Hanna Strack » Texte zum Kirchenjahr 2002

2. Sonntag im Advent

 

Wenn sich Naturkatastrophen ankündigen, dann machen sie uns Angst. Was kommt noch? Wie werden wir das überstehen? Was wird passieren? Mit gewaltigen Naturbildern im Kosmos beschreibt das Evangelium Gottes Kommen: Sonne, Mond und Sterne werden sich neu konstellieren, das Meer wird brausen und wogen, die Menschen werden verzagen. Die Kräfte der Himmel werden ins Wanken geraten. Und wann ist das alles soweit? Menschen erkennen es, wie sie an den Baumknospen und – blättern und den ersten Blüten erkennen, dass es Frühling und Sommer wird. Und was passiert dann eigentlich mit uns? Die Antwort ist klar: Gott kommt, die Erlösung naht! Die furchtbaren Katastrophenbilder melden nicht den Untergang sondern im Gegenteil: „Wenn dies alles geschieht, dass ist eure Erlösung nah!  Himmel und Erde werden vergehen, aber meine Worte vergehen nicht!“ Luk 21,28+33. Lassen wir uns also nicht einschüchtern von der Gewalt der Bilder! Stellen wir uns ein auf das Wirken der Güte, der Freundlichkeit und der Liebe Gottes!

 

Hanna Strack

 

 

Maria bei Elisabeth

 

Die Geschichte, die von alters her mit dem Wort „Heimsuchung“ im kirchlichen Kalender steht, diese Geschichte erzählt uns, wie Maria zu Elisabeth ins Gebirge geht, weil der Engel gesagt hatte, die Cousine sei im sechsten Monat schwanger. Es sind anrührende Bilder, im Mittelalter gemalt, wie beide Frauen, die junge und die alte werdende Mutter, die eine am Beginn ihrer Schwangerschaft, die andere schon in der Zeit der Kindsbewegungen, wie sie sich gegenseitig ihre Hände segnend auf den Leib halten. Tastend und fühlend spüren sie ihre Kinder, die einmal als Johannes und Jesus der Welt Gottes Kommen verkünden werden. Heute sehen wir in diese schutzbedürftige Intimität wissenschaftsgläubig hinein mit den Ultraschallbildern und Fruchtwasseruntersuchungen, ohne intuitiv etwas von dem Lebensentwurf des Ungeborenen zu erspüren. Maria und Elisabeth aber singen gemeinsam ein Hoffnungs- und Befreiungslied: „Meine Seele erhebet den Herrn … die Mächtigen stürzt er vom Thron“! Welche Lieder singen unsere Schwangeren? Von welchen Hoffnungen und Befreiungen träumen sie?

 

Hanna Strack

 

 

Christfest

 

Hirtinnen und Hirten leben in und mit der Natur. Sie kennen die Nächte, sie sind hellhörig für jedes Geräusch, für alles, was sich bewegt. In dieser Nacht werden sie plötzlich überwältigt von einer großen Klarheit, von einer tiefen Erkenntnis: Uns ist heute der Heiland geboren. Die Hirtinnen und Hirten verharren nicht im Warten. Zusammen mit ihren Familien brechen sie auf und suchen das Licht. Sie sehen ihr Heil in dem Neugeborenen. Mit ihm kann eine neue Zeit beginnen. Das Kind Jesus wird als Erwachsener alle Mühseligen und Beladenen trösten, er wird Klarheit und Heil bringen. Nun gehen sie zurück in die Nacht, auf die Felder. Sie nehmen das Bild von  ihrem Heiland mit in den Alltag, sie bewahren es in ihrem Herzen. Wenn dies uns geschieht, dass wir eine solche große innere Bewegung, eine solche tiefe Erkenntnis gewinnen davon, was uns zum Heil gereicht, dann wollen auch wir es in unserem Herzen bewahren. Wir wollen es schaffen, dass diese Klarheit und dieses Licht in unserer Nacht und auf unseren Arbeitsfeldern am Leuchten bleiben!

 

Hanna Strack

 

Gottes Herrlichkeit

 

„Ich bete und ringe mit Gott – und nie erfahre ich eine Gewissheit“, sagt ein Nachbar. „Ich bemühe mich nicht, ich mache einfach mit, wenn die Kirchgemeinde etwas anbietet und fühle mich in Gott geborgen“, sagt eine Freundin. Können wir uns bei Gott beklagen über diese großen Unterschiede? Sagen wir es im Gleichnis: Kann der Lehm zur Töpferin sagen: „Mach aus mir keine nützliche Auflaufform, die im Backofen verschwindet, sondern eine wunderschöne Blumenvase, die die Wohnung schmückt!“? Natürlich gestaltet die Töpferin, was sie will, wie es ihr vorschwebt! Das ist schwer zu akzeptieren und auch Paulus ist recht ratlos: „Was sollen wir nun hierzu sagen? Ist denn Gott ungerecht? Das sei fern!“ (Röm 9, 14) und das hat er beobachtet: „So liegt es nun nicht an jemandes Wollen und Laufen, sondern an Gottes Erbarmen!“ (Vers 16). Wir müssen den unendlich qualitativen Unterschied zwischen Gott und uns akzeptieren und vielleicht können wir dann „den Reichtum seiner Herrlichkeit an den Gefäßen der Barmherzigkeit“ (Vers 23) erkennen, die bohrenden Fragen aufgeben und einfach menschlich sein.

 

Hanna Strack

 

 

Jes 43, 2

„Das geknickte Rohr wird er nicht zerbrechen, und den glimmenden Docht wird er nicht auslöschen.“

Wie zärtlich und behutsam wird dieser Mann sein! Er wird nicht ungeduldig, wenn ein an Depression Erkrankter sich nicht „zusammenreißen“ kann. Er wird verstehen, dass eine Überlebende von sexueller Gewalt sich nie mehr von einem Arzt und Krankenpflegern behandeln lassen kann. Dieser Messias, den Jesaja uns vorstellt, wird achtsam sein. Er wird einen Unternehmer, der in die Schuldenfalle geraten ist, aus seiner Verzweiflung herausführen. Und er wird Eltern, die um ein Kind trauern, nicht beschwichtigen mit Worten wie „das Leben geht weiter“, sondern ihre Trauer aushalten. Er wird in seiner Familie Streit schlichten und nicht nachtragend sein. Als die Menschen, die ihre Bibel kannten und auf den Messias hofften, Jesus begegneten, waren sie sofort davon überzeugt und bekannten: „Das ist der, den Jesaja uns angekündigt hat!“ So lasst uns denn Jesus nachfolgen und zärtlich, behutsam und achtsam miteinander umgehen!

 

Hanna Strack

 

 

Sonntag vor der Passionszeit

 

Das sind die sieben Werke der Barmherzigkeit: Hungernden Essen geben – Durstige tränken – Fremde beherbergen – Nackte bekleiden – Kranke pflegen – Gefangene besuchen – Tote beerdigen. So ist es auf der Wartburg zu lesen, wo Elisabeth von Thüringen Barmherzigkeit übte. Der Predigttext heute bringt es auf den Punkt: Nicht das Fasten als solches ist ein gutes Werk, zumal wenn daneben gestritten wird oder jemand den Kopf hängen lässt und in Sack und Asche geht. Gott liebt aber das Fasten, das in diesen sieben Werken der Barmherzigkeit Gestalt gewinnt. Im Islam ist das Fasten während des Monats Ramadan ( in diesem Jahr im  November) von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang ein Gebot, das aber nicht zu trennen ist von dem Gebot, Almosen zu geben. Fasten und Almosengeben sind zwei der fünf Säulen des Islam. Beide, christliche Religion und Islam haben ihre Wurzeln im Alten Testament, beide kennen wir diese Worte des Propheten Jesaja: Das aber ist ein Fasten, an dem ich Gefallen habe: … Brich dem Hungrigen dein Brot, und die im Elend ohne Obdach sind, führe ins Haus! Wenn du einen nackt siehst, so kleide ihn, und entzieh dich nicht deinem Fleisch und Blut (Jes 58, 6+7).

 

Hanna Strack

Der Glaube

 

Aus Glauben ist Abraham ausgezogen, ohne zu wissen wohin. Aus Glauben empfing Sara die Kraft, ein Kind zu bekommen, obwohl sie zu alt war. Sie hielt Gott für treu, er hatte ihr das Kind verheißen. Abraham und Sara waren nicht einfach naiv. Sie hatten eine feste Zuversicht. Diese Art zu glauben ist anders als das Glauben im Glaubensbekenntnis, wenn wir sagen: Ich glaube an… oder: ich glaube, dass… Diese Art zu glauben ist auch nicht begründet in der Erfahrung, dass schon alles gut werden wird. Dieser Art zu glauben geht die Hoffnung voraus und die Zuversicht, dass Gott treu ist. Was tue ich „aus Glauben“? Welchen Schritt wage ich aus Hoffnung? Was hat denn Gott mir verheißen? Inwiefern ist er auch bei mir treu? Gott verheißt mir, was Jesus sprach und tat: Erschöpfte aufrichten, Geschichten der Hoffnung erzählen, Gottes Liebe verkünden. Aus Glauben richte ich mich auf, aus Glauben mache ich mich auf die Suche nach dem, was meine Seele dringend braucht, aus Glauben hoffe ich auf Liebe in meiner Einsamkeit, aus Glauben resigniere ich  nicht, denn „Es ist aber der Glaube eine feste Zuversicht auf das, was man hofft, und ein Nichtzweifeln an dem, was man nicht sieht.“ Hebr 11,1

 

Hanna Strack

 

 

In der Passionszeit

 

Ein Kind starb im Mutterleib. Eine große Trauer erfüllt Mutter und Vater, Geschwister und Großeltern. Die Wiege bleibt leer. Auch ein ganz kleines Kind darf heute beerdigt werden und als Text für die Ansprache wählen die Trauernden ein Wort des Propheten aus: „Gott spricht: Ich habe dich einen kleinen Augenblick verlassen.“ (Jes 54, 7) Die verwaisten Eltern haben in einem einzigen Augenblick ihre Hoffnung und Freude verloren und sie trauern darum ein Leben lang. Sie können nicht getröstet werden und sie hassen Beschwichtigungen. Ein Leben lang ringen sie um Gottes Erbarmen mit ihrer Seele. Und sie erfahren dabei, was der Prophet weiter von Gott sagt: „… aber mit großer Barmherzigkeit will ich dich sammeln .. mit ewiger Gnade will ich mich deiner erbarmen. Es sollen wohl Berge weichen und Hügel hinfallen, aber meine Gnade soll nicht von dir weichen!“  Nun hat die Sehnsucht ein Ziel: die umfassende Einheit von Leben und Tod in Gott. Dies erkennen zu können, das ist die Gnade, die die Trauernden erfahren, das Geschenk, das innerlich zur Ruhe führt.

 

Hanna Strack

 

 

Palmsonntag

 

Wir treten heute ein in eine ganz besondere Woche. Es ist die Karwoche. Sie ist geprägt von jenen dramatischen Ereignissen um Jesus von Nazareth: Es beginnt mit seinem grandiosen Einzug in Jerusalem, wo Menschen ihm zujubeln und Palmzweige vor seinem Weg ausbreiten. Dann bittet Jesus im Garten Getsemane im Gebet zu Gott: „Lass diesen Kelch an mir vorüber gehen!“ Jesus wird gefangen genommen, geschlagen, verurteilt, gekreuzigt und mit Beginn der neuen Woche verkünden die Frauen, die ihn einbalsamieren wollten: „Jesus lebt! Seine Botschaft bleibt gültig!“ In diese Woche der äußersten Erfahrungen, die ein Mensch durchleben kann, mündet das kurze öffentliche Wirken unseres Heilandes. Doch was hat er uns zuvor in den Jahren seines Wanderns alles vorgelebt, wie hat er Menschen um sich gesammelt, Kinder gesegnet, Kranke geheilt, Glaubende gestärkt, in Sünden Gefangene befreit, Feinde miteinander versöhnt und in diesem allen Gottes Liebe verkündet! Deshalb „Lasst uns aufsehen zu Jesus, dem Anfänger und Vollender des Glaubens!“ (Hebr. 12,2)

 

Hanna Strack

 

Karfreitag

 

Am frühen Nachmittag des Karfreitag gedenken wir der Todesstunde Jesu. Es ist eine Zeit, in der wir still werden. Wir halten uns das Leiden Jesu, sein furchtbares Sterben dieser Todesstrafe der Kreuzigung, vor Augen. Wir gedenken dabei auch der Menschen, die durch Gewalt ums Leben kamen, die Verkehrstoten, und die, die gefoltert, gequält und umgebracht wurden, seien es politisch Unliebsame, seien es Frauen in häuslicher Gewalt. In der Todesstunde Jesu lasst uns dem Sinn ihres Sterbens nachdenken! Lasst uns aushalten, dass wir zunächst keinen Sinn finden! Für Jesu Tod gibt es erstaunlich viele Antworten: Strafe für politischen Aufruhr, Konsequenz seiner bedingungslosen Liebe, stellvertretendes Sterben für die Sünden der Menschen, wie ein Lamm auf der Schlachtbank, oder um Gottes Willen zu erfüllen. Wenn wir nun nach dem Sinn des Todes aller anderen fragen, werden wir auch verschiedene Antworten bekommen. Lasst uns in der Stille der Todesstunde Jesu darüber nachdenken. Dann werden wir uns am Ostermorgen den Stimmen der Hoffnung öffnen können!

 

Hanna Strack

 

 

 

Blick nach vorn

 

Du kannst andere nur begeistern, wenn Du selbst entflammt bist! Geist und Flamme sind hier die beiden Bilder eines alles mitreißenden Neubeginns. Dein Leben verlief bisher nach dem gleichen Trott, ja es verlief im Sande. Und nun hat Dich eine Begeisterung erfasst, weil Du erlebt hast, wie die Mauern um Dich herum fielen, Ängste und Abwehrmechanismen keine Macht mehr über dich  haben! Alle Zweifel, alle Sinnlosigkeit, Demütigungen und Verletzungen liegen hinter Dir. Was war das? Du hast zum ersten Mal gespürt, wie Gottes Geist in Dir atmete, zu Dir sprach: „Wer die Hand an den Pflug legt und blickt zurück, ist nicht geeignet zum Reich Gottes!“ (Luk 9,62). Eine Tür hat sich geöffnet und Du trittst ins Freie! Alle, mit denen Du zu tun hast, lassen sich anstecken von dieser Begeisterung für das Leben aus dem Geist Gottes und werden wie Du Feuer und Flamme. Wirklich alle? Nein, da sind Menschen, die schrecken zurück vor soviel Feuer. Sie fühlen sich bedroht. Sei Dir dessen bewusst, dass Du Menschen mitreißen und Menschen abschrecken kannst. Bleibe Dir treu aber sei auch behutsam!

 

Hanna Strack

 

 

Richtet nicht!

 

Was siehst du den Splitter im Auge deines Bruders, aber den Balken in deinem eigenen Auge siehst du nicht! (Mt 7, 3) So mahnt uns Jesus in der Bergpredigt. Wir verstehen dies am besten, wenn wir es durchbuchstabieren: Ich sehe einen kleinen Fehler bei meiner Schwester, den großen Fehler, den ich selbst begehe, sehe ich nicht. Du siehst den kleinen Fehler bei deinem Kollegen, den großen Mist, den du selbst baust, siehst du nicht! Ein Volk sieht den kleinen Fehler bei seinem Nachbarvolk, die eigenen großen Fehler aber sieht es nicht! Wenn wir aber an den anderen herum kritisieren und sie verurteilen, dann fällt die Kritik schnell auf uns zurück und es steht schlimmer um uns als um die anderen! Deshalb sagt Jesus auch in der Bergpredigt: Richtet nicht, auf dass ihr nicht gerichtet werdet! (Mt 7,1)

Das sind Worte der Weisheit. Es sind keine Gebote, die Gehorsam verlangen würden. Die Weisheit appelliert an die Einsicht von uns Menschen. Wir sollen unsere Einstellung ändern, weil wir einsehen, dass wir falsch liegen. In einer ruhigen Minute müssen wir unbedingt darüber nachdenken!

 

Hanna Strack

 

 

Augsburgisches Bekenntnis

 

Die Reformationszeit war eine stürmische Zeit. Alles ging drunter und drüber. Was die Kirche bisher verlangte, war von Dr. Martinus Luther aus den Angel gehoben worden. Aber was ist nun das Neue? Dieses Problem stellt sich bei jedem Umsturz. Das Neue? Einfach Freiheit? Nein, das Zusammenleben der Gläubigen und das, was sie jetzt bekennen sollten als ihren neuen Glauben – das musste sehr genau durchdacht und in gute Sätze gefasst werden. Der Kaiser wollte genau wissen, was seine Kurfürsten da einzuführen gedachten. Beim Reichstag in Augsburg im Jahr 1530 wurde das neue Bekenntnis vorgelesen und dem Karl V übergeben. In 28 Artikeln hat Luthers Freund Melanchthon die neue Lehre entfaltet und die alten Artikeln verworfen. Im Mittelpunkt stand: Wir sind vor Gott gerecht allein aus Glauben um Jesu Christi willen.

Heute haben wir andere Probleme und sprechen mit anderen Worten. Deswegen schreiben viele von uns neue Glaubensbekenntnisse, von denen eines vielleicht einmal allgemeine Gültigkeit erfährt wie das Augsburger Glaubensbekenntnis.

 

Hanna Strack

 

 

Fürsorge Gottes für die Menschen

 

In einem Friedenscamp lernt eine Kindergartengruppe beim Unkrautjäten, wie sie achtsam und behutsam mit der Natur umgehen sollen. Gerade zeigt die Betreuerin, dass dieses eine Unkraut eine sehr lange Wurzel hat wie ein Faden, der nicht abreißen darf. Da schaut ein Junge sie an und sagt: „ Wie ich noch im Bauch meiner Mutter war, habe ich geträumt, dass ich an so einem langen Faden mit dem Himmel verbunden bin.“ Der Junge erlebte diesen Traum als Zeichen für Gottes Fürsorge. Er wusste sich für immer verbunden mit der göttlichen Welt. Dieser Traum erinnert auch uns daran, dass wir nicht aus Gottes Kraftstrom herausfallen können, auch wenn wir schmerzliche Erfahrungen machen müssen. Ja, dann gerade ist diese Verbindung eine Zufuhr von Wärme und Kraft. Gott sorgt nicht für uns, indem er uns in Watte packt. Wir sind allen Gefahren von außen und allen Fehlentscheidungen im Innern ausgesetzt, auch das Alter schützt uns nicht vor Torheit. Aber Gottes Fürsorge schenkt uns Sicherheit und Mut, wir sind nie allein, wir bleiben in Verbindung mit Gott.

 

Hanna Strack

Barmherzigkeit

 

Barmherzigkeit ist ein Gefühl, das wir im Körper spüren können. Wo würden wir unsere Hände hinlegen, wenn wir Barmherzigkeit ausdrücken wollten? Auf die Magengegend, auf das Sonnengeflecht! Da ergreift uns ein Mitleiden, ein Bedürfnis zu helfen. Wenn ein Vogel mit gebrochenem Flügel auf dem Weg liegt, wenn das Fernsehen Bilder von hungernden Kindern zeigt, dann ergreift uns dieses Gefühl des Erbarmens. Es drängt uns, die Not zu lindern. Anders aber doch auch körperlich erfahren wir das Wort „Barmherzig“ in der Liturgie des Gottesdienstes. Da singen wir: „Kyrie eleison“. Wir bitten Gott, dass er sich unser erbarmen möge, dass er sich mit seiner Barmherzigkeit uns zuwenden möge, dass er unsere Not lindern möge. Wenn wir uns beim Singen diese weit ausgebreiteten Arme Gottes vorstellen, dann spüren wir auch das körperlich, wie Gott uns in seine Arme nimmt, wie wir geborgen sind in seiner Barmherzigkeit, in seiner Liebe. Wir erfahren es mit unserer ganzen Person, mit Leib und Seele, dass Gott unsere Sorgen versteht und mit uns solidarisch ist.

 

Hanna Strack

 

 

Der Glaube schafft schon in dieser Welt eine neue Wirklichkeit

 

Moskau, Sommer 1955. Im Puschkin-Museum sind für eine kurze Zeit Gemälde aus der Dresdener Galerie ausgestellt. Ich unterbreche für zwei Tage meine Reise, übernachte bei Bekannten und laufe im Morgengrauen zum Puschkin-Museum hin. Bei Spekulanten kann ich eine letzte Eintrittskarte kaufen. So gerate ich für zwei Stunden in die Welt mir noch unbekannter Werke der großen Künstler. Am Ende der Besichtigung erwartet uns die Begegnung mit der „Sixtinischen Madonna“ von Raffael. Der Besucherstrom bleibt ein paar Minuten in ehrfurchtsvoller Stille stehen: Aus der Tiefe einer hellen Nische schauen uns – von himmlischer Reinheit erfüllt – die Mutter und ihr göttliches Kind an. Das Bild strahlt aus, ergreift: Die Jungfrau Maria bringt der Welt ihr Kind dar. Und das Kind schaut uns mit ernstem vorhersehendem Blick an und ist bereit, zu uns zu gehen, und uns im Leben zu begleiten. In diesem Bild offenbarte sich für mich, die ich im  materialistischen Denken erzogen war, eine andere Welt. Sie erweiterte meine Vorstellung vom Dasein und erweckte in mir den Glauben, dass das Leben von einer göttlichen Kraft in Liebe und Weisheit getragen wird.

 

Hanna Strack nach einer Erzählung von Eleonora Kostjuk

 

Trinitatis

 

Wie leben wir Menschen die Beziehung zu dem dreifaltigen Gott? Am Anfang der Kirche hatten die Menschen gefragt: Bis jetzt haben wir nur an Gott geglaubt, jetzt hat Gott aber in Jesus Christus seinen Sohn zu uns gesandt. Wie verhalten sich nun Gott und Jesus zueinander? Sind sie zwei Götter oder sind sie eine Einheit? Und wenn Jesus zusammen mit Gott wirkt, wie steht dann der Heilige Geist zu ihnen? Die Kirchenväter haben darauf geantwortet: Gott und Christus und der Heilige Geist – alle drei wirken zusammen zum Heil von uns Menschen. So entstand die Lehre von der Dreifaltigkeit. Für uns heute bleibt diese Botschaft: Gott ist zu uns gekommen in Jesus Christus. Mit beiden bleiben wir verbunden durch den Heiligen Geist. Nun vertrauen wir darauf, dass unser Leben eingebettet ist in die Liebe Gottes, wie Jesus sie offenbart hat. Unsere Gebete und Lieder im Gottesdienst sprechen diese Dreifaltigkeit an:

Wir feiern Gottesdienst im Namen Gottes, der Leben für alle schuf,

im Namen Jesu Christi, der sein Leben gab für unsere Befreiung,

im Namen der schöpferischen Geistkraft, die alles mit Leben erfüllt.

Amen

 

Hanna Strack

 

 

 

2. Sonntag nach Trinitatis

 

Wir sollen das Wort Gottes nicht nur hochachten und pflegen, sondern auch verkünden und leben. Was ist damit gemeint? Wir sind vor Gott so recht, wie wir sind, weil Christus für uns gerade steht. Das ist das Wort Gottes und das wirkt direkt in unseren Herzen, so wie jemand sagt: Ich mag dich gern nicht trotz sondern gerade mit deinen Fehlern. Auf dieses Wort Gottes sind wir getauft, darauf verlassen wir uns und das pflegen wir in unserem Gedächtnis. Wie aber verkünden wir es? In unserer Welt werden wir geliebt, wenn wir tüchtig und angepasst sind. Dagegen bestehen wir nun mit Gottes Wort darauf, dass wir Menschen annehmen, wie auch immer sie sind, weil auch Gott sie so annimmt. Wir nehmen sogar die Straffälligen als Menschen so an, wenn wir auch ihre Tat verurteilen. Natürlich müssen wir manchen Menschen dennoch Grenzen setzen. Das Verkünden und das Leben wird so eine gemeinsame Sache. Wir sagen es in Diskussionen und wir gehen mit unseren Mitmenschen entsprechend um: Gott ist Liebe und wer in der Liebe bliebt, der bleibt in Gott und Gott in ihm. (1. Joh 4, 16b)

 

Hanna Strack

 

 

Hochmut und Demut

 

„ Wer beim Erklettern eines Baumes zuerst nach dem höchsten Zweig greift, der wird zumeist in plötzlichem Sturz fallen. Wer aber bei der Wurzel aufzusteigen beginnt,der kommt nicht so leicht zu Fall, wenn er Schritt für Schritt vorsichtig weitergeht. Wer sich dem Hochmut hingibt, der entbehrt der Liebe Gottes und er wächst nicht im Tau des Segens der Tugenden auf. “ So spricht Frau Demut. Sie ist eine  der sieben Gotteskräfte, die Hildegard von Bingen in einer großartigen Vision geschaut hat. Hildegard beschreibt Frau Demut so: Sie ist mit grünen und roten Edelsteinen und mit weißen Perlen geschmückt, auf dem Haupt trägt sie eine Krone und auf der Brust erscheint das Bild Christi. Dass wir beim Klettern unten am Baumstamm beginnen müssen und nicht einfach oben hineinspringen können, weil dabei der Ast abbricht und wir abstürzen, das leuchtet uns unmittelbar ein. Hildegard versteht Demut nicht als ein Unterwürfigsein. Demut ist ein Sicheinordnen in den Zusammenhang, in dem wir leben. Wer so handelt, ist nicht unterwürfig sondern einfach weise.

 

Hanna Strack

 

 

Umgang mit den Talenten

 

Das Gleichnis von den Talenten erzählt von drei Knechten, die von ihrem Herrn vor seiner Abreise Talente, das ist Geld, bekamen. Zwei der Knechte sind aktiv, setzen auch auf Risiko und gewinnen dazu, einer aber geht auf Nummer Sicher, gräbt die Talente ein bis zur Rückkehr des Herrn und hat nichts dazu gewonnen. Das Gleichnis will sagen: Unternehmt etwas mit Euren Begabungen, haltet euer Licht nicht unter den Scheffel, engagiert euch, dann werdet ihr Gott gefallen. Heute lese ich dieses Gleichnis mit den Augen und mit dem Herzen von Menschen, die es nicht schaffen: mit den Augen und mit dem Herzen einer Frau, die ihre schwer kranke Mutter pflegt und mit den Augen und mit dem Herzen eines Pastors, der an Depression erkrankt ist. Es ist beiden so, als läge ein schwerer Stein – die aufopfernde Arbeit, die seelische Krankheit – auf der Quelle der Kraft, die sie bräuchten, um ihre Talente einzubringen. Soll Jesu Gleichnis von den Talenten wie seine ganze Botschaft befreiend wirken, dann muss ich annehmen, dass der Knecht, der seine Talent nicht vermehrt, auch ein von Gott Geliebter ist. So verstehe ich Jesus richtig!

 

Hanna Strack

 

 

Die christliche Ehe

 

Was ist der Grund und der Anlass für die Ehe in unserer heutigen Zeit? Es ist die Liebe zweier Menschen zu einander. Was ist der Grund und der Anlass dafür, dass in unserer Zeit fast jede zweite Ehe wieder geschieden wird? Enttäuschung, Hass, kindliches Glücksverlangen, mangelnder Spannungsbogen, menschliche Reife. Jesus sagt: „Um eures Herzens Härte willen hat Moses es zugelassen, einen Scheidebrief zu schreiben“, Mark. 10,4+5. Und das obwohl doch in der Schöpfungsgeschichte steht: „Darum wird ein Mann seinen Vater und seine Mutter verlassen und wird an seiner Frau hängen…und sie werden ein Fleisch sein“, 1.Mose 2,24 und Jesus sagt dazu: „Was nun Gott zusammengefügt hat, soll der Mensch nicht scheiden“, Mark 10,9. Das sind die Sätze, die in der kirchlichen Trauung vorgelesen werden. So ist es zwar gut, wenn die Liebe die Grundlage der Ehe ist, aber wir sollen auch auf das achten, was des Herzens Härte genannt wird und rechtzeitig diese Verriegelungen lösen. Manche tun gut, sich dabei von Menschen helfen zu lassen, die in der Seelsorge ausgebildet sind. Und am besten ist es, dieses Angebot  rechtzeitig in Anspruch zu nehmen, damit die Liebe erhalten bleibt.

 

Hanna Strack

Versöhnung

 

Ich bin nach der Wende vom Westen in eines der neuen Bundesländer gezogen. Meine Nachbarin zu Rechten war und ist Lehrerin. Die Familie zur Linken hat einen Sohn, der in der DDR-Zeit Schüler der Lehrerin war. Sie hat es verhindert, dass der Junge studieren konnte, weil seine Eltern nicht in der Partei waren. Wie kann Versöhnung zwischen diesen beiden Familien geschehen? Jesus sagt: sieben mal siebzig Mal sollt ihr vergeben, Matth. 18,22. Die Lehrerin bekennt sich aber nicht zu ihrer Schuld. So kann keine Versöhnung stattfinden. Es gibt andere Beispiele, da ist der Täter auf das Opfer zugegangen, manchmal auch nur am Telefon, und hat um Verzeihung gebeten. Da haben viele vergeben und Vergebung erfahren und Täter und Opfer haben sich versöhnt. Jesus verlangt, dass wir uns „von Herzen vergeben, ein jeder seinem Bruder“, Matth. 18,35, und ich füge im Blick auf die Lehrerin hinzu: „eine jede ihrer Schwester.“ Aber solange das Eingeständnis der Schuld nicht da ist, können die Menschen hier nur ihre Herzen offen und bereit halten für den Tag einer möglichen Versöhnung.

 

Hanna Strack

 

 

Diakonie – stark sein für andere

 

Herr M. liegt seit einem halben Jahr im Koma, jetzt im so genannten Wachkoma. Seine Frau  kommt fast täglich an sein Bett im Therapiezentrum. Sie erzählt ihm gerade von den Enkelkindern und plötzlich huscht ein zartes Lächeln um seine Mundwinkel. Das sind Augenblicke, die Frau M. Kraft geben. Muss sie doch immer stark sein für ihren Mann, seine Angelegenheiten regeln, die Pflegenden unterstützen, seine innere Abwesenheit schmerzlich ertragen. Frau M. ist stark geworden für ihren Mann. Die Quelle ihrer Kraft ist dieses Lächeln, ist die Hoffnung, er möge aufwachen, ist das Mitgefühl anderer und ist das Vertrauen in Gottes Nähe. Wir kennen den Ausdruck „Teufelskreis“. Dies hier ist das Gegenteil, wir müssten es einen „Engelskreis“ nennen oder einen  „Wärmekreis“. Denn wenn wir unsere Kraft für andere einsetzen, bekommen wir etwas zurück und daraus entwickelt sich wieder neuer Mut, neue Kraft. Das wissen Menschen, die privat pflegen, das wissen auch alle, die in den Einrichtungen der Diakonie arbeiten. Ein Lächeln kann Kräfte frei setzen.

 

Hanna Strack

 

 

Wo ist Gott?

 

Wo ist Gott? fragt das Kind seine Großmutter. Und sie antwortet ihm geduldig: Gott ist in unserem Herzen, wenn wir miteinander reden und uns gegenseitig gut zuhören. Wo ist Gott noch? fragt das Kind weiter. Gott ist in unseren Stimmen, wenn wir singen. Wo noch? Gott ist in unseren Füßen, wenn wir tanzen. Und wo ist Gott noch? Gott ist in unseren Händen, wenn wir sie einem Menschen freundlich entgegenstrecken. Und ist Gott auch bei den Sternen? Ja, Gott leuchtet uns zu, damit wir klare Gedanken bekommen. Und wo ist Gott noch? Wenn du abends zu ihm betest, ist Gott ganz nahe bei dir! Wenn ich aber traurig bin? Dann tröstet Gott dich, indem er in dir neuen Lebensmut wachsen lässt. Aber Gott tut mir gar nicht weh, obwohl er mitten in mir drin ist! Nein, sagt die Großmutter, und sie gibt dem Kind weiter, was sie selbst erfahren hat: Gott tut gut. Dann will ich immer voll Gott sein, sagt das Kind.

 

Hanna Strack

 

 

 

Letzter Sonntag des Kirchenjahres

 

„Wachsam sein – achtsam sein“ – das rufen uns die jungen Frauen aus einer Geschichte zu, die Jesus denen, die sich um ihn scharten, erzählt hat im Sinne einer Symbolgeschichte: Nach der Hochzeitsitte ihres Landes hatten die jungen Frauen im Haus des Bräutigams gewartet und als dieser um Mitternacht kam, um die Wartenden mit in den Festsaal zu holen – so immer noch die Sitte -. hatte die Hälfte der Frauen kein Öl mehr vorrätig für ihre Lampen. Ohne Licht kein Einzug in den Festsaal! „Wachsam sein – achtsam sein!“ Wir wollen nicht den Moment verpassen, wo wir das Leben und die Freude an Gottes Schöpfung feiern können. Deshalb sind wir achtsam auf die Zeichen des Lebens und der Schöpfung. Das Gleichnis Jesu spricht von einer Hochzeit – es passt genauso gut zu einer Geburt. Die Hebamme, die achtsam ist, ermöglicht den neuen Eltern eine  Zeit des Alleinseins, indem sie sich gleich nachdem das Kind geboren ist für eine Weile zurückzieht, nur den Türspalt offen – sie schenkt ihnen das Fest, über das Wunder des Lebens zu staunen. Achtsam und wachsam ist sie für das Fest des Lebens.

 

Hanna Strack