Hanna Strack » Gebären in Lagos/Nigeria

 

Liebe Frau Strack,

 

bezüglich Ihrer Anfrage über die Geburtskultur in Nigeria habe ich Sie nicht vergessen. Leider konnte ich die beiden Ansprechpartner, die mir von unserer Pfarrerin genannt wurden noch nicht erreichen. Möglicherweise sind diese, wie viele im Moment schon zum Weihnachtsurlaub aufgebrochen.

 

Unsere Pfarrerin, wie auch ich haben ein etwa gleiches Erfahrungsbild, das aber eher düster ausfällt. Die Nigerianerinnen, die es sich nur irgend leisten können, versuchen auf jeden Fall in einer Klinik zu entbinden. Der medizinische Stand hierfür ist etwa bei den 60er Jahren angekommen. Ansonsten gibt es eine hohe (Dunkel-)ziffer von Totgeburten und auch Müttern, die bei der Geburt sterben. Bei der riesigen Masse von Menschen, insbesondere in Molochs wie Lagos (ca. 15 bis 18 Millionen Einwohner) sicher oft nicht registriert (physisch, wie amtlich).

Hinzu kommt eine erschreckend hohe Zahl von sehr jungen Mädchen, die aufgrund von Vergewaltigung oder weil sie „verkauft“ wurden, ungewollt schwanger wurden, die oft aus ihren Dörfern im Norden (Scharia!) vertrieben wurden und meist in Lagos landen.

 

Einen großen Anteil an den miserablen Zuständen bei Geburten haben hier die Sekten. Ein Fall hautnah war die Sekretärin meines Mannes, die ursprünglich plante, in einer Klinik zu gebären und sich dort auch regelmäßig untersuchen ließ. Da ihr Ehemann der Prediger irgendeiner Sekte ist und das die Kirchengemeinde so beschlossen hatte, musste sie nun kurzfristig irgendwo aufs Land fahren, um dort zu entbinden. Die Folge, das Baby starb, da ohne Klinik zu schwach zum Überleben und die Mutter überlebte nur durch Glück.

 

Die Schwester unseres Fahrers starb bei der Geburt in einer der lokalen Kliniken, über die hygienischen Zustände da möchte ich mich eher nicht auslassen.

 

Nicht zu vergessen ist auch, dass laut BBC Radio täglich im Schnitt 15 Babys und Kleinkinder hier in Lagos aufgegriffen werden. Diese landen, teils schwer verstümmelt oder (geistes-)krank in Waisenhäusern, die auch nicht eben zimperlich mit diesen armen Lebewesen umgehen. Über eine Dame, die hier für eine Adoptionsorganisation (NGO) arbeitet habe ich schon die schlimmsten Geschichten gehört und zum Teil auch miterlebt. In diesen Häusern gibt es Ratten, die die wehrlosen Geschöpfe angreifen und auch töten können und natürlich Würmer, meist fingerdick, die auch zu der Nase herauskrabbeln. Und die Ratten gibt es natürlich auch bei den Armen, die auf den Strassen leben.

 

Ich werde auf jeden Fall nach unserem Urlaub versuchen nochmals Kontakt zu den beiden Frauenärzten aufzunehmen, vielleicht können diese etwas positivere Geschichten beisteuern.

 

In den 2 Jahren, in denen ich jetzt hier in Lagos lebe, habe ich jegliche Naivität über mein Afrikabild verloren, es war lehrreich und stark ernüchternd. Ich hoffe auch, dass ich, schon der Kinder wegen im nächsten Sommer wieder nach Deutschland zurückkehren kann.

 

Ihre Marion Handrick