Hanna Strack » Brigitte Enzner-Probst: Frauenliturgien

Brigitte Enzner-Probst: Frauenliturgien als Performance. Die Bedeutung von Corporealität  in der liturgischen Praxis von Frauen. Neukirchen-Vluyn 2008 ISBN978-3-7887-2249-4

 

Mit diesem Buch, ihrer Habilitationsarbeit, bietet uns Brigitte Enzner-Probst zweierlei: Erstens reflektiert und bereichert sie unsere eigene liturgische Praxis durch den analysierenden Überblick über die Frauenliturgiebewegung in Europa und Nord-Amerika. Zweitens stellt sie die Frauenliturgien in den liturgiewissenschaftlichen Diskurs und formuliert die theologische Grundlage, mit der Frauen eine Antwort geben auf die Krise der symbolischen Ordnung der Kirche.

Performance meint eine Liturgie, die gestaltungs- und erlebnisoffen ist und von Spannungen und Überraschungen lebt, sodass die Feiernden der Tiefendimension des Lebens entgegen wachsen können. Der etwas sperrige Begriff Corporealität ist notwendig, um den Dualismus von Körper und Geist zu überwinden.

Das Buch beginnt mit einem Kapitel über A die Vorklärungen, die Fragestellung und Methoden und über die (Nicht-)Wahrnehmung in der liturgiewissenschaftlichen Diskussion.

Es folgen B die geschichtliche und  materiale Analyse und C die Interpretation und Diskussion. Faszinierend ist für alle, die es miterlebt haben, der Überblick über die dreißig Jahre Frauenliturgiebewegung, eine kurze, aber außerordentlich kreative Zeitspanne. Aus der Fülle der jedes Mal neu gestalteten Liturgien werden vierzehn exemplarisch analysiert. Deren Ausführungen und thematische Auswertung, sowie eine komplette Sammlung aller Liturgiegruppen sind im Anhang gesammelt, der zum downloaden im Internet steht: www.theol.unibe.ch/ipt/download.html.

Frauenliturgien versteht Brigitte Enzner-Probst als Feiern der befreienden Seelsorge an den Wendepunkten des Lebens (134). Sie weiß aber auch um die Grenzen, die Enttäuschungen und Erschöpfungen oder um das Wegdrängen an den Rand, und um die Notwendigkeit einer guten liturgischen Leitung.

Im zweiten großen Hauptteil erarbeitet Brigitte Enzner-Probst die liturgiewissenschaftlichen Aspekte der Frauenliturgien. Dabei geben vier Exkurse überraschende Einblicke: Die performativen Aspekte werden aus der Theaterwissenschaft, das Körperkonzept aus dem Avantgarde- und sakralen Tanz, die neue spirituell-rituelle Kultur in der Postmoderne aus der  Aspektivität und schließlich im letzten Kapitel die theologischen Relevanz mit einem Exkurs über Machail Bachtins Sprach- und Kulturphilosophie belegt.

Frauenliturgien wollen den Gottesdienst nicht einfach etwas sinnlicher gestalten, sondern „… zu Erfahrungen gesteigerter Energie, veränderter, geöffnete Bewusstseinsebenen hinführen und dabei neu, über den Alltag hinaus führende Erkenntnismöglichkeiten eröffnen.“ (363) Das ermöglicht Gottdurchwirktheit von Wirklichkeit und Wandlungs- und Auferstehungserfahrungen. Denn die neue symbolische Ordnung stellt heilsame Wandlung an Stelle von Opfer. So können die Feiernden eine gemeinschaftliche Sinn-geburt erleben. Jedoch „fehlt die Einbettung performativer liturgischer Praxis in den größeren Zusammenhang christlicher Überlieferung, gehen die Wurzeln verloren, aus denen sich auch diese Praxis speist.“ (396)

Mit diesem Buch hat die Frauenliturgie ein Standardwerk bekommen, das ich dem Buch von Annette Esser über die Gesamtdarstellung der feministischen Theologie (Interkontexte feministischer Spiritualität) an die Seite stellen möchte. Beide Frauen haben ihr Werk zu ihrem 50sten Geburtstag vorgelegt, eine große Ermutigung für andere!

Es ist zu hoffen, dass die von Männern dominierte Liturgiewissenschaft nun diesen Reichtum wahrnimmt, der für sie immer noch ein unbekanntes Forschungsgebiet ist. Das sehr übersichtlich gegliederte und gut zu lesende Buch kann auch Pastorinnen und Pastoren für das „zweite Programm“ oder auch für ihre allsonntäglichen Gottesdienste Anregungen geben, neue Symbole und Zeigehandlungen in traditionelle Muster einzufügen, Bricolage genannt. Brigitte Enzner-Probst hat als Gemeinde- und Hochschulpfarrerin in München selbst erprobt, was sie schreibt.