Hanna Strack » Theologie der Geburtlichkeit

 

Ich danke Ihnen, liebe Frauen der Nordkirche, für die Einladung, heute zu Ihnen und Euch sprechen zu können!

 

Die Theologie der Geburtlichkeit basiert auf dem Perspektivenwechsel von Sterblichkeit zu Geburtlichkeit, von Mortalität zu Natalität.

 

Ich will Ihnen einen Text über Sterblichkeit des Theologen Karl Rahner vorlesen und danach meine Neufassung mit den Begriffen der Geburtlichkeit:

 

Karl Rahner schreibt:

„Aber eben weil wir den Tod im Leben sterben, weil wir dauernd lassen, dauernd Abschied nehmen, dauernd durchschauen auf das Ende hin, dauernd enttäuscht werden, dauernd durch Wirklichkeiten hindurch in ihre Nichtigkeit hindurchbrechen, dauernd durch die tatsächlichen Entscheidungen und das wirklich Gelebte die Möglichkeiten des freien Lebens einengen, bis wir das Leben in die Enge des Todes getrieben und verbraucht haben, weil wir immer das Bodenlose erfahren, … darum sterben wir durch das ganze Leben hindurch und ist das, was wir Tod nennen, eigentlich das Ende des Todes, der Tod des Todes, bei dem nur von uns aus offen bleibt, ob dieser Tod des Todes der zweite Tod oder die Tötung des Todes und der Sieg des Leben ist.“

 

Nun dasselbe Zitat mit den Ausdrücken für Geburtlichkeit:

„Aber eben weil wir die Geburt im Leben geboren werden lassen, weil wir dauernd anfangen, neu zu begrüßen, dauernd von unserem Anfang her leben, dauernd neu hoffen, durch Wirklichkeiten in ihre Zukunft durchbrechen, dauernd durch die tatsächlichen Entscheidungen und das wirklich Gelebte die Möglichkeiten des freien Lebens erweitern, bis wir das Leben in die Weite hinein entfaltet und gestaltet haben, weil wir immer wieder die Chance zum Neuanfang erfahren, … darum werden wir auch das ganze Leben hindurch neu geboren, und ist das, was wir Geburt nennen, eigentlich der Anfang des Wiedergeborenwerdens, die Geburt des Neuanfangs, bei dem nur von uns aus offen bleibt, ob diese Geburt des Geborenwerdens die zweite Geburt oder das Geborenwerden der Geburt und der Sieg des Lebens ist.“

 

Dies zeigt uns sehr gut den Perspektivenwechsel, den wir Hannah Arendt verdanken, aber auch Elisabeth Moltmann-Wendel, weil sie dies für uns fruchtbar gemacht hat.

 

Geburtlichkeit führt zur Geburt

Wir alle sind Geborene. Wir schämen uns nicht mit den Philosophen, dass wir wie Tiere zur Welt kommen. Aber was wissen wir über unsere eigene Geburt? Was ist Ihnen erzählt worden?


  • – Wo stand das Bett? Oder wo auf der Flucht?
  • – Wer stand Ihrer Mutter bei?
  • – Wo war Ihr Vater?
  • – Und wie wurden Sie begrüßt?

 

Sicher sind einige nun sehr traurig, andere fühlen sich gestärkt.

Geben Sie diese Fragen in Frauenrunden, dann kommt Ihnen ein Kaleidoskop verschiedener Geburtskulturen entgegen.

 

Die Geburtlichkeit führt zur Geburt, die Geburt führt zum Frauenkörper

 

Und mit dem Frauenorgan, der Gebärmutter, die unser aller erste Heimat war, haben wir Frauen viele existentielle Erfahrungen: vom unerfüllten Kinderwunsch bis zur Schöpfungswonne, sie hat eine eigene Biografie in unserer Biografie, in ihr ereignen sich Leben und Sterben, mit ihr erleben wir höchste Lust und hasserfüllte Gewalt, immer Themen der Beziehung.

 

Die listige Hildegard von Bingen, die oft zuerst das sagt, was die Männerkirche hören wollte, danach ihre eigene Meinung, sagt: „Gott hatte den Mann stark geschaffen, schwach aber das Weib, dessen Schwäche die Welt hervorbrachte.“ Aus der Frau geht das ganze Menschengeschlecht hervor.

 

Doch wo haben wir dafür ein Echo in der Frauenkirche?

Wo wird unser Frauenkörper gefeiert? Wo die bedrückenden Erfahrungen betrauert?

1996 hat das Frauenwerk eine Arbeitshilfe zum Thema Sexualität herausgegeben – für damals eine mutige Tat! Darin ist eine Fantasiereise in den Körper beschrieben: von den Füßen beginnend, Oberschenkel, dann heißt es „sehen Sie mit dem inneren Auge jetzt das Geschlecht“. Das Geschlecht – das Wort Gebärmutter wäre wohl ein zu großer Tabubruch gewesen –

So werden wir dem Perspektivenwechsel von Sterblichkeit zu Geburtlichkeit, Mortalität zu Natalität nicht gerecht. Wir Frauen wollen nicht unseren Unterleib in der gynäkologischen Praxis abliefern und „Damen ohne Unterleib“ sein. Wir müssen Hannah Arendts Entdeckung weiter führen bis in unseren Körper.

Wir haben einen besonderen, einen göttlichen Leib, symbolwürdig für das Göttliche.

Ich wünsche mir von der Frauenkirche, von den Kirchenfrauen, Liturgien am Leitfaden des Frauenkörpers. Und das über die Stichworte „Schönheit, Gewalt, Gender“ hinaus. Wir Kirchenfrauen haben eine hohe Ritualkompetenz und auch Weisheitskompetenz.

 

Rituale helfen in Lebenskrisen.

Rituale bilden ein Echo auf das Wunder des Lebens.

 

Zum Schluss komme ich wieder auf die Theologie der Geburtlichkeit. Dieser Perspektivenwechsel von Sterblichkeit zu Geburtlichkeit eröffnet uns einen großen Reichtum:

  1. Sie führt uns nicht zurück sondern zu unseren Wurzeln
  2. Wir sind wie alle Menschen ein einmaliges Schöpfungsereignis. Das gibt uns Würde.
  3. Sie ermöglicht den Blick auf die Vielfältigkeit des Lebens: Wo Natalität kann keine Diktatur greifen.
  4. Aus der Urbeziehung zur Mutter erwächst die Bezogenheit.
  5. Geburtlichkeit begründet die Dankbarkeit gegenüber der Mutter, der Mit-Schöpferin – auch dann, wenn die Mutter uns viele Probleme beschert hat.
  6. Der Hermeneutische Zirkel führt zu einer neuen Sicht der Bibel und ihre unentdeckte Frauenkörperfreundlichkeit.

Ich danke Ihnen für ihre Aufmerksamkeit!