Hanna Strack » Die drei Bethen

DIE DREI BETHEN


Mehr als fünfhundert Jahre ist es her, daß KünstlerInnen aus der berühmten Werkstatt des Meisters Leonhard von Brixen in dem kleinen Südtiroler Dorf  Klerant das Bild jener drei Frauen schufen, die uns auf dem Umschlag dieses  Kalenders entgegenblicken.

 

In weite Mäntel gehüllt sitzen sie da, mit edelsteinbesetzten Kronen im rotgoldenen Haar, in den Händen nachgedunkelte, ursprünglich goldene Kugeln : Ampet, Gewer und Bruen, die drei Bethen. Wer sich in die aufrechte Haltung und die hoheitsvolle Geste von Gewer, der zentralen Figur dieser Dreiergruppe, hineinbegibt, wird spüren, welche Selbst-Bewußtheit, wieviel weibliche Macht und jungfräuliche Würde sie und ihre Gefährtinnen verkörpern und ausstrahlen.

 

Die Sitz-Haltung der Bethen von Klerant ähnelt der  romanischer Madonnen vom Typ “Sedes Sapientiae”, dem “Sitz der Weisheit”, aber auch großer Göttinnen wie der ägyptischen Isis, deren Name soviel bedeutet wie der Sitz, der Thron.  Das „sitzende Große Weibliche” gilt als die ursprüngliche Form der “thronenden Göttin”. Dies entspricht sehr genau der Darstellung der drei Jungfrauen von Klerant, die mit ihren goldenen Kugeln Himmel und Erde, den Kosmos und die ganze Welt in Händen halten und be-sitzen.

 

Die Kugel ist wie die Kette, die Ampet trägt, ein uraltes Bild für das Große Runde, für den Kosmos,  der weder einen Anfang hat noch ein Ende. Sie ist ein Symbol für die Ganzheit und die Vollkommenheit. Als Reichsapfel und Machtinsignie findet sie sich noch im Mittelalter in der Hand der Könige. Ihre Wandlungssymbolik wiederholt sich in den kreisrunden Heiligenscheinen, die die Gesichter der drei Frauen umrahmen wie goldene Hauben aus Mond- oder Sonnenlicht, – und auch  in der Farbgebung der Gewänder. Schwarz-weiß-rot, das waren in matriarchalen Kulturen die sakralen Farben der oftmals dreigestaltig gedachten Mondwechsel- bzw. Zyklusgöttinnen. Sie  repräsentierten den ewigen Kreislauf von Werden, Sein und Vergehen und brachten zum Ausdruck, daß eine weiblich-göttliche Kraft immer von Neuem Leben hervorbrachte, es wieder zu sich zurückholte und es erneuerte durch den Tod hindurch. Auf die Lebensphasen der Frau bezogen stand Weiß für die Jungfrau, Rot für die reife Frau und die Mutter und Schwarz für die weise Alte.

 

Auch in den Namen der drei Frauen spiegeln sich zyklische Vorstellungen. Anders als in Südtirol, wo sie oft vom Dialekt verformt wurden, hießen sie in ihren deutschen Verehrungsorten z.B. Ambet, Wilbet und Warbet (Eifel),  Embede, Wilbede und Warbede (Worms) oder Einbeth, Firpet und Gberpet (Leutstetten, Oberbayern).

Das aus dem Keltischen stammende Bet bedeutet so viel wie: die ganze Welt, der gesamte Kosmos und zugleich: die Ewigkeit, das unvergängliche Leben. Damit zeigt sich, daß wir in den drei Bethen jener weltweit als weiblich gedachten und göttlich verehrten Wandlungsenergie begegnen, deshalb heißen sie auch die “drei Ewigen”, sie sind die Verkörperung des ständig sich erneuernden Lebens zu bezeichnen.

 

Religionsgeschichtlich gesehen handelt es sich bei den drei Bethen vermutlich um die ältesten Zyklus-Göttinnen unseres Kulturraums. Ähnlich wie Isis oder die dreigestaltige Artemis, die das Leben unabhängig von einem Mann aus sich selbst heraus erschaffen hatten, galten sie als Jungfrauen, und das bedeutete im ursprünglichen Sinn: eins mit sich selbst, autonom und frei zu sein. Ihre Verehrungsgeschichte zeigt, daß sie auch in christlicher Zeit weiterlebten  und in der Volksfrömmigkeit ganz Mitteleuropas vom 12. bis ins 20. Jahrhundert hinein eine zentrale Rolle gespielt haben: als Hüterinnen der  Quellen und Bäume, als Garantinnen für gutes Wetter und eine reiche Ernte, als Verbündete aller Frauen, die mit dem Kinderkriegen ihre Not hatten, aber auch als Vermittlerinnen alten Frauenwissens und als Lehrmeisterinnen weiblicher Kraft und Unabhängigkeit.  Der Dreifrauenkult gehört damit zu den wichtigsten, gleichzeitig aber auch am stärksten verdrängten und bis heute verschwiegenen spirituellen Frauentraditionen unseres Kulturraums. Sichtbare, d.h. bildliche oder schriftlich erhaltene Zeugnisse dieses Kults haben sich vor allem in der Eifel, am Niederrhein, in Bayern, in Nord- und Südtirol erhalten.

 

Trotz oder gerade wegen ihrer großen Popularität hatte die offizielle Kirche immer ihre Probleme mit den drei Bethen. Dementsprechend wurden sie auch nie in den offiziellen Heiligenkanon aufgenommen. Viele kirchliche Handschriften, Buß-ordnungen, Beichtspiegel und Visitationsprotokolle berichten indirekt von der Bekämpfung ihres Kults und den zahllosen Umdeutungs- und Vereinnahmungsversuchen von Seiten der kirchlichen Obrigkeit. Mancherorts sind sie die einzigen Zeugnisse, die belegen, welch hohen Stellenwert die drei Jungfrauen im Volksglauben hatten, wieviel Widerstandskraft und Oppositionsgeist die Menschen ihretwegen mobilisierten und wie wichtig es ihnen war, gerade von ihnen gesegnet und beschützt zu werden. Daß Bruen auf dem Kleranter Fresko in einer Segens- und Redegebärde abgebildet ist, die wir sonst eher von Christusdarstellungen kennen, bestätigt diesen heute fast unvorstellbaren Rang, den das Weiblich-Göttliche noch kurz vor der Reformation innerhalb der christlichen Kirche innehatte.

 

Erni Kutter

 

Autorin der Bücher: Der Kult der drei Jungfrauen, Eine Kraftquelle weiblicher Spiritualität neu entdeckt, München 1997 ; Schwester Tod. Weibliche Trauerkultur, Abschiedsrituale, Gedenkbräuche, Erinnerungsfeste, München 210