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Hannah Arendt 1906-1975

 

Der jüdischen Philosophin Hannah Arendt verdanken wir einen radikalen Blickwechsel von der Sterblichkeit des Menschen hin zu seinem Geborensein, zur Natalität.

Welche Erfahrung hat Hannah Arendt zu dieser Erkenntnis gebracht?

 

Am 14. Oktober 1906 in Hannover-Linden geboren wächst sie ab dem 3. Lebensjahr in Königsberg auf. Ihre Mutter gab ihr auf den Weg: „Nicht ducken, sich wehren!“ Sobald ein Lehrer sich antisemitisch äußert, soll sie ihre Sachen packen und die Schule verlassen. Mit 18 Jahren geht sie zum Studium nach Marburg. Dort studiert sie bei Rudolf Bultmann Neues Testament und bei Martin Heidegger Philosophie.

 

Hannah Arendt geht 1926 nach Heidelberg, wo sie bei dem anderen großen Philosophen Karl Jaspers ihre Doktorarbeit über den Liebesbegriff bei Augustinus schreibt. Darin klingt bereits ihr Thema an: „Damit ein neuer Anfang sei, wurde der Mensch geschaffen.“

 

Der veröffentlichte Briefwechsel zwischen Jaspers und Arendt ist das Dokument einer lebenslangen gegenseitigen Hochachtung und Verehrung.

Sie schreibt nun an einer Habilitation über Rahel Varnhagen. Die Beschäftigung mit dem Schicksal dieser Jüdin zwingt sie selbst, ihr Jüdin-Sein zu überdenken. Es wird ihr immer bewusster, dass sie wie Rahel zwar in der Gesellschaft lebt, aber dennoch von ihr ausgeschlossen wird.

 

1933 arbeitet sie in Berlin für die verbotene zionistische Bewegung. Sie wird für eine Woche verhaftet. Als sie dann sieht, wie Martin Heidegger und andere mit fliegenden Fahnen zum Nationalsozialismus überlaufen, flieht sie bei Nacht und Nebel über die tschechische Grenze nach Paris.

1941 wird sie als „feindliche Ausländerin“ wieder inhaftiert in einem Internierungslager in Südfrankreich. Zusammen mit ihrem Mann Heinrich Blücher und ihrer Mutter gelingt ihr die Flucht nach Lissabon und von da nach New York. „Die meisten von uns mussten mehrmals gerettet werden.“

Von nun an lebt Hannah Arendt in den USA als freie Schriftstellerin, Lektorin und Professorin an verschiedenen Hochschulen, zunächst als Staatenlose, ab 1951 als amerikanische Staatsbürgerin.

Sie wird schlagartig berühmt durch ihre Reportagen aus Jerusalem über den Eichmann-Prozess in den Jahren 1961-1963. Ihre These über die Banalität des Bösen – sie erlebt Eichmann als Biedermann – ist heftig umstritten ebenso ihre Feststellung, dass Juden mit den Nazis kollaborierten.

 

Jetzt wird deutlich, warum Hannah Arendt in dem Geborensein, in der Natalität, die Voraussetzung für das Handeln des Menschen entdeckt. Wie anders wäre nach der europäischen Katastrophe ein neuer Anfang möglich? In ihrem Buch „Vita activa oder Vom tätigen Leben“ knüpft sie an den Gedanken von Augustinus an: Damit ein Anfang möglich ist, werden Menschen geboren. Während die Philosophen des Abendlandes das Leben als ein Vorlaufen zum Tode verstehen, erkennt Hannah Arendt: „Das ´Wunder` besteht darin, dass überhaupt Menschen geboren werden, und mit ihnen der Neuanfang, den sie handelnd verwirklichen können kraft ihres Geborenseins.


Nur wo diese Seite des Handelns voll erfahren ist, kann es so etwas geben wie ´Glaube und Hoffnung …Dass man in der Welt Vertrauen haben und dass man für die Welt hoffen darf, ist vielleicht nirgends knapper und schöner ausgedrückt als in den Worten, mit denen die Weihnachtsoratorien die ´frohe Botschaft` verkünden: ´Uns ist ein Kind geboren`“.

 

Dem Anstoß von Hannah Arendt folgend und ihn weiterführend wenden wir heute den Blick auf das Geborenwerden durch die Frau, auf die leibliche Geburt und erkennen, dass die Frau Mit-Schöpferin Gottes ist. Denn „wegen dieser Einzigartigkeit, die mit der Tatsache der Geburt gegeben ist, ist es, als würde in jedem Menschen noch einmal der Schöpfungsakt Gottes wiederholt und bestätigt.“

 

 

Die Folgen des Geborenseins kann Hannah Arendt deutlich machen mit dem Bild vom Gewebe des Lebens. Jeder neu geborene Mensch fängt an zu handeln und ist dabei wie ein Faden, der in ein bereits vorgewebtes Muster geschlagen wird. Er verändert das Gewebe und damit auch die anderen Lebensfäden, mit denen er innerhalb des Gewebes in Berührung kommt. Dies verlangt auch die Fähigkeit zu verzeihen, „denn das menschliche Leben könnte gar nicht weitergehen, wenn Menschen sich nicht ständig gegenseitig von den Folgen dessen befreien würden, was sie getan haben, ohne zu wissen, was sie tun.“


In ihren Gedanken über Liebe und Verzeihen, über Dankbarkeit und Güte knüpft sie an die Botschaft Jesu an. „Die einzige Tätigkeit, die Jesus nachweislich in Wort und Tat gelehrt hat, ist tätige Güte.“


Am 4. Dezember 1975 stirbt Hannah Arendt in ihrer New Yorker Wohnung an einem Herzinfarkt.

 

Hanna Strack

 

Zitate aus: Hannah Arendt, Vita activa oder Vom tätigen Leben, Piper Verlag München 1999, 11. Auflage,  S. 317, 217, 306, 91