Annette Esser, Interkontexte feministischer Spiritualität. Eine enzyklopädische Studie zum Begriff religiöser Erfahrung von Frauen in ökumenischer Perspektive Theologische Frauenforschung in Europa Bd. 23, Berlin: LIT Verlag 2007, 440 S., ISBN 978-3-8258-0591-3, EUR 34,80
Das Buch hält, was Titel und Untertitel versprechen, es ist ein umfassendes Werk geworden. Annette Esser gibt uns eine Gesamtschau der feministischen Spiritualität, ihrer Protagonistinnen, ihrer Themen, Veröffentlichungen, Konferenzen und Kontroversen. Diese Dissertation bei Hedwig Meyer-Wilmes, Nijmegen, kann auch als ein Standardwerk für feministische Theologie gesehen werden. Sie listet jedoch nicht enzyklopädisch auf, sondern setzt Bewegungen miteinander in Beziehung und reflektiert zugleich ihre eigenen sehr vielfältigen persönlichen Erfahrungen.
Dank klarer Strukturen wirkt die Fülle des Materials nicht verwirrend. Zunächst werden Begriffe ausführlich erörtert: Spiritualität, feministisch, Erfahrung und Frauenbiografieforschung. Kunstvoll miteinander verwoben werden durchgehend die fünf relevanten Interkontexte, (das sind Orte des Dialogs, der Abgrenzung und der Kontroversen) zwischen Feminismus und Theologie, Mystik und Politik, Christentum und anderen Religionen, Psychotherapie und Spiritualität, Kunst und Ritual. Annette Esser verortet feministische Spiritualität vierfach: in einer alternativen Gegenkultur von Frauen, in der romantischen Tradition der Frauenbewegung (hier greift sie einmal zurück in das 19. Jahrhundert: Günderode, von Arnim, Dickinson) und Psychoanalyse, in der nachkonziliaren Lainnenbewegung (hier beschreibt sie unter anderen die feministische Liturgiebewegung als ‚Grenzgängerei’) und in der ökumenischen Bewegung (sie meint den Ökumenischen Weltrat der Kirchen, der schon seit den 70er Jahren den Sexismus reflektiert).
Zehn übersichtliche Grafiken erleichtern das Lesen, wie z. B. das Schnittflächenmodell feministischer Spiritualität (64) oder die Tabelle von acht Autorinnen im Vergleich (382). Diese letzt genannte Übersicht wird in acht Themenkreisen (Bewegungskontexte, Interkontexte, Erfahrungsbezug, Modernitäts- und Patriarchatskritik, sowie Inhalte/Vision, Quellen und Methoden des konstruktiven Gegenentwurfs) gegliedert, die jeweils den Theologinnen Christ, Sölle, Gössmann, Kassel, Schulenburg, Walton, Chung und Esser zugeordnet sind. Darin findet sich auch Annette Essers eigene Ideologie- und Traditionskritik, die sich „gegen die Dominanz rationalen Denkens durch Orientierung an tiefenpsychologischer, mystischer und interreligiöser Erfahrung“ (382) richtet.
Das Einzigartige an diesem Buch ist aber, dass Annette Esser die ca 30 Jahre (welch kurze Zeit!) feministischer Theologie und Spiritualität in ihrer ganzen Vielfalt selbst erlebt hat und dies in Auseinandersetzung mit den Sachthemen reflektiert (Kap. 2.2). Sie verwendet die Bilder vom Whirlpool, Lebensbaum, Berg und Unterwelt-Erde-Himmel um den Weg ihrer eigenen Erkenntnisse zu beschreiben: wissenschaftliche Theologie, ökumenische und transkulturelle Begegnungen dank der Aufenthalte in den USA, Erfahrungen mit der Praxis der Spiritualität, der Psychotherapie und Kunst und als Lehrerin an diversen Schularten. Ihre Studien zu Teresa von Avila haben sie gleich zu Beginn tief geprägt. Von Anfang an waren es auch die Themen und die Kontakte mit Frauen der ESWTR, die Annette Esser bereichert haben und die sie umgekehrt mit Engagement begleitet hat.
Und das Fazit? Dieses ist nicht neu, aber es ist hier gründlich mit Zitaten belegt: „Es gibt eigentlich nicht die Spiritualität von Frauen, die weibliche oder die feministische Spiritualität. Eher gibt es Spiritualitäten von Frauen (Plural!), die an die subjektiven Erfahrungen von Frauen in spezifischen Kontexten bzw. Interkontexten gebunden sind und insofern auch objektiv sind.“ (381). Am Ende stellt sich mir die Frage, welche neuen theologischen Impulse die nächsten 30 Jahre bringen werden?
Hanna Strack