Hanna Strack » Die Heilige Odilia

Der Odilienberg birgt ein Geheimnis

Mitten im Herzen Europas liegt der Odilienberg bei Straßburg, ein ganz besonderer Ort. Seit der Jungsteinzeit ist er besiedelt, aus 300000 Steinblöcken wurde die „Heidenmauer“ errichtet, es gab ein römisches Kastell und Herrad von Landsberg schrieb dort oben im Kloster Hohenberg ihre Lehrfiebel für Nonnen, den „Hortus Deliciarum.“ Vor allem aber ist das Kloster die Heimat der Hl. Odilia. Zu seinen Füßen sprudelt eine Heilquelle.

 

Wer war die Heilige Odilia?

Wenn wir eine heilige Frau betrachten, dann ist es, als würden wir durch ein Fenster Jahrtausende zurück schauen. So ist es auch mit der Heiligen Odilia oder Ottilie, die von ca 650 bis 720 n. Chr. lebte, und deren Legende die typischen Motive der Heiligenleben trägt. Ihr Vater Adalrich, Herzog von Elsass, wollte das Kind töten lassen, weil es ein Mädchen und blind war. Ihre Mutter Bereswinde aus dem Geschlecht der Merowinger gab sie einer Hebamme, die sie in dem Kloster Balma unterbrachte. Mit 12 Jahren wurde das Mädchen vom Regensburger Bischof getauft. Als sie die Öl getränkte Augenbinde abnahm, war sie sehend! Sie bekam den Namen Odilia, d. h. Tochter des Lichts. Ihr Bruder holte sie zurück ins Schloss, der jähzornige Vater tötete ihn deshalb, Odilia betete später für die Errettung des Vaters vom Fegefeuer. Als Äbtissin leitete sie das Doppelkloster auf dem Odilienberg. Frauen und Männer lebten nach der keltischen Spiritualität zusammen wie heute noch in der IONA-Community in Schottland. Papst Pius XII berief sie am 6. Juni 1946 zur Schutzpatronin des Elsass. Ihre Attribute sind zwei Augen auf einer aufgeschlagenen Bibel. Sie wird bei Augenkrankheiten und Blindheit angerufen.

 

Odilia – eine getaufte Göttin?

Die oberrheinische Landschaft ist wie eine Erd-Klinik, Stein, Baum, Wasser, Berg und Höhle bilden ihr seelisches Muster. Das Kloster Hohenburg war solch ein Heil-Ort, der christianisiert und mit der Odilia-Legende belegt wurde und dessen Heilerin in eine christliche Heilige verwandelt wurde, sodass die Menschen weiterhin die heilenden Kräfte nutzen konnten. Odilias Festtag, der 13. Dezember, zugleich der Tag der Hl. Lucia, war nach dem gregorianischen Kalender die Wintersonnenwende. Odilia steht in der Tradition des alteuropäischen, keltischen Heil-Wissens. Sie ist die Wegweiserin, die die Menschen aus der Dunkelheit in das Licht führt. So kann sie auch uns die Augen und alle Sinne öffnen, damit wir in der  Konsum- und Spaßgesellschaft die großen Gefühle erleben und Kreativität, Lebenslust und Liebe frei setzen können.

 

An Odilia

Wir sind keine Vagabundinnen am Rande des Weltalls,

wir sind verwoben mit der Erde

und bedürfen ihrer heilenden Kräfte.

Berühre unsere Sinne, Heilige Odilia,

dass wir mit offenen Augen die Natur ehren,

in Weisheit leben, mit Liebe die Menschen achten

und unsere schöpferischen Kräfte entfalten

zum Wohle der Erde und aller Menschen.

Amen

 

www.Odilienberg.net/odilia/de/

Literatur zur Vertiefung: Petra van Cronenburg: Geheimnis Odilienberg. Eine Reise durch heilige Räume und Zeiten. Diederichs: München 1998

Lore Kufner, Getaufte Götter. Heilige zwischen Mythos und Legende, Pfeiffer: München 1992

Aus: FrauenKirchenKalender 2011