Haus auf die Straße; ein Kam. springt herein; er hat einen kl. Splitter im Rücken. Fw. Reimann ist tödlich getroffen. Der Sani will eine Zeltbahn, in die er die Toten hüllt. Während wir noch im Keller sind, klaut ein Unbekannter ihm die Pistole! – Ach! Ins Haus der Staub kommt. Die Stube hat einen Volltreffer. –

 

Man wartet, was nun noch kommen wird. Es lässt nach; wird es wieder einsetzen? Soll man rauf, weitermachen? – Da kommt der Sani und sagt uns, dass unser guter Jentsch * einen Splitter in der Lunge hat. Es wird auf Leben und Tod gehen. Gott sei ihm und dem toten Kam. gnädig!

Nachdem eine Weile Ruhe herrscht, arbeiten wir weiter. Um ½ 2 Uhr fahre ich wieder Verpflegung. Diesmal gibt mir Lt. Kiel **, der sehr ergriffen ist, ein Pferd und eine kl. Karre. Streckenweise kann ich sogar aufsitzen. Es geht alles gut. An der Stelle, wo in der Nacht die Einschläge waren, liegt ein abgeschossener amerik. Jagdbomber. Weiter unten an der Brücke ist der Wald zerfetzt.

„Macht nur, dass Ihr da herauskommt“ schreien uns entgegenkommende Fahrer zu. Aber es schießt nicht, weder auf dem Hinweg, noch auf dem Rückweg. Wir fahren diesmal nur bis zum Pfarrhaus in R… ***. Von dort holen die Kam. ihre Verpflegung selbst ab. Diesmal besehe ich mir das Haus. Ja, das muss einmal eine schöne Wohnung gewesen sein. Da stehen noch die guten Lehnsessel, Schränke – und die Bibliothek, die nur teilweise gerettet ist. – In der Küche hole ich mir einige Blechdosen, die wir nötig brauchen. In der einen sind noch Haferflocken, die Kam. wollen sie nicht; gut, das gab für mich ein feines Abendessen! Und ein Liederbüchlein von der Ruth Schaumann nahm ich mir mit; der Umschlag ist ganz verdreckt; aber es stehen feine Sätze drin, d.h. Gedichte in einstimmigem Satz.

Und nun? Wo schlafen? In der Küche des 1. Stocks? – Im Keller und Schulkeller, wo ich nachsehe, ist alles belegt. Aber ein Plätzlein muss ich noch finden.

 

Die Leute nehmen natürlich mit an Gepäck, was irgend geht. Im Falle einer Flucht tust Du gut daran, schon vor der befohlenen Räumung etwas wegzuschaffen derart, dass Du einen Teil des Gepäcks dorthin bringst, wohin Ihr geschickt werdet und gleichzeitig 2 Kinder. Es gibt immer wieder Gelegenheit durch Wehrmachtsfahrzeuge. Verbindung mit einem Offz. möglichst einer Versorgungskomp. aufnehmen.

Es ist aber gut, wenn alles Wichtige verpackt und vielleicht im Keller (od. Pfr.Amt) zu stapeln (im Keller ½ m erhöht wegen Wassergefahr) Herrn Hils um Böcke und Bohlen bitten. Die wichtigsten Bücher in eine Kiste (unsere Briefe, Fotos) ins Pfarramt stellen, nur wenn dafür Zeit ist. „Was sind des Lebens Güter? Eine Hand voller Sand!“ –

Die Flüchtlinge hier im Haus wollten heute mit ihrem Ochsenfahrzeug weiter fahren, sie konnten aber nicht, weil es zu glatt war. –

 

Maria, wie gut wäre es, wenn Dir und so vielen andern Frauen die Flucht erspart bliebe. Wir wollen darum bitten, dass die Entscheidung so fällt, dass Ihr im Hause bleiben könnt.

Sei in allem Gott befohlen, Liebe, Du, und unsere Kinder!

Ich grüße und küsse Dich herzlich!

 

Dein Karl.

Herzl. Grüße unsern Kindern und Hannelore und Frl. Peter!

 

 

 

O.U., den 5.1.45

Br. Nr. 4

 

Meine liebe Frau!

 

Heute möchte ich noch Vaters Brief beantworten und an Mutter schreiben; darum soll es nur ein kurzer Gruß sein.

 

Der Tag war so prächtig winterlich und auf dem Marsch nach R….* konnte ich mich so richtig durchlüften in der herrlichen Winterluft. Mein Begleiter war der Gefreite Ruta, ein ordentlicher Kerl mit s. schwarzen Pferd u.k. Karren.

 

Wir sind sehr schön mit Winterkleidung ausgerüstet, so dass wir nicht frieren brauchen. Im Pfarrhaus schaute ich wieder nach Papier und fand noch P. Servietten, die ich zum Einpacken der Portionen gut gebrauchen kann. Im Schreibtisch – die Bewohner mussten offenbar rasch weg – fand ich noch Predigtskizzen, die ich rasch einpackte und dem hiesigen Pfarrer übergab, dass er sie dem Eigentümer weiterleitet. Außerdem fand ich eine Tüte Haferflocken; ich nahm sie mit mir, weil sie ja doch verderben würden; die Kameraden mögen keine solchen. Mir schmecken sie zur Milch gut, wie ich das von zu Hause gewohnt bin.

 

Auf dem Rückweg war an einer Stelle ein frisches Granatloch. Man ist immer dankbar, wenn man heil zurück ist; aber es ist hier ja auch recht unsicher; es sind im hies. Ort schon bei 30 Kameraden gefallen durch Art. oder Flieger. Die alten Theisel im Haus haben mir im Keller einen Platz eingeräumt, wo sich gut schlafen ließ, nur ein Mal unterbrochen, weil das Verpfl.fahrzeug kam und entladen werden musste. Vor dem Einschlafen haben wir noch Lieder gesungen, begleitet von einem Wimmerschinkenspieler. „Mal wat anners“. –

An den Ausfall der Post müssen wir uns immer mehr gewöhnen.

 

 

 

O.U., den 6.1.45

Br.Nr. 5

 

Leider kann ich Dir wieder keinen Brief beantworten. Wir sitzen noch ohne Post; ich spanne ja sehr auf Deinen Weihnachtsbericht. Du! Ach, Du weißt aber auch sonst immer so vieles zu berichten.

 

Heute ist Drei-Königsfest, das die Katholiken noch ernstlich feiern. Ich traf unterwegs Pf. Heßler. Er war sehr ergriffen von dem Brief eines Verwandten; er hat nun 8 Verwandte bei Bombenangriffen verloren und behält doch eine feine christliche Haltung.

In den nächsten Tagen wird umorganisiert und ich werde mehr Arbeit bekommen, auch mehr nach auswärts fahren müssen.

Nachdem Lt. Jentsch verwundet ist, kam ein jg. Lt.? *, den man nur Lt. „Prächtig“ nennt, weil er zu allem „prächtig, prächtig“ sagt. Er sagte zu mir, wenn sich Schwierigkeiten zeigten, soll ich mich vertrauensvoll an ihn wenden! Immerhin ein frdl. Mensch!

 

Leider ist es wieder unruhiger geworden, doch fegen die Granaten noch weit über uns weg. –

Ich will versuchen, bald zu schlafen. Letzte Nacht schlief ich schlecht. Die Frau, die noch mit im Keller schlief, schnarchte in einer Tour mit Lautstärke!! Wie mir der Mann heute selber sagte. –

 

O.U., 8.1.45

Br.Nr. 7

 

 

Es gibt doch allerlei zu tun bis die Kam. alle verpflegt sind. Morgens steht man jetzt, da es an Licht mangelt, nicht vor ½ 8 Uhr auf.* Dann geht es los mit dem Abwiegen der Portionen. In den letzten 8 Tagen haben wir reichlich Butter. Wenn es so bleibt, haben wir im Winter nicht an Fettmangel zu leiden. Die Landser wollen darum auch lieber bei der Fronttruppe bleiben, weil die Verpflegung weiter hinten nicht so glänzend ist. – Gestern war ich nun zum Verpflegungsfahren zum 2. Zug, den Fw. Knödel führt. Das ist dort landschaftlich auch eine prächtige Gegend. An einer Stelle kann man den Eindruck haben, man führe von Sommerau die Straße nach Triberg hinunter. Es war ein derartiges Schneetreiben, dass auch die Artillerie schwieg. In meinem Pelzmantel war ich schön warm verpackt, so dass ich keine Not bei der Kälte hatte. Es lässt sich bei solcher Fahrt so schön nach Hause denken, besonders als die Dämmerung und Nacht hereinbrach und die Umgebung im Dunkel versank. Nach guter Rückkehr briet ich mir eine Pfanne voll Nudeln und aß Apfelbrei dazu. Leider kam ich dann nicht mehr zum Schreiben; es schoß durchs Dorf, dass wir es vorzogen, in den Keller zu gehen. Als es ruhiger wurde, spielte unser Küchenwagenfahrer Volkslieder, in die wir Kellerbewohner mit einstimmten bis es zum Schlafen Zeit war.

Heute war neugefasste Verpflegung zu ordnen. Eigentlich sollte ich an 2 Stellen Verpflegung bringen, da aber andere Kam. den gleichen Weg hatten, durfte ich hier bleiben und benutzte die gewonnene Zeit, um mich zu waschen und die Kleider in Ordnung zu bringen, auch in Deinen Briefen zu lesen, zugleich sie ordnend. Ich beabsichtige, in jedem Brief einige zurückzuschicken; vielleicht erreichen sie Dich wieder, dass Du sie aufbewahren kannst, Maria. Es ist ja so traurig, dass die Post es nicht mehr fertig bringt, regelmäßiger für Transporte zu sorgen; aber wir ändern nichts daran.

Dein letztlich geäußerter Gedanke, mir einen Zettel zu vergraben, ist sehr gut. Nur würdest Du das leichter vor der Holzlaube mitten in dem kl. Beet machen als unter dem Apfelbaum, wo Du schwer zu graben hast. Sodann ist es im Ernstfall geratener, schriftl. Aufzeichnungen anstatt in einer rostenden Blechdose in einem mit Gummi und Spanner verschlossenem Einmachglas niederzulegen; man kann ja das Glas selbst in ein Kistchen oder so mit Stroh umgeben, dass es nicht so leicht beschädigt wird. Hoffen wir, dass es nicht sein muss.

Draußen stürmt es, wir haben tüchtigen Winter. –

 

 

O.U., den 9.1.45

Br.Nr. 8

 

Meine liebste Maria!

 

Wenn es auch jetzt allerlei Arbeit gibt, so hoffe ich doch wieder auf ruhigere Tage, wo ich auch in Ruhe Dir schreiben kann. Es ging mir heute nicht leicht; die Kopfschmerzen machten sich bemerkbar, aber da ich hier bleiben konnte, ging es leidlich vorüber. Es ist sehr unruhiges, stürmisches Wetter, und es schneite viel. Heute und morgen kommen auch die Troßkameraden (Schreibstube u.a.) hierher, die bisher noch dort waren, wo ich an Weihnachten war. Die Arbeit macht mir mehr Spaß als das dauernde Sitzen und Schreiben und das dauernde umgeben sein von „Herren“!* Das Richten der Portionen konnte ich in der geheizten Küche vornehmen, da es ruhig blieb; nur unsere VI brummte heute über uns weg.

Maria, es ist so schade, dass unter der heutigen Post wieder nichts aus Süd-Deutschland dabei war. Hoffentlich hast Du von mir Nachricht, dass Du Dich nicht sorgen musst. Manchmal möchte ich Dich nach allem fragen. Aber indem ich schreibe, geht es mir wie so oft, wenn ich Deine warme Nähe spüren durfte, dass ich garnichts mehr fragen brauche, denn Du sagst mir ja alles, was ich wissen muss. –

 

 

O.U., den 11.1.45

Br.Nr. 9

 

Man muss sich doch ein wenig überwinden zum Schreiben, wenn das Echo ausbleibt; aber die Überwindung fällt nicht schwer, wenn man bedenkt, dass vielleicht gerade dieser Brief den Weg zu der Liebsten findet und zu ihrem Herzen sprechen darf, es erfreuend und aufmunternd. Denn so hörst Du doch, dass mich der Herr noch unversehrt am Leben gelassen hat, und es also immer noch einen mehr oder weniger lieben, netten Mann gibt, der einmal Dir zur Seite gestellt wurde und Dir wieder gern zur Seite stehen würde, wenn es Gott und der bösen Welt gefiele mit dem kläglichen Kriegführen ein Ende zu machen.

Also schreiben wir! Wovon? – Es sei „in der Liebe“ verboten vom Wetter zu reden! Aber gehört es nicht dazu, wie das hübsche Kleid zur hübschen jungen Frau? Also:

„Es war doch so schön, als wir beide heute ins Tal hinunterstiegen zum Verpflegungsfahren. Ein bisschen gebangt hast Du ja. Ja, das ist nicht verwunderlich, wenn da links und rechts der Schnee schwarz ist von neuen Granateinschlägen. Aber es blieb doch sonst still, als wir beide über die Talsperre fuhren und das Dorf hinaufstiegen bis zum Pfarrhaus. Und wie tapfer die Mutter, der wir mit ihren 3 Töchtern begegneten, die sich aus ihrem Heim noch etwas retten wollen. Und richtig, dort wohnt noch ein Fräulein mit dem Bart, die unentwegt aushält. Wir laden bei ihr „Pulver“ ab für unsern Uffz. de Witte. Bei den Kameraden im Pfarrhaus herrscht große Freude über das Mitgebrachte; und dann hatten wir noch rasch einige persönliche Schriftstücke des einst hier amtierenden „Confrater“ zus.gepackt und die wertvollsten Bücher, auf die schon der Schnee gefallen ist, um sie – vielleicht dem Eigentümer zu erhalten.

„Der Priester in der Welt“ v. Joseph Sellmaier; „Germanentum und Christentum“ von Algernissen; „Beethoven“ – und einige andere, von denen wir vielleicht noch einige gemeinsam lesen werden.

Und dann der Rückmarsch, der anstrengend genug war; aber wir haben uns an der Hand gefasst und uns so glücklich angeschaut, als freuten wir uns auf das warme „Daheim“. -“

Und nun bin ich wieder irgendwo „Daheim“ und doch wieder nicht daheim, denn Du bist weitergegangen, Maria, ganz rasch und ganz weit; und ich darf Dir dorthin nicht folgen! – Unsere Kinder sind dort in unserer noch heilen, trauten Wohnung. Und sie werden es fühlen, ohne es zu sagen, dass Du wieder allein zurückgekommen bist – ohne den Vater. Aber wenn sie schlafen gehen, werden sie seinen Namen vor Gottes Thron nennen. Wie gut, dass die „Postverbindung“ nach dort noch besteht! –

 

O.U., den 13.1.45

Brief Nr. 10

 

Liebste Maria!

 

Gestern kam nun wieder ein Brief vom 13.12.! Michels Zeichnung und Hanneles Untersetzer. Ich werde mich noch persönlich bei den beiden bedanken. Es hat mich sehr gerührt, von den Kindern selbst ein Zeichen ihres Gedenkens zu haben. Von Mutter kam ein Brief vom 12.12., wo sie noch nicht in Hall * war und von einer Bombardierung in Süd-Mosbach erzählt. Man ist heute für jedes Brieflein dankbar, das noch durchkommt.

Leider geht es mir nicht ordentlich gut. Vorgestern Nacht zweimaliges Erbrechen. Gestern lag ich mit Fieber im Keller; Fieber ist ja bei mir eine Seltenheit. Ich hatte es wohl zuletzt vor 10 Jahren, als man den alten Hasenwirt beerdigte (Bischof Jensen) **. Seit gestern faste ich und trinke nur schw. Kaffee. Wahrscheinlich ist es eine tüchtige Erkältung; doch will ich auf der Hut sein. San. Gefreiter Fischer betreut mich. Gestern abend hatte ich nur 37,8 gemessen.

Es ist sehr kalt geworden; trotzdem rege Lufttätigkeit. Wir wird es uns noch gehen?!

Und wie oft frage ich mich, was wird Maria machen? Liebste, ich denke so gern an Dich! Und an so viel Schönes, das wir gehabt haben. Wie grausam, dass uns und so vielen Millionen das alles geraubt ist. Es ist keine Liebe mehr in der Welt – aber viel „Ehre“! –

 

Wir erhielten eine „Himmler-Spende“; 1 Reklam-Bändchen, 2 kl. Täfelchen gefüllte Schokolade, 2 Schluck Schnaps, 10 Zigaretten. – Wenn es mir wieder ordentlicher geht, freue ich mich auf die Lektüre eines Buches: Der Priester in der Welt. –

 

Pf. Heßler hat einen jg. Leutnant gesprochen, der aus der Hahn’schen Gemeinschaft stammt. Es geht ein großes Suchen nach der „una sancta ecclesia“ (eine Gemeinschaft der Heiligen). –

Das ist aber m.E. nur die eine Seite; die andere ist die schreckliche Nachtseite menschl. Seelen, die Nihilismus bedeutet: Auflösung aller Ordnung.

 

 

 

O.U. 15.1.45

Br.-Nr. 12 Erster Brief mit Nr.12

 

 

Es muss wieder einen entscheidenden Stoß in der Geschichte dieses Krieges gegeben haben. Wir wissen ja, wie gewöhnlich, nichts; nur die Zivilisten wollen etwas von einer Großoffensive * gehört haben. Ein Teil der Kameraden wettet schon, dass der Russe schneller in Berlin sein wird als der Amerikaner; mir scheint aber, es wäre besser, keiner von beiden würde bis dorthin kommen! Jedenfalls spiegeln solche Wortgefechte über das mögliche Vordringen der Feinde die „Hoffnungen“ wieder, die einige hier an der Front noch haben auf die „aus dem Boden gestampften“ eigenen Divisionen.

Doch dies traurige Kapital der Politik und Kriegspolitik überlässt man besser den berufenen Könnern und Fachmännern. Für uns geht der Krieg weiter; basta!

Es ist eigenartig. Da schaut man manchmal mit Andacht zu, wie man selbst vernichtet – sein würde, wenn man 5 oder 6 Min. später noch sich an dem oder dem Fleckchen Erde aufgehalten hätte. So ging es mir gestern mit meinem Fahrer. Wir waren kaum von einer Talsperre weg, wohin wir in einen Bunker Verpflegung fuhren – und wir ahnten schon das Unheil und waren im Trab weggefahren, als wir von einer höheren Stelle aus den fallenden Bomben zusehen konnten, die zwar nicht die Brücke selbst, sondern die Straße trafen. Später sah ich dasselbe sich wiederholen, als ich eben im Pfarrhaus in Büchern schmökernd über das Land schaute. – Die Ohmacht gegenüber einer höllischen, die Natur, sowohl die gewachsene als auch die von Menschenhand gestaltete – und das Leben so jäh und wuchtig zerreißenden Kraft lässt mit Recht im Landser den Wunsch aufkommen: Wenn es trifft, dann entweder gleich richtig:“ .. dass die net erst b’sinne kannst“ – oder so, dass es für die Heimreise in die irdische Heimat reicht. – Doch wir sprechen: Wie Gott will! Und bitten: „Herr, hab’ Erbarmen“.

An der Haustürwand hing dort in R. ein Ausspruch Dürers über seine Mutter:

„Ihr häufigster Brauch war es, viel in die Kirche zu gehen, und sie tadelte mich immer, wenn ich nicht gut handelte, und immer hatte sie für mich und meinen Bruder große Besorgnis vor Sünde, und ich mochte aus- oder eingehen, so war stets ihr Sprichwort: Geh’ im Namen Christi! Sie gab uns beständig mit hohem Eifer Ermahnungen und hatte große Sorge um unser Seelenheil. –

Sie fürchtete den Tod sehr, aber sie sagte, vor Gott zu kommen fürchte sie nicht. Ihre größte Freude ist stets gewesen, von Gott zu reden und gern sah sie die Ehre Gottes.“ –

Aber so ist der Krieg. Er verwildert den Menschen. Bin ich’s nicht selbst schon? Geistig, nicht leiblich. Kann man den Geist noch ordnen auf die gottwohlgefälligen Dinge, die allein die Menschen aufwärts und wahrhaft zum Sieg führen, zum Sieg des Guten über das Böse! Kann man ihn noch schulen, üben? Es bleibt so wenig Zeit zum Lesen, Durchdenken des einen oder andern Lebens oder Glaubensproblems. Pf. Heßler sagt, er müsse jetzt auch zehren von dem, was er in den letzten 10 Jahren gehabt hat. Er gab mir Ina Seidels „Lennacker“, darin will ich – ein Versuch am Abend – noch ein wenig lesen.

* am 14.1. gab d. Wehrmachtsbericht durch, dass die Russen die deutsche Grenze in

Schlesien überschritten hätten!

 

 

O.U., den 17.1.44

Br.Nr. 12 2.Brief mit Nr. 12

 

Der Krieg erschlägt entweder die Gemeinschaft oder er macht sie krank; ja, selbst die Gemeinschaften, die er notgedrungen hervorbringt, sind fragwürdig: die Kameradschaft; sie ist so oft nur eine solche des „Sich Beklauens“. – Vielleicht wäre eine der vom Krieg geschaffenen echt, nämlich die des Leides, wenn das Leid nicht gerade die Eigenschaft des Vereinsamens hätte. – Am stärksten werden doch die Liebesgemeinschaften auf die Probe gestellt. Und wir beide wollen nicht aufhören zu bitten und zu ringen um das Wachstum der unsrigen nach ihrer seelischen Seite hin, Maria! –

Ich weiß also „nichts neues“ von Dir! Wie gut, dass das, was ich weiß, von meinem geliebten Wegbegleiter gut ist! – Bekommst Du meine Post auch so schlecht? Man kann ja fast auf bewusste Absicht schließen, wenn aus Südd. keine Post mehr kommt, während die Berliner ihre Post in 8 – 10 Tagen haben. Aber die Unterhaltung darüber hilft nicht. –

So erzähle ich Dir noch kurz: Es wird jetzt täglich warme Verpflegung nach R.* gebracht. Heute hat es an Fahrern gemangelt; da kutschierte ich selbst in gewohnter Weise: Eine Winterfahrt durchs Kirchspiel! Die feindliche Ari schwieg; so gab es keine unliebsamen Zwischenpausen. – Im Ruh…er Pfarrhaus sind jetzt 14 Mann untergebracht; da hat der einzelne wenig Bewegungsfreiheit. – Es war neblig, kühl auf dem Rückweg. Gut zurück besuchte ich Herrn Pf. Heßler. Der jg. Leutnant (Hahn’scher Gemeinschaft), von dem ich letzthin schrieb, ist vermisst, vielleicht schon gefallen. Amtsbruder Rocholl in Gmünd hält tapfer aus bei nur noch kl. Gemeinde! Der kath. Pf. sei plötzlich weg, offenbar „Nervenzusammenbruch“, obgleich sonst unerschrocken vor Bomben und Granaten. Malmedy sei aus strategischen Gründen geräumt! der Russe sei durchgebrochen; er wisse es von einem Hptfw., der den Feindsender abgehört hat. **

Natürlich „Hptfwebel“ müssen sich wichtig machen. Der ist ja nun auch der klügste Mann in der Umgebung! – Unserer kam wegen „Lungenentzündung“ ins Lazarett; und vor solchen Hurenbuben soll man noch gerade stehn! – Fortsetzung fehlt.

 

 

O.U., den 19.1.45

Br.Nr. 14

 

Meine liebe Maria!

 

Vor mir liegt die Zuschrift des Herrn Landesbischofs Kühlewein vom 23.11., der trotz der alten Tr.Nr. noch ankam. Bitte grüße den Dekan und teile ihm meine jetzige Nr. mit. Es enthält viel Trauriges, wenn es auch in einer versöhnenden Form gesagt ist. Am schmerzlichsten lesen sich die Namen einiger bekannten Amtsbrüder, die ihr Leben für’s Vaterland vollendet haben oder die vermisst sind. Vorweg Fritz Schölch. Ich sehe ihn noch, wie er mich in Tübingen am Bahnhof empfangen hat, als ich dort mein Studium begann; er gehört zu den Männern, die auch mir zum Segen geworden sind in den Jugendjahren. Sind sie alle Samenkorn, die gefallenen Amtsbrüder, aus deren Opfer für die Gemeinde Jesu Christi neues Leben wachsen darf? Und wann wird es genug sein mit dieser Tränensaat?

 

Und selbst wenn die Gemeinde nichts empfangen darf von dem vergossenen Blutstrom derer, die der nat. soz. Staat für unwürdig hielt der „Gemeinschaft der Schaffenden“ * zuzurechnen, die aber selbst nicht sich für unwürdig hielten für den „Bestand des N.S.“ zu kämpfen, nicht mit propagandistischem Wort! und zu bluten – nicht mit gemachten Kriegsgewinnen! ** – wenn wenigstens ihre Kinder den Segen ererben dürfen und ihn hineintragen in das heilrufende, aber heillose Volk! –

 

Maria, spreche ich vielleicht schon von mir und meinen Wünschen? – Das tue ich nicht gern. Denn Du fühlst ja meine Gedanken, Du kennt das hohe, heilige Ziel, das wir haben, und ich bitte nur um die Gnade des himmlischen Vaters, dass Ihr, Du und unsere Kinder, auf dem Weg bleiben dürft, der zum Ziel der ewigen Seligkeit führt. –