Hanna Strack » Gottesdienst zum Muttertag 2019

 

 

 

Angelika de Oliveira Gloria

Predigt zu Johannes 13 – Liebesgebot Jesu zum Muttertag

 

Die Wertigkeit eines Festes ist Spiegel für das sich ändernde Lebensgefühl einer Zeit.

 

Muttersein in der DDR

Ich bin in der ehemaligen DDR aufgewachsen. Muttertag war in der DDR kein Fest, nur wenige Kinder haben in meiner Kindheit kennengelernt, ihrer Mutter zum Muttertag eine kleine Aufmerksamkeit zu schenken. Der 8. März als Frauentag erfüllte diesen Dienst. Frauen in der DDR waren fast nie nur Hausfrauen, sondern sie hatten einen Beruf und es war fast unmöglich, mit den eigenen Kindern nach der Geburt mehr als ein Jahr zu Hause zu bleiben . Frauen wurden den Männern in Bezug auf ihre Arbeitskraft im Beruf gleichgestellt. Ob sie sich da wirklich als Frau geachtet fühlten als diejenigen im Menschengeschlecht, die gebären können, bezweifle ich. Frauen wurden eher vermännlicht. Sie lernten selbst Berufe in Branchen, die fast ausschließlich von Männern ausgeführt wurden. Frau als Mutter – das war für die Berufstätigen in der DDR fast wie eine Randepisode. Viele Frauen konnten ihre Kinder erst gegen 17.00 aus der Kita abholen, dann gabs Abendbrot, noch schnell Hausaufgaben für die Schule nachsehen, waschen, Zähneputzen und ins Bett bringen der Kinder. Selbst am Samstag war oft Werktag.

 

So habe ich mir mein Muttersein nicht mehr gewünscht. Ich bin ganz bewusst mit meinen Kindern länger als ein Jahr zu Hause geblieben. Doch so einfach war es nicht, innerlich Abschied zu nehmen von dem gewachsenen Frauenbild der DDR-Zeit. Der Stachel saß tief, als Mutter nicht viel wert zu sein. Hausarbeit verrichten, tägliches wieder Aufräumen, Saubermachen, Kochen, den Kindern fast den ganzen Tag mit zwei Ohren Aufmerksamkeit schenken und nachts ebenfalls, wenn sie aus Alpträumen erwachten oder mit Grippe fieberten. Muttersein- es scheint für mich, die ich im Osten groß geworden bin, fast wie ein Experiment, da ich auf eine Müttergeneration meiner Mutter zurückschauen, die nicht sehr viel Zeit für ihre Kinder hatte. Im Seniorinnenkreis des Heilig Geist – Zentrums in Mölln haben wir uns in der letzten Woche mit unserem lebenslangen Mutter beschäftigt. Wie war das für die 93jährige Christel damals, die ihre Mutter zu früh im Krieg verlor und dann als Mutter ihrer Kinder auch keine wirkliche Zeit hatte, weil sie nach dem Krieg umsiedeln musste und arm war und Geld brauchte, um die Kinde zu ernähren. Sie musste in der Fabrik arbeiten gehen. Für Gudrun war das Leben anders verlaufen, ihr Mann sagte, sie solle mit den Kindern zu Hause bleiben und sich als Mutter um sie sorgen. Auch hier in Mölln gibt es unterschiedliche Mutterbiografien.

 

Mütterliche Frauen und Männer

 

Die meisten Frauen meiner Generation erlebe ich in verschiedensten Rollen: Sie sind Mutter, sie sind Hausfrau oder versuchen das Modell, sich die Hausarbeit mit ihrem Mann zu teilen, sie sind mitverantwortlich im öffentlichen Leben, engagieren sich in Vereinen, in Parteien, in Kirchengemeinden, sie sind Partnerin in einer stets vor neuen Herausforderungen stehenden Partnerschaft. Ich erlebe auch Frauen, die ihre Mütterlichkeit aus verschiedenen Gründen nicht leben. Und ich bin erfreut über die mütterliche Männer, nicht nur die jüngeren Männer, die dank „Elternzeit für Väter“ ihr Kind im Kinderwagen schieben oder mit ihm joggen gehen und nicht wie vor 50 Jahren sich dafür schämen. Ich freue mich, diesen Männern zuzuhören und sie mit ihren Kindern zu beobachten, die fürsorglich und zugewandt sind. Zum Glück hatte ich auch schon einen Vater, der seine Liebe zu mir in Gesten ausdrücken konnte und auch der Vater meiner Töchter kann das.

 

Mütterlichkeit ist eine göttliche Eigenschaft. Mütterlichkeit ist ein wesentlicher Aspekt der Liebe. Denn Gott ist LIEBE.

 

Im Joh.-Evangelium werden wir von Jesus aufgefordert, das neue Gebot zu leben, welche darin besteht, sich untereinander zu lieben. Die Liebe ist das Erkennungszeichen des Christseins überhaupt. „wenn wir Liebe untereinander haben“ sind wir erkennbar als Jüngerinnen und Jünger Jesu. Die Liebe einer Mutter zu ihren Kindern – sie ist eines der Erkennungszeichen unserer Jüngerschaft.

 

Ich kann mich mit diesem neuen Gebot Christi viel besser anbinden, dass ich im Schöpfungsplan als Mutter wertvoll und wichtig bin. Im gesellschaftlichen Diskurs ist das anders: Mütterlichkeit steht nicht auf der top-ten –Prioritätenliste der modernen Frau Politikerinnen unseres Landes wie anderswo werden dafür gelobt, weil sie schnell nach der Geburt ihres Kindes wieder ihre Frau stehen in der beruflichen Verantwortung. Bleibt ihnen etwas anderes übrig, wenn sie Politikerinnen sein wollen?

 

Ich weiß: Die Liebe zu meinen Kindern in hinreichend zeitlicher Zuwendung, das Achten auf Ausgeglichenheit zwischen „Job“ als Mutter und dem beruflichen Tätigsein ist oberstes Gebot, um den Kindern eine innere Beheimatung bieten zu können. All das umschließt das Gebot Gottes: Liebt einander wie ich euch geliebt habe.

 

Ich frage mich manchmal, geht in unserem Land nicht nur die Menschlichkeit unter, die Sozialkompetenz im Miteinander, geht damit auch die Mütterlichkeit in den Untergrund, wenn Frauen nur dann Wertschätzung erfahren, weil sie Managerinnen und Politikerinnen, Führungsverantwortliche werden und Werktätige mit mehr als 40 Stunden die Woche?

 

Wird in der Politik die Mütterlichkeit von den Politikerinnen mit ins Boot geholt und gibt es anderen Formen der Auseinandersetzung? Nehmen Frauen ihre Verantwortung im Beruf mit mütterlichen Attributen wahr?

 

Muttersein kann Überlastungsein

 

Wohl muss auch gesagt werden, was der Umschwung in der Identifizierung des neuen Frauenbildes einen Subtext mitbeinhalt: Ein hoher Anteil an Frauen leidet am Erschöpfungssyndrom. Sehen wir das heute mehr? Wurde vor 20 Jahren noch nicht so intensiv über die Doppelbelastung von Beruf und Muttersein geredet oder hat die Belastung im Beruf zugenommen? Für Männer wie für Frauen? Fakt ist, dass gerade viele Frauen an Burnout leiden und sich der Anteil an Müttern, die an Überbelastung leiden, in den letzten 10 Jahren auf über 40% erhöht hat. Die Gründe sind wohl vielfältig: Frauen möchten eine  Familie gründen, haben aber oft nur befristete Stellen und wechseln ihren Arbeitsplatz häufig. Viele erwerbstätige Mütter erfahren in ihrer beruflichen Tätigkeit keine Erfüllung. Die traditionelle Rollenverteilung wird in vielen Familien weiter gelebt, sodass die Mutter vorrangig für die Kinder da ist und die Verantwortung für den Erziehungs – und Bildungserfolg der eigenen Kinder hat. Nicht wenige Frauen suchen die Schuld bei sich, wenn nicht alles so läuft, sie geraten in eine Spirale der Selbstentwertung, werden krank an Seele und Leib. Wie können überlastete Mütter Liebe geben? Gar nicht. Gestresste Mütter können ihren Kindern nichts geben, nur ihren Stress auf die Kinder übertragen und sie psychisch mit krank machen.

 

Die Aufforderung Jesu: „ Liebet einander!“ ist wohl die Aufforderung an uns Menschen schlechthin. Liebe kann nur wachsen in einem Beziehungsnetz, in dem wir einander Liebe schenken. Mütter und mütterliche Menschen insgesamt können Gebende sein, wenn sie auch Beschenkte sind. Beschenkt von Liebe.

 

Frauen geraten schneller in der Gefahr, sich als Gebende aufzugeben, zu geben, ohne daran zu denken, auch mal eine Atempause zu machen. Sie sind genetisch einfach das Geschlecht, was gibt: sie schenken Leben im Gebären, sie schenken ihr Leben lang ihren Kindern Liebe, wenn die Mutter-Kind Beziehung nicht belastet wurde durch Traumata oder anderen existentielle Herausforderungen.

 

Darum sage ich es heute vor allem den Frauen hier im Gottesdienst, aber die Männer sollen sich mit eingeschlossen fühlen, in das was Bernhard von Clairveaux einmal gesagt:

 

Gönne dich dir selbst! Gönne dir täglich einmal einen Moment für dich. Sei wie für alle andere auch für dich da.

 

Ich weiß, wie schwer mir das als Frau fällt. Doch wenigstens eine Kaffeetasse mit Milchschaum, eine Tagträumerei vom Schreibtisch aus dem Fenster guckend, eine Runde Fahrrad fahren, auch wenn der Wäschekorb unsortiert auf mich wartet oder die Küche erneut gewischt werden sollte…

 

Wer lieben will- seine Kinder, seinen Mann, wen auch immer in seinem Beziehungsnetz, braucht die Momente, die Beziehung zu sich selbst zu pflegen. Das gilt für mich als Frau wie für dich als Mann. Das gilt für Väter, Mütter, Kinder, Großeltern, Lehrerinnen und Lehrer, Alleistehende, Getrennte und so weiter.

 

Der Muttertag erinnert uns, dass wir mitverantwortlich sind, um Rahmenbedingungen für die Fürsorge aneinander wie für die Selbstfürsorge täglich neu zu erschaffen. Das übt keine Gesellschaft für uns ein. Das experimentieren wir neu- in einer Zeit, wo sich traditionelle Rollenbilder auflösen, aber nicht die Mütterlichkeit an sich über Bord geworfen werden darf.

 

Menschen nähren und tragen – ob als neugeborene Säuglinge, als Kranke, als Alternde, Pflegebedürftige und als Sterbende – das ist die mütterliche Seite in uns Menschen, die Jesus uns als neues Gebot mit gibt.

 

Menschen nähren mit Nähe, mit Zuwendung, mit Anerkennung, Menschen innerlich tragen, wenn in Trauer sind oder an etwas zu zerbrechen drohen. Menschen in ihrem letzten Wochen, Monaten oder auch Jahren begleiten als von dieser Welt Abschied Nehmende.

 

Es geht ein Ungeist in unserer Gesellschaft um, dass wir uns als Hilfebedürftige, als Todkranke keinem zu Last fallen wollen und uns selbst auch nicht als Last erleben wollen, als ein leidender Mensch, dessen Schmerzen eventuell von Woche zu Woche zunehmen und von Tag zu Tag. Ich habe es aus so manchem Mund gehört: ich möchte nicht mehr leben, ich mache mir selbst ein Ende, wenn ich nur noch leide. Aktive Sterbehilfe wird nun auch bald so gesellschaftsfähig, dass es auch in Deutschland in naher Zukunft kein Problem mehr sein wird, sich das tödliche Medikament geben zu lassen und Suizidbeihilfe als „aktive Sterbebegleitung“ zu bestellen. Wie lieblos sind wir geworden im Umgang mit der Anerkennung dessen, DER uns ins Leben berief und uns auch wieder aus dem Leben abberuft? Ist Gott nicht LIEBE. Ist es nicht ein liebender Gott, der uns nicht nur in guten Zeiten ein Wegbegleiter ist, sondern gerade in den Talsohlen unserer Lebens und in der letzten Stunden und die Zeit vor unserem Sterben bei uns ist? Mutet er uns ein würdeloses Sterben zu? Kann es nicht auch Würde sein, den Erdenweg in Leid und Schmerz zu Ende zu gehen, begleitet von mütterlich sich zuwendenden Menschen?

 

Gottes mütterliche Gegenwart

 

Geborgenheit schenkt uns Gott in jeder Lebenssituation. Seine mütterliche Gegenwart ist zärtlich anwesend. Gottes Liebe zu vertrauen ist unsere Aufgabe. Wir dürfen uns seines Mitgehens und seines Segens sicher sein, uns zu ihm flüchten, uns bei ihm bergen. Wenn wir Gott als unserer Zuflucht erfahren, können wir uns zu uns selbst wenden. Dann finden wir in der Stille bei Gott unsere eigenen Momente des Stillewerdens, des Geborgenseins. Die Liebe Gottes ist in uns wie eine sprudelnde Quelle. Manchmal ist sie überwuchert von Alltagslast, manchmal zugewachsen, weil wir nicht täglich den Weg zu ihr aufnehmen. Der neue Himmel, die neue Erde – sie sind schon da, als Quelle in uns. Diese Quelle wird eines Tages zum breiten Strom, weil wir es als Menschen lernen, uns gegenseitig Heimat werden zu lassen. Möge die Mütterlichkeit als eine Fähigkeit in uns und zwischen uns gelebt werden

 

„An den Früchten werdet ihr sie erkennen“, sprach Jesus: Die Frucht, dass wir Menschen annehmen und respektieren können mit dem, was sie von uns brauchen, dass wir sie seelisch und körperlich nähren können, dass wir sie tragen und ertragen können.

 

Mütterlichkeit-die Frucht des Herzens.

 

Der Muttertag ermutige uns, einen neuen Himmel und einen neue Erde unter uns anbrechen zu lassen, in der Mütterlichkeit und Väterlichkeit gemeinsam das Leben bestimmen. Gott wohnt unter uns und in uns mit seiner mütterlich-väterlichen Liebe. Amen