Hanna Strack » Kelch des Leides – Kelch des Heils

Kelch des Leides – Kelch des Heils

 

O heilige Barbara, du edle Braut!

Dir sei Leib und Seele anvertraut,

Sowohl im Leben als im Tod.

Komm mir zu Hilf in meiner Not,

Und reiche mir vor´m letzten End

Das allerheiligste Sakrament!

 

Vor uns steht Barbara. Sie trägt die Märtyrerinnenkrone auf dem Haupt und in der linken Hand einen Kelch, über dem eine Oblate zu sehen ist.

Barbara ist eine „getaufte Göttin“, so schreibt Lore Küfer in ihrem gleichnamigen Buch. Barbara ist die vorchristliche Sonnenfrau, deren Fest wir am 4.Dezember begehen. Wir schneiden Zweige, die an Heilig Abend blühen. Barbara ist die Schwellenbegleiterin der Sterbenden, sie reicht ihnen das Abendmahl – eine katholische Frau!

Barbara reicht den Kelch. Das ist etwas anderes als ein Glas Wasser gegen den Durst. Der Kelch ist mit seinem Inhalt das Geschick, das Menschen empfangen.

Zunächst einmal ist der Kelch ein Gefäß mit Fuß, Stil und Schale. Der Kelch ist wie der Baum ein Sinnbild für den Menschen: Wir stehen auf den Füssen, strecken uns empor, reißen die Arme nach oben, um die Sonne zu begrüßen. So empfangen wir auch das Schicksal, das die Gottheit uns zugedacht, uns eingeschenkt hat.

 

Mit dem Kelch ist eine Symbolik erhalten geblieben, die aus der Erfahrung des Weiblichen hervorgegangen ist: Die Schale ist die Gebärmutter, aus der neues Leben geboren wird, aber auch die Brust, die Nahrung spendet, die über Leben und Tod des Neugeborenen entscheidet.

Die Entwicklung des Symbols „Kelch“ gehört in die Reihe „Bauch-Brust-Schale-Kelch-Gral“. Dazu schreibt Erich Neumann in „Die Große Mutter, Symbole des Weiblichen“: „Die matriarchale Symbolik hat sich, obgleich das Christentum immer um ihre Unterdrückung bemüht war, über die zentrale Bedeutung des Abendmahlskelches und – mythologisch – des Grals hinaus durchgesetzt“ (S.305f). Doch Erich Neumann übersieht hier den biblischen Befund. Das kann damit zusammenhängen, daß die Übersetzungen ungenau sind: hebräisch                wird mit Becher oder Kelch, auch Erbteil übersetzt.

 

Die Textstellen der hebräischen Bibel lassen sofort die ursprüngliche matriarchale Symbolik erkennen: Jeremia bekommt den Auftrag, den Kelch mit dem Wein des Zornes aus Gottes Hand zu nehmen und ihn den Völkern zu trinken zu geben (Jer 25,15ff, 51,7, Klg 4,21)

Psalm 75,9 zeigt ebenso die Bedeutung des Kelches als Schicksal und seine Identität mit dem Inhalt: „Gott hat einen Becher, besser: Kelch, in der Hand  mit starkem Wein voll eingeschenkt. Er schenkt daraus aus und die Gottlosen auf Erden müssen alle trinken und sogar die Hefe schlürfen.“

Der Wein ist nicht wie bei den Einsetzungsworten zum Abendmahl ein Zeichen des Neuen Bundes und des Heils, er ist Gericht, weil er zum taumeln führt.

„Der Kelch ist eine Metapher, die das Schicksal des Empfangenden im Blick hat“. (Hermann Patsch: Abendmahl und historischer Jesus, S.209)

Welches ist der Inhalt, welches ist das Schicksal?

Barbara gibt, wie das Lied es besingt, mit dem Kelch zugleich die Gnade daraus zu trinken, was die Sterbenden stärkt und tröstet auf der Schwelle vom Leben in den Tod. Es ist der Kelch des Heils, wie Ps 116, 13 singt: „Ich will den Kelch des Heils (Martin Buber: der Befreiung) nehmen und Gottes Namen anrufen.“

Der Inhalt des Kelches, seiner Schale, entscheidet über Leben und Tod, über Leid und Glück derer, die trinken.

„Dieser Kelch ist das Neue Testament  in meinem Blut, das für euch vergossen wird.“ Luk 22,20

„Vater, willst du, so nimm diesen Kelch von mir, doch nicht mein, sondern dein Wille geschehe!“ Luk 22,42

So kurz hintereinander spricht Jesus von diesen beiden Inhalten des Kelches: dem Leid und dem Heil.

Bei beiden Worten liegt das Gewicht auf der Unverfügbarkeit des Geschickes, bzw. der Gabe. Gott schenkt Leid und schenkt Heil, Befreiung, Gnade. Dieses Motiv nimmt Dietrich Bonhoeffer auf: „Und reichst du uns den Kelch, den bittern, gefüllt bis an den höchsten Rand, so nehmen wir ihn dankbar ohne Zittern aus deiner guten und geliebten Hand“. In der Sylvesternacht 1944/45 haben viele Gefangene und Soldaten ähnlich gebetet. Bonhoeffer hofft, daß das Leid, das der Kelch ihm einschenkt, von einer guten Vaterhand kommt und deshalb angenommen werden kann. Dieses Gebet, das er seiner Familie und seiner Braut schrieb, hat es sie nicht auch überfordert?

 

Kann sich der bittere Kelch des Leids wandeln in den Kelch des Heils, sodass eine Erfahrung der Befreiung daraus wird?

Es gibt in der christlichen Ikonographie eine überraschende Darstellung des Kelches: Der Evangelist Johannes hält einen Kelch, aus dem eine Schlange herausschaut, so in Parchim, Güstrow, Bützow auf den Altären. Zunächst ist es einfach ein Hinweis darauf, dass Johannes den Giftbecker nehmen musste und so den Märtyrertod starb. Die Märtyrer-Legende jedoch erzählt, dass Johannes im Tempel der Diana gesehen hatte, wie zwei Verbrecher den Giftbecher trinken mussten. Er habe dann über dem Kelch ein Kreuz geschlagene, wodurch das Gift in die Schlange und dann aus dem Kelch gewichen sei. Johannes trank, warf seinen Mantel dem Hohenpriester zu,dieser warf ihn auf die toten Verbrecher und sie wurden wieder lebendig.

Die Schlange weist aber auch wieder auf den Inhalt des Kelches hin. Sie ist kraft ihrer Wandlung, wenn sie sich häutet und in neuen Farben erstrahlt, ein Symbol für die Neuwerdung, für die Auferstehung, für das Heil. Der Evangelist hat diese Seite der Schlangensymbolik festgehalten, wenn er schreibt: „Und wie Moses in der Wüste die Schlange erhöht hat, so muß des Menschen Sohn erhöht werden, auf daß alle, die an ihn glauben, das ewige Leben haben.“ Joh 3,14f.

Schlange und Gefäß sind nach Erich Neumann die höchste Stufe in der Symbolentwicklung „und zwar in der Gestalt des Geist- Wandlungs-Gefäßes“. (S.306)

 

Es bleibt die Frage nach der Wandlung von Leid in Heil.

Hat die Urgemeinde erfahren, daß der Kelch des Leids des Todes Jesu verwandelt wurde in den Kelch des Heils, nämlich seiner Gegenwart als Auferstandener, so konnte sie vom Kelch des neuen Bundes sprechen und Paulus erkannte, daß der Inhalt des Kelches, aus dem wir trinken, auch Gemeinschaft unter uns spendet. So schreibt Paulus nach Korinth: „Der gesegnete Kelch, den wir segnen, ist der nicht die Gemeinschaft des Blutes Christi?“ 1.Kor 10,16

Doch diese Symbolik des Kelches wurde durch die liturgische Vereinnahmung des Abendmahls gestoppt, verlor an Bedeutung zugunsten der Parallelität von Brot und Wein.

In der Kirchengeschichte erfährt der Kelch in seiner Bedeutung aber eine späte Wiedererstehung. In dem Lexikon für Religion in Geschichte und Gesellschaft (RGG 2.Auflage 1933) findet sich das Stichwort: „Kelchentziehung“, was  hinweist auf den Kampf der böhmischen Brüder und Hussiten um das Abendmahl in beiderlei Gestalt (Utraquisten). Seit dem 13.jahrhundert hatte die Kirche den Laien den Kelch verweigert aus Furcht, das Blut Christi zu verschütten. Das führte zur Entrechtung der Laien. Das Konstanzer Konzil 1415 bestätigte die Kelchverweigerung, doch die Hussiten bestanden auf dem Laienkelch, was ihnen 1433 die „Prager Kompaktanden“ zugestanden. Der Kelch wurde dadurch in die Fahne der tschechischen Flagge aufgenommen.

 

Im Mittelalter gab es einen Brauch, ein Heilmittel, das das Gegengift aus der Verweigerung des Kelches ist, mit dem ja besonders Frauen getroffen wurden, die nie den Stand der Laien verlassen konnten. So heißt es im Lexikon des Aberglaubens. Die Berührung des Unterleibes und der Brust mit dem Kelch kann Menstruationsbeschwerden und Brustkrankheiten heilen. ein anderer Brauch spielt auf die Bedeutung des Geschickes an. An Heilig Abend werden alle Gefäße des Hauses mit Wasser gefüllt, damit keine Tränen in sie hineinfließen können.

 

Eine große Bedeutung kommt dem Kelch in der Gralssage zu: In der geheimnisvollen Gralsburg ist der Gral verborgen, das ist ein Kelch, in dem einige Tropfen des Blutes Christi aufgefangen sind. Es ist ein spiritueller Aufbruch, wenn Menschen sich – mythologisch gesprochen – auf den Weg machen, den Gral zu suchen. In der Sage ist es eine junge frau, die auf einem grünen Kissen den Gral während einer Prozession trägt. Von ihrem Antlitz geht ein Strahlen aus.

 

In einer Grafik, auf der zwei Gesichter sich gegenüberstehen und sich direkt anschauen, entsteht in der Mitte ein Kelch aus den beiden Konturen der Gesichter. Dies betont die direkte Betroffenheit, wenn der Mensch aus dem Kelch sein Schicksal entgegennimmt.

 

Am Anfang stand Barbara mit dem Kelch. Als Sterbebegleiterin zeigt sie die ganze Breite dieses Symbols: Leid und Heil, Bitterkeit und Stärke, Wandlung und Neuwerdung sind mit dem Kelch verbunden.

Dass hier im hohen Mittelalter (das Bild stellt die Heilige auf dem Schnitzaltar des 16.Jahrhunderts in Pinnow/Schwerin dar) eine Frau das Sakrament austeilt, das soll Zeichen und Hoffnung sein, daß die Leben fördernden weiblichen Symbole wieder gesehen werden und Frauen als Trägerinnen des Lebens anerkannt werden im Kreis der priesterlichen Menschen, denen Gott den Kelch in die Hand gibt.