Hanna Strack » Muttertag – Mutternacht

 

Muttertag – Mutternacht


Wir wären nie gewaschen

und meistens nicht gekämmt,

die Strümpfe hätten Löcher

und schmutzig wär‘ das Hemd.

 

So dichtete Eva Rechlin zum Muttertag. Und wie viele hübsche Bildchen und Gedichte werden in Kindergärten und Grundschulen gemalt und geschrieben, die alle die Mutter preisen!

 

Ich erinnere mich an das Jahr 1945. Meine Mutter war Kriegerwitwe in einem kleinen Dorf. Wir gingen mit einem Messbecher von Haus zu Haus und baten um etwas Mehl. Damit konnte Mutter einen Kuchen backen.

Heute freuen sich die Blumenläden über den Umsatz und immer mich ist der Muttertag eine interne Familienangelegenheit.

 

Die Wurzeln liegen aber in einer politischen Demonstration. Der Muttertag begann 1870 in Boston mit einem Massenaufschrei der Mütter, die ihre Ehemänner und Söhne im amerikanischen Bürgerkrieg verloren hatten, als Absage an Krieg, Militarismus und Patriarchat:


Steht auf alle Frauen, die ihr ein Herz habt! … Sprecht mit fester Stimme: Wir wollen nicht, dass die großen Fragen von unbedeutenden Instanzen entschieden werden. Unsere Ehemänner sollen nicht heimkehren zu Fürsorge und Beifall, wenn sie nach dem Blut der Gefallenen riechen. Unsere Söhne sollen nicht von uns genommen werden, um all das zu verlernen, was wir sie an Liebe, Barmherzigkeit und Geduld gelehrt haben.

Wir, die Frauen des einen Landes, haben zuviel Zärtlichkeit für diejenigen eines anderen Landes, als dass wir unseren Söhnen erlauben könnten, ausgebildet zu werden, um deren Söhne zu verletzen. Vom Innersten der verwüsten Erde steigt eine Stimme auf zusammen mit der unsrigen, die ruft: Legt die Waffen nieder!  Das Schwert des Mordens ist nicht die Waage der Gerechtigkeit. Blut wischt nicht unsere Schande weg noch zeigt die Gewalt rechtmäßigen Besitz an.

So wie Männer oft Pflug und Amboss verlassen, um dem Kriegsruf zu folgen, so lasst die Frauen jetzt alles zurücklassen, was zu Hause bleiben kann, für einen großen und ernsten Tag des Rates. Lasst sie als erstes zusammenkommen als Frauen, um die Toten zu betrauern und ihrer zu gedenken. Lasst sie dann feierlich eine Beratung miteinander abhalten darüber, wie die große Menschenfamilie in Frieden leben kann… ( Julia Word Howe, gekürzt von Hanna Strack, übersetzt von Renate Hingst).

Abgedruckt im FrauenKirchenKalender

 

Die Privatisierung des Muttertags liegt in dem Frauenbild begründet, das die Frau als dienendes, immer bereites, für die Gefühle zuständiges Familienmitglied sieht.

Mütter in der Bibel, denen Margot Käßmann ein Buch gewidmet hat, sind aber in sehr vielfältigen Rollen zu finden. Der Titel „Mutter von Israel“ für weist auf eine gesellschaftspolitische Rolle hin und in der Metaphorik wird von der Stadt als Mutter gesprochen, deren „Tochter Zion“ wir an Weihnachten besingen.

 

Seit einigen Jahren wird an einem Abend vor dem Muttertag im Mai nun auch eine Mutter-Nacht begangen. Sie will das Augenmerk richten auf die Mütter weltweit, die unter Nahrungsmangel – es fehlt an Jod, Folsäure und Eisen während der Schwangerschaft – und schlechter medizinischer Versorgung leiden. So wie wir hier in Europa keinen Blick für die Situation der werdenden Mütter haben, so sahen auch die Entwicklungshelfer nicht diese Personengruppe. Das ändert sich langsam. Aber Scheuklappen bleiben, es wird z. B. nach einem Arzt für die Geburt gefragt, nicht aber nach einer gut ausgebildeten Hebamme. Das ist eine grundsätzliche Frage auch an unser Wertesystem und an die Rolle von Mann und Frau. Wird erkannt und wertgeschätzt, dass Frauen von natur aus gebären können und dass aus ihrem Körper der neue Mensch hervorkommt?

Über die Mutternacht 2011 heißt auf der website Mutternacht:

„Mit der diesjährigen Mutternacht machten die Veranstalter darauf aufmerksam, dass die Geber- und Entwicklungsländer die Situation von gefährdeten Mädchen und jungen Frauen – so genannter vulnerable girls – stärker in ihren Entwicklungsprogrammen berücksichtigen müssen. Auch die enge Verknüpfung der Themenfelder Gesundheit und Bildung müsse in die Programmansätze integriert werden, so die Panel-Teilnehmer. Bereits im jungen Alter wird das zukünftige Leben von Mädchen in den Ländern des Südens nachhaltig geprägt. Vielen bleibt der Zugang zur Schule verwehrt, somit erhalten sie keine Bildung, und sie werden nur unzureichend über Sexualität und über ihre Rechte aufgeklärt. In vielen Entwicklungsländern sind Mädchen und junge Frauen bereits sehr früh verheiratet und werden sehr früh schwanger. Oftmals ist jedoch der junge Körper noch nicht bereit für eine Schwangerschaft, zudem ist die soziale Situation dieser Mädchen und jungen Frauen häufig prekär. So ist das Risiko sehr groß, dass die Mädchen während der Schwangerschaft und Geburt seelischen und physischen Schaden davontragen oder diese sogar nicht überleben. Bei der Mutternacht 2011 stand dieser Aspekt des Themas Müttergesundheit im Mittelpunkt.“

Dr. Sven Hildebrandt, Präsident der Internationalen Gesellschaft für prä- und perinatale Psychologie und Medizin (ISPPM) „Jede einzelne Geburt ist ein weltgeschichtlich einmaliges Ereignis: dieses Kind ist in der Geschichte der Menschheit noch nie geboren worden und wird nie wieder geboren werden. Der Moment der Geburt hat also eine höchst individuelle, private und intime Dimension.“

 

Siehe auch: Jean Ziegler: Imperium der Schande. Der Kampf gegen Armut und Unterdrückung, Pantheon Verlag bei der Verlagsgruppe Random House GmbH