Hanna Strack » Spiritualität der werdenden Familie

 

„Du hast mich gewoben im Schoß meiner Mutter“

Theologie der Geburt und Spiritualität in der Familiengründungsphase

 

Ankündigung: Im Herbst 2012 wird ein Buch mit meditatioven Texten dazu im Tyrolia-Verlag, Innsbruck erscheinen.

 

Gebären wie das Wachsen im Mutterschoß und das Geboren-werden lassen sich als tief spirituelle Erfahrungen beschreiben. Höchste Zeit, diese theologisch gründlicher zu reflektieren und seelsorglich besser zu begleiten. Anstöße zu einer neuen Aufmerksamkeit.

Die Geburt und mit ihr die Themen Empfängnis, Schwangerschaft und Wochenbett sind bisher moraltheologisch bedacht worden, jedoch blieben sie lange Zeit schöpfungstheologische und liturgische Leerstellen. Das Geborensein des Menschen aus dem Mutterleib wurde missachtet, vereinnahmt oder vergessen.[i] Das änderte sich in den letzten Jahren durch die Rezeption von Hannah Arendts Perspektivenwechsel von Mortalität zu Natalität, den sie in ihrem Buch „Vita activa – oder vom tätigen Leben“ vollzieht. So „wie Sterblichkeit seit eh und je und im Abendland zumindest seit Plato der Tatbestand war, an dem metaphysisch-philosophisches Denken sich entzündete,“ ist heute die Zeit gekommen, Natalität ebenso als ein „entscheidendes Kategorien bildendes Faktum“ zu sehen. Daraus folgert Hannah Arendt, dass Menschen immer wieder neu anfangen können.[ii]

Nun gilt es, über Hannah Arendt hinaus, die Familiengründungsphase in Theologie und Kirche wahrzunehmen, zu reflektieren und die kirchliche Praxis dafür zu öffnen. Denn Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett sind Zeiten der Offenheit gegenüber der Transzendenz, sie ermöglichen spirituelle Erfahrungen, die für die Beteiligten tief greifend und neu sind.

Wie begleiten Gesellschaft und Kirche heute die Menschen in dieser Lebensphase? In den Industrienationen dominiert das neuzeitliche medizinisch-technische Verständnis des Körpers als einer Art Maschine, die gut zu funktionieren hat und gegebenenfalls zu reparieren ist. Die Ausdrücke „Geburtsapparat“ für die Gebärmutter und „Geburtsobjekt“ oder „Produkt der Empfängnis“ für das Kind entstehen aus dieser Sichtweise. Die konkreten Erfahrungen im Zusammenhang mit Geburt sind dagegen immer fragil, immer in der Spannung zwischen Machbarkeit und Unverfügbarkeit. Sie weisen hin auf das Angewiesensein auf die tragenden Kräfte des Lebens, auf Gott.

Die Ethnologin und Hebamme Angelica Ensel schreibt: „Spiritualität kann ein Gegenpol zum Risikokonzept der Pränataldiagnostik sein. Während Pränataldiagnostik Trennungen herstellt und Beziehungen zerstört, geht es auf spiritueller Ebene immer darum, Beziehungen und Verbindungen herzustellen … Die spirituelle Ebene in den Kontext von Pränataldiagnostik einbeziehen, heißt, Frauen zurückzuführen, zu sich selbst, zu ihrem Kind, zur Geschichte dieser Schwangerschaft.“[iii]

Kann diese Spiritualität sich auch aus jüdisch-christlichen Wurzeln speisen oder bleibt sie wie derzeit oft zu bobachten auf östliche Weisheit und deren Rituale beschränkt? Ich werde im Folgenden eine Theologie aus der Erfahrung der Geburtlichkeit in zwei Schritten skizzieren, ausgehend von unterschiedlichen Ansätzen: im Dialog von biblischen Texten und pränataler Medizin/Psychologie und im Dialog von Hebammen und der Kategorie des Heiligen.

Bibel und pränatale Psychologie

Die weiblichen Lebenszusammenhänge in der Bibel sind uns vierfach verstellt: Biblische Texte wurden von Männern geschrieben, Jahrhunderte lang von Männern übersetzt, von Männern für den liturgischen Gebrauch ausgewählt und oft mit körperfeindlichen Grundeinstellungen kommentiert. Das hat sich heute geändert. Helen Schüngel-Straumann und Luzia Sutter Rehmannn, Irmgard Fischer, Maria Häusl, Marianne Grohmann u.a. haben in den letzten zwanzig Jahren Frauenerfahrungen in ihre Exegesen mit eingearbeitet.

So wird heute etwa die Rolle der Frau als Mit-Schöpferin neu gesehen. Eva, die Mutter alles Lebendigen, erklärt z.B. den Namen ihres Sohnes Kain als Ausdruck ihres Zusammenwirkens mit Gott: „Dann erkannte der Mensch als Mann die Eva, seine Frau; sie wurde schwanger, gebar den Kain und sprach: Hervorgebracht habe ich einen Mann mit Jahwes Hilfe“ (Gen 4,1).[iv] Das hebräische Wort kaniti = hervorbringen hat eine Parallele in Spr 8,22: Gott schuf (= kaniti) die Weisheit zu Beginn der Schöpfung.

Ähnlich verweisen die Worte in Ps 139,13-16, die das Weben und die Tiefe der Erde als mythische Bilder aufgreifen, darauf, dass Gott das Kind in der Gebärmutter webt. „Denn, du hast meine Nieren gebildet, du hast mich im Bauch meiner Mutter gewoben. Ich danke dir, dass ich erschreckend wunderbar geworden bin. Wunderbar sind deine Werke, und ich weiß das genau. Mein Gebein war nicht verborgen vor dir, als ich im Geheimen gemacht wurde, als ich buntgewirkt wurde in den Tiefen der Erde. Mein Knäuel haben deine Augen gesehen.“[v]

Gott schafft den Menschen mit dem mütterlichen Körper zusammen. Dennoch bleibt der unendlich qualitative Unterschied zwischen Gott und Mensch bestehen. Die Frau ist nicht Schöpferin, sie ist Mitschöpferin. Die Unverfügbarkeit bleibt. Das zeigen auch Erfahrungen von unerfülltem Kinderwunsch, Krankheit und Fehlgeburt, die heute wie zu biblischen Zeiten die Familiengründungsphase prägen können.

Erkenntnisse der Medizin und Psychologie

Die Gebärmutter ist nicht das Gefäß, in dem das Kind heranwächst wie eine Pflanze im Topf. Es geschieht ein andauernder körperlichen und seelischen Austausch zwischen Mutter und Kind, dieses Zwei-in-Einem. Die Gebärmutter ist „chora“, ist ein Marktplatz, auf dem hin- und hergegangen, sich aufgehalten und sich ausgetauscht wird.[vi] Die Gebärmutterschleimhaut ermöglicht und prägt das Leben des Kindes. Forschungen der embryonalen Gehirnentwicklung weisen hin auf das Zusammenwirken des mütterlichen und kindlichen Körpers. Hormone wie Spurenelemente wirken in das Kind hinein.

Das pränatale Kind hat ein korporales Gedächtnis. Es spürt die Stimmungen der Mutter und gibt Signale zurück. Es lernt die Grundmelodie des Lebens.[vii] Die Mutter ist ihrerseits den Stimmungen ihrer Familie und der Gesellschaft, in der sie lebt, ausgesetzt.

Das Kind fühlt sich wie im Paradies, aber es spürt auch Angst. Es erfährt die Ambivalenz von Geborgenheit und Verlassenheit, Schutz und Begrenzung, auch Gewalt, zerstörerische und krankmachende Erfahrungen. Es erfährt die Liebe der Mutter und auch die des Vaters, aber auch deren Ablehnung. Der Vater ist idealerweise der schützende Raum, für beide, Mutter und ungeborenes Kind. Positive Erfahrungen in der Pränatalzeit können Selbstvertrauen, Vertrauen in andere Menschen und in eine göttliche Kraft ermöglichen.

Der Mutterschoß ist der „Wurzelgrund der Seele, zu dem wir uns immer wieder in Beziehung setzen.“[viii] Die pränatalen Erfahrungen sind hier der Boden, in dem der Lebensbaum seine Wurzeln, sein ganzes Wurzelgeflecht hat, aus denen Menschen die Kraft zum Wachsen, Blühen und Fruchtbringen ziehen.

Transzendenzerfahrungen

Folgende Erfahrungen des vorgeburtlichen Kindes können als Erfahrungen der Nähe Gottes verstanden werden: vier urtraumatische Situationen des Nah-Tod-Erlebens (die Zeugung, die Einnistung, die Zeit der Erkennens, dass die Frau schwanger ist, die Geburt); die Erfahrung des „Großen Bewegenden“, gehalten, getragen und verstanden zu werden, geschützt und begrüßt zu sein; die mütterliche Stimme als vox coelestis; die Urkraft, die zum Wachstum und zur Daseinsentfaltung drängt; die Plazenta als eine Quelle der Nahrung und der Kraft. Diese pränatalen Transzendenzerfahrungen bieten auch einen Verstehenshorizont für die biblischen Texte des Erwählt- und Getragenseins von Mutterleib an.[ix]

Pränatale PsychologInnen sprechen von der Seele. Sie ist ein Symbol für das psychosomatische Erleben, das korporale Gedächtnis, die vorsprachlichen Gefühle, das sinnenhafte Erleben, die schöpferischen Gestaltungen, das In-Liebe-miteinander-Verbundensein, die Identität, das Selbst und die Fähigkeit zur transpersonalen Erfahrung. Darüber hinaus ist die Seele selbst „voller Transzendenzerfahrung“[x]. Sie steht in Verbindung zu Gott, dem Schöpfer und Urstrom des Lebens.

Gottesbilder

Der Blick auf weibliche Lebenszusammenhänge in biblischen Texten zeigt, dass Gott mit Frauenerfahrungen zusammen gebracht wird. Es ist deshalb notwendig für eine Theologie der Geburt, auf die Gottesbilder einzugehen. Dabei muss unterschieden werden zwischen Gott und Gottesbild.

Weibliche Gottesbilder, die mit der Geburtsthematik zusammen hängen, finden sich in: Ps 22,10: Gott im Bild der Hebamme; Jes 42, 14 und Ps 90, 2: Gott im Bild einer Gebärenden; Jes 44, 2: Gott als im Mutterleib Wirkende, als Amme.[xi] Hiob 10,9-11: Gott im Bild der Weberin, des Töpfers, Käsers. „Barmherzigkeit“ ist im hebräischen ein Pluralwort von rächäm =Gebärmutter, das gefühlsmäßig meint: mitleben lassen. Wir können also auch von der Mutterschößigkeit Gottes sprechen.

Die Forschungen der pränatale Medizin und Psychologie geben eine tiefe Einsicht in das Zusammenwirken des mütterlichen und kindlichen Körpers und in die seelische Grundlegung des Menschen in seiner ersten Heimat. Dies entspricht dem Wissen der Menschen im Alten Europa wie im Vorderen Orient, d.h. in der hebräischen Bibel, in Texten wie in mythischen und metaphorischen Bildern aus Babylonien und Ägypten. So heißt es im Sonnengesang des Echnaton: „Der du den Samen sich entwickeln lässt in den Frauen, der du ‚Wasser’ zu Menschen machst, der du den Sohn am Leben erhältst im Leib seiner Mutter und ihn beruhigst, sodass seine Tränen versiegen – du Amme im Mutterleib! – der du Atem spendest, um alle Geschöpfe am Leben zu erhalten. Kommt (das Kind) aus dem Mutterleib heraus, um zu atmen am Tag seiner Geburt, dann öffnest du seinen Mund vollkommen und sorgst für seine Bedürfnisse.“

Begegnung mit dem Heiligen

Hebammen haben die größte Geburtserfahrung, deshalb soll hier eine Hebamme zu Wort kommen: „Der kraftvolle Prozess der Geburt ist wie ein Schöpfungsakt, an dem die Frau durch ihre Fähigkeit zu gebären aktiv teilhat. Die Gebärmutter ist der größte Muskel, den ein Mensch entwickeln kann. Hauptsächlich mit der Kraft dieses Muskels wird das Kind geboren. Wir wissen, dass Geburten sehr unterschiedlich verlaufen können. Wenn eine gesunde Schwangere in einer personell, zeitlich und räumlich geschützten Umgebung ihr Kind zur Welt bringen darf, dann wird sie es mit großer Kraft und Sicherheit tun. Die Hebammen müssen diesen schöpferischen Prozess aufmerksam begleiten, die Frau in ihren Fähigkeiten bestärken und mögliche Gefahren schützend und rechtzeitig abwenden. Dann wird dieser faszinierende Vorgang der Geburt zur vollen Entfaltung kommen und die Eltern können bestärkt den gemeinsamen Weg mit dem Kind aufnehmen.“[xii]

Eine Mutter, die die Geburt ihrer Kinder als spirituelles Erleben feiert, bekennt: „Ich habe bei meinen Hausgeburten sehr, sehr viel über mich und meine innewohnende Stärke erfahren. Ich bin meinem eigenen Rhythmus gefolgt. Ich will Frauen Mut machen, ihrer inneren Stimme zu folgen, auf ihren Körper und auf göttliche Führung vertrauend eine Geburt zu wagen, die eben kein angstvoll erwarteter, erschreckender Moment sein muss, sondern ein bewusst erlebtes, feierliches Ereignis, das zur großen Kraftquelle auch für spätere Zeiten werden kann.“ (Daniela Wachowiak, Schwerin)

Die Geburt ist ein dramatisches Geschehen. Leben und Tod, Glück und Trauer, Schmerzen und Ekstase, Grenzerfahrungen und Ergriffenheit, Seligkeit und Krankheit liegen nahe beieinander, Todesängste der Mutter und auch des Vaters schlagen in Sekundenschnelle um in überwältigende Freude. Mütter erleben dies als spirituelle Erfahrung: „Als ich mein Hannchen im Arm hielt, war es mein inniger Wunsch, diese Gottesgabe zu segnen.“ Für Väter ist die Geburt ihres Kindes ein elementares und spirituelles Erleben. „Ich konnte als Vater dazu beitragen, dass das Leben vier neue Gestalten bekam, dass vier Menschen ihr Leben annehmen und angehen. Dies erscheint mir als eine primordiale Erfahrung: Als Mensch habe ich ein winziges Quentchen teilgehabt am Schaffen und Werden eines und des Lebens. ‚Du hast Anteil daran, dass dieses Kind lebt.’ Diese Entdeckung ist erschütternd und ergreifend.“[xiii]

Es sind verschiedene Grenzen, die bei einer Geburt überschritten werden müssen. Das Kind überschreitet die Grenze aus der Dunkelheit des Mutterschoßes in die Helligkeit der Lebenswelt, die Gebärende erfährt die Grenzen ihrer Belastbarkeit in der Geburtsarbeit und den Schmerzen, der Vater erfährt die Grenzen seiner Emotionalität, die Hebamme teilt dieses Erleben. Es werden Schutzwälle niedergerissen und Masken abgeworfen. Die eigene Identität und die bisher eingeübte Balance geraten aus den Fugen.

Hebammen sprechen von der Stärke der Frau, von ihrer schöpferischen Kraft, sie lassen sich von der Frage leiten: „Wie kommt die Frau in ihre Kraft?“ Diese Kraft der Frau bildet auch eine Gefährdung des Alltags unserer leistungsorientierten und aufgeklärten Gesellschaft. Hier ist eine Kraft des Schöpferischen, die im Gegensatz zur regulierenden Verfügungsgewalt steht. Die schöpferische Kraft kann auch eine lustvolle, ja ekstatische Erfahrung sein.

Das Heilige und die Hebamme

Wie kann diese Dramatik theologisch interpretiert werden? Ich übernehme hier die Kategorie des Heiligen, die Rudolf Otto in seinem seit 1917 in vielen Auflagen erschienenen Werk darstellt.[xiv] Er versteht Ergriffenheit als eine Begegnung mit dem Heiligen. Das Heilige, das Numinose, begegnet uns als fascinosum, als die absolute Seligkeit, Ekstase, als Entzücken. Ebenso kann es als tremendum erfahren werden im Schaudern, im absoluten Entsetzen. Das Heilige ist das Lebendige, das Leben Schaffende, das als schöpferischer Prozess wirkt, „die unsichtbare, unverfügbare, immer entzogen bleibende Dimension, die wie ein gewaltiger Kraftstrom alle wahre Lebendigkeit von Menschen und Welt entbindet und trägt“[xv].

Im Mittelpunkt dieser Dramatik steht die Beziehung von Mutter und Kind, aus der heraus das neue Leben in die Welt eintritt. Indem die Mutter mit all ihrer Kraft das Kind ins Leben schiebt, offenbart sich das schöpferische Heilige oder die heilige Lebendigkeit. Bei der Geburt eines kranken Kindes, bei einer Fehl- oder Totgeburt offenbart sich das schauervolle Heilige, das tremendum. Hebammen berichten davon, dass die Zeit still stehe, Zeit als kairos, nicht chronos und eine besondere Atmosphäre erfülle den Raum. Diese Zeit und diese Stille sind intensive aber flüchtige Phänomene, die ebenso beim Sterben erlebt werden.

Das Heilige entzieht sich dem Zugriff, es kann nur erfahren werden, indem es in die Wirklichkeit einbricht und sich so der Begegnung aussetzt. Das Heilige ergreift uns auch körperlich, frauenkörperlich. Es ist eine paradoxe Erfahrung der Mutter, dass sie sich äußerst anstrengen und zugleich ganz hingeben muss. Das Heilige, das neue Leben, aber auch das Sterben, ereignet sich im intimen Körperbereich von Frauen.

„Die Hebammen sollen in ihrer Arbeit gut aufpassen, denn sie bieten dabei ihrem lieben Gott die Hände, durch die er die Frucht, die er geschaffen hat, vom Mutterleib in dieses beschwerliche Leben führt. Deshalb ist diese Arbeit wahrhaftig ein heiliges, göttliches Werk, das zur Schöpfung unseres Gottes gehört, wie es im ersten Artikel unseres Glaubensbekenntnisses heißt.“ So schreiben die Verfasser der Kirchenordnung des Herzogtums Preußen 1568. Dieser Text bildet eine Ausnahme, wurden doch Hebammen zusammen mit der Mutter für unrein erklärt und in ihrer Arbeit stark kontrolliert, z.T. als Mörderinnen gesehen.

Sehr viele Hebammen verstehen heute ihren Beruf als einen spirituellen Beruf. Sie leiden darunter, dass die Arbeit im Kreißsaal der Ökonomie der Klinik und der Hierarchie der Ärzte untergeordnet ist. Die Hebamme, die leitend und abwartend zugleich am Geschehen teilhat, ist mitbeteiligt am Wunder des Lebens. Hebammen können Seelsorgerinnen für die Frauen sein, sei es in Einzelgesprächen, sei es in den Vorbereitungs- und Nachbildungsgruppen. Sie sind Schwellenbegleiterinnen und Ritualanleiterinnen.

Verantwortung der Kirche

Die Frau ist Mitschöpferin, wenn sie Ja sagt zum Kind. In der Familiegründungsphase, in Schwangerschaft und Geburt kommen Mensch und Gott zusammen. Es entstehen Fragen wie z B: Ist die Frau auch beteiligt an Krankheit und Tod des pränatalen Kindes? „Diese Veränderung basiert auf der Grenze von Leben und Tod, der gebärende Frauen begegnen. Sie übertreten eine Schwelle zum Göttlichen, indem sie selbst die Leben Gebenden sind. … Wie aber theologisch und pastoral von Geburt als einem solchen Geschehen zu sprechen ist, ist wieder gefährlich. Denn Geburt ist ein Thema, das vielfach missbraucht wurde und zugleich existentiell so bedeutsam ist, dass jede Aussage darüber durch Biographien und Erfahrungen einzelner Menschen relativiert wird.“[xvi] Hier ist ein theologischer Diskurs gefordert.

Wer auf Sicherheit setzt, muss für Vertrauen sorgen und wer auf Vertrauen setzt, muss für Sicherheit sorgen. In dieser Ambivalenz kann die Kirche mit ihrer seelsorgerlichen und rituellen Kompetenz eine Geburtskultur unterstützen, die den Beteiligten Raum und Zeit gibt, die spirituelle Dimension in Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett zu spüren und zu erleben.

„Die spirituelle Ebene einbeziehen, heißt auch, anerkennen, dass nur ein sehr geringer Teil unserer ‚reproduktiven Kompetenz’ in unserer Hand liegt. Weder die Eltern noch die Pränataldiagnostik ist verantwortlich für die genetische Konstellation eines Kindes. Die Grenzen der Machbarkeit anzuerkennen heißt auch, bewusst Verantwortung für das eigene Handeln, die eigenen ethischen Maßstäbe zu übernehmen.“[xvii] Es heißt auch, Entlastung zu erfahren. Der Gefahr, hier wieder einen neuen Druck auf die Mutter zu machen, was sie alles tun und lassen soll, kann begegnet werden durch stärkende Angebote wie Segnungsfeiern für werdende Eltern.

Einige solcher Handlungsmöglichkeiten möchte ich nennen: Segnung der werdenden Mutter, des Vaters und des Kindes in ihrem Schoß, Segnung der Hebamme im Rahmen der Taufliturgie, Wiederentdeckung von Begrüßungsritualen für das Neugeborene, seelsorgerliche und rituelle Begleitung bei Fehl- und Totgeburten, bei Wochenbettdepressionen und bei der lebenslangen Trauer durch unerfüllten Kinder- und Enkelkinderwunsch.

Die Erfahrungen in der Phase der Familienbildung evozieren eine theologische Deutung und verlangen nach spirituellen Gestaltungen. Denn sie betreffen Themen der zwischenmenschlichen Beziehungen wie Liebe, Gewalt, Enttäuschung, Anvertrauen; Themen der existenziellen Erfahrung wie Leben und Tod, Erneuerung und Wandlung, Identität, Hoffnung und Trauer, Schicksal und Entscheidung, Lebenskrise und neues Selbstverständnis; Themen der religiösen oder spirituellen Erfahrung wie Offenheit für die Transzendenz, Wunder des Lebens, Heilige Zeit und Ort, Schöpfung, Liebe, Gnade, Gottverlassenheit, Licht, Grenzerfahrung. Wie in einem Brennglas sind rund um die Geburt alle Themen des Lebens und des Glaubens versammelt.

 

 

Hanna Strack ist Pastorin i. R. Sie veröffentlichte zum Thema: Hanna Strack, Die Frau ist Mit-Schöpferin. Eine Theologie der Geburt, Rüsselsheim 2006. www.hanna-strack.de

 


[i] Christina Schües, Philosophie des Geborenseins, Freiburg 2008, 13.

[ii] Hannah Arendt, Vita activa …. oder Vom tätigen Leben. München Zürich 111999, ungekürzte Taschenbuchausgabe.

[iii] Angelica Ensel, Vertrauen und Macht. Ethische Implikationen für die Kommunikation im Kontext von Pränataldiagnostik, zitiert nach www.hanna-strack.de/user_files/test_1277458847_1824.pdf.

[iv] Helen Schüngel-Straumann, Die Frau am Anfang. Eva und die Folgen, Münster 1997, 95.

[v] Marianne Grohmann, Fruchtbarkeit und Geburt in den Psalmen, Forschungen zum Alten Testament 53, Tübingen 2007, 28f.

[vi] Vgl. Luc Boltanski, Soziologe der Abtreibung, Zur Lage des fötalen Lebens. Frankfurt/Main 2007, 361.

[vii] Barbara Findeisen, vgl. www.pocketsanctuary.com

[viii] Ludwig Janus, Wie die Seele entsteht. Unser psychisches Leben vor und nach der Geburt, Heidelberg 1997, 230.

[ix] Vgl. Ri 13,5; Ps 139, 13-16;  Jes 44,2+24; 46,3; 49,1; Jer 1,5; Gal 1,15

[x] Franz Renggli, vgl. www.franz-renggli.ch

[xi] Vgl. Irmtraud Fischer, Kompendium Feministische Bibelauslegung, Das Buch Jesaja. Das Buch der weiblichen Metaphern, in: Luise Schottroff, Maria Theres Wacker (Hg.): Kompendium Feministische Bibelauslegung, Gütersloh ²1999, S. 246-257, 249.

[xii] Hanna Strack, Johanna Vogt, In jeder Geburt ist der Schöpfungsakt sichtbar: Die positiven Kräfte der Geburt, in: Margit Eckholt u.a. (Hg.), Unterwegs nach Eden. Zugänge zur Schöpfungsspiritualität, Mainz, Grünewald 2009, 155-162, 157.

[xiii] Burkhard R. Knipping, Die Kinder als Lehrmeister der primordialen Spiritualität, in: Ulrich Dickmann/Kees Waaijman (Hg.), Felderkundungen Laienspiritualität: Geburt (Band 2), Verlag Katholische Akademie Schwerte 2010 (erscheint Herbst 2010).

[xiv] Rudolf Otto, Das Heilige. Über das Irrationale in der Idee des Göttlichen und sein Verhältnis zum Rationalen, München  ²o. J.

[xv] Bernhard Welte, zitiert nach: Elke Kirsten, Heilige Lebendigkeit, Zur Bedeutung des Heiligen bei Bernhard Welte. (=Europäische Hochschulschriften 23,624). Frankfurt/M 1998 239

[xvi] Ursula Rapp, Weibliche Unreinheit und die Verwerfung der Gleichgültigkeit. Religionskritik an, in und mit der Geburtstora in Lev 12, in: Joachim Kügler/Ulrike Bechmann (Hg.), Biblische Religionskritik. Kritik an, in und mit biblischen Texten, Münster 2009, 182-199, 197.

[xvii] Ensel, Anm. 3.