Hanna Strack » Briefe von der Front in Wollseifen/Eifel, Dezember 1944

Wollseifen

Nationalpark

O.U., den 1.12.44

Brief Nr. 81

 

Meine liebste Maria!

 

Du wirst wohl auch in der Zeitung gelesen haben soviel, dass Du wenigstens von unserm Abschnitt weißt, wie die Materialschlacht entbrannt ist. Es dröhnt und hallt in den Tälern zwischen den Bergen, dass uns niemand erst zu bestätigen braucht, welchen nervlichen und seelischen und körperlichen Leiden die Kameraden vorn unterworfen sind. Unser Nachrichten-Fw. Eisenhardt sagte uns, er habe in den 6 Jahren des Krieges nichts Gleiches erlebt. Unsere Pio. sind wieder zu Grenadieren geworden.

Endlich kam wieder ein Gruß von Dir, wenn auch nur der kurze vom 20.11. auf welchem Hansemann anfing, zu tippen. Hab’ Dank dafür, Maria! O, wie freue ich mich, dass Du gesund bist und ich noch etwas von Dir hören darf, denn es wird noch ganz anders kommen, wenn die Entwicklung so weiter geht.

Gestern schrieb ich Dir vom Quartiermachen für Krämer und Bender. Der Mann der btr. Frau war vor 2 Tagen von der nahen Front her noch bei ihr uns als ich vorhin rauf kam, saß sie in Trauer und Tränen. Wird das nicht eines Tages das Ende aller unserer Wege auf Erden sein, damit wir wieder froh und dankbar zu unseres himml. Vaters Botschaft werden von seinem Reich, darinnen Friede, Freude, Gerechtigkeit und Heiligkeit wohnen.

 

Heute war’s wieder ein langer Tag für mich; aber es geht mir dabei gut, und ich habe wieder ein sehr ordentliches Quartier gefunden bei der Witwe Joseph Schöller, Haus 172.

Als ich vorhin kam, stand warme Milch auf dem Ofen und ein sauberes, weißes Bett war gemacht. Gegen 8 Uhr war ich schon kurz hier und bekam eine Milchsuppe.

Nachdem ich auch schön gewaschen bin, wozu ich mir heißes Wasser vom Herd holte, – die beiden Leutchen sind schon zum Schlafen zur Klostermühle – bin ich sehr bettreif und lege mich schlafen; ½ 12 Uhr. Von Mutter Hch. kam ein Brief vom 20., wo sie meinen vom 16. schon hatte! –

Maria, herzlich denke ich Deiner und unserer Kinder und würde Dich gern in meine Arme schließen!

Sei in herzlicher Liebe geküsst von

 

Deinem Karl.

 

Hoffentlich ist der Brief Nr. 56, den Du nicht hattest, nicht der mit den Pä.*Marken! Ich lege Dir hier 2 braune bei.

 

* Man musste Marken haben von den Soldaten, um Päckchen schicken zu können. Je nach der Farbe konnten die Päckchen schwer sein.

 

 

O.U., den 4.12.44

Montag abend, Brief Nr. 82

 

Auch heute bin ich müde und kann mich kaum sammeln. Wundere Dich, Maria, drum nicht, wenn ich so ungereimt schreibe, was mir gerade in den Sinn kommt und meist von mir selbst. Aber man muss das einmal haben und sich ausreden oder ausschreiben können an einen Menschen, Du!

Die letzten paar Tage tobte vorne die Schlacht und ihr Getöse drang auch bis hierher. Gestern sah man zum 1. Mal seit langer Zeit einige deutsche Jäger, und unsere Landser sollen geweint haben vor Freude. Es ist unvorstellbar, welche Beanspruchung der Nerven es ist, dauernd im Feuer oder unter scharfer Kontrolle aus der Luft im Deckungsloch liegen zu müssen. Und es ist immer wieder erstaunlich, wie aufopfernd die Männer der Front fast wochenlang dem blinden Wüten der Gewalten sich entgegenstemmen. Wird die Mauer aus Fleisch und Bein dem Ansturm von Eisen und Stahl noch lange standhalten können? –

Jenseits des Bächleins * wird nun auch schon langsam geräumt von der Zivilbevölkerung. Gestern trat ich ins Nachbarhaus ein, wo im Keller unsere Vermittlung eingerichtet ist. Ich traf den Mann beim Nachsehen seiner Wohnung. „Man mag das alles nicht mehr sehen. Meine Frau und mein Junge liegen draußen unterm Rasen. Als ich sie neulich schon im Auto hatte und ein paar Meter gefahren war, kamen Tiefflieger, jetzt hab’ ich noch ein 2 ½ jähr. Mädchen in Thüringen“. (Dorthin fahren die meisten Flüchtlinge aus hiesiger Gegend). –

Wie herrlich ist hier doch das Bild der Natur, des Geschaffenen; und wie noch anders mag das im Frühling sein. Insofern ich dies Bild in mich aufnehmen darf, kann ich zufrieden sein, jeden Morgen den weiten Weg zum Chef der Abtl.V machen zu müssen und ihn auch zum Essenholen gehen zu dürfen. Für die Arbeit ist das wenig praktisch und entspricht nicht den Grundsätzen, die der hohe Chef noch in Wollseiffen gehabt hat. Aber auch solche Fanatiker der Arbeit und des Einsatzes fürs Vaterland wohnen gern schön und bequem und gehen gern auf Nr. Sicher, weshalb es ein Zimmer „im Parterre“ sein sollte, das ich ihm heute morgen im Dorf suchen sollte. Als ich ihm meldete, nur ein solches im 1. Stock und ohne fließendes Wasser gefunden zu haben nach langem Suchen, bekam ich überhaupt keine Antwort. –

Das Quartier, das ich selbst habe, ist im „Parterre“. Die Leutchen und besonders „Fräulein Kätchen“ ist unermüdlich tätig für ihre Soldaten. Das Häuschen ist immer sehr sauber, wie Fräulein Kätchen selbst, die vom frühen Morgen bis zum späten Abend – beginnend mit Kirchgang! – auf den Beinen ist und dazu noch auf einem verkürzten. Heute Abend haben wir 4 Soldaten mit den beiden gegessen: Lauchsuppe, Bratkartoffeln, Bohnen und als Nachtisch Rhabarberkompott – am weißgedeckten Tisch. Wie wohltuend ist das!

Ich zweifle nicht, dass dahinter eine feine Glaubenshaltung steht, die sich in solcher Nächstenliebe äußert. Es gefällt mir sehr, mit welcher Andacht die beiden – und keineswegs oberflächlich – das Kreuz machen und beten vor und nach dem Essen.

Mein Nachtlager ist jetzt ein gutes Bett in einem Zimmer, in welchem auch Fw. Maier (aus der Gegend von Engen) schläft. Du siehst, bzw. hörst, liebe Maria, dass ich äußerlich wieder sehr gut versorgt bin. Aber wie gern würde ich mich wieder von Dir versorgen lassen, Du, meine liebe Maria!

Ach, nun wird es wieder sehr laut in der kleinen Stube. Ein früherer Rennfahrer, der mit seiner Silberplatte am Kopf, ungeheuerlich reden kann. Hoffentlich kann ich Dir morgen wieder schreiben, wenn der Chef unterwegs it.

Gott behüte Dich samt unsern Kindern! Sei in Liebe herzlich gegrüßt und geküsst von

 

Deinem Karl.

 

* der Rhein

 

O.U., den 7.12.44

Br.Nr. 85. Fr.Nachm.

 

Gestern Abend kam ich bei den Quartierleuten ins Gespräch über Glaubensfragen. es war erstaunlich, wie sich diese einfachen Leutchen doch sachlich für ihren christl. Glauben u. Lebensanschauungen mit biblischer Begründung einsetzen können etwa einem Kam. gegenüber, der sich „über diese Dinge lieber nicht äußern“ wollte. Ich, d.h. auch die andern Kam. bekamen wieder ein gutes Abendessen, das uns Frl. Kätchen bereitete, die nicht nur fleißig, sondern auch fromm ist u. jeden Mogen die Messe besucht, Heute wäscht sie mir.-

Allmählich gibt es mehr Raum im Dorf, nachdem einige Familien schon abtransportiert wurden. Die Frau nebenan hat unserm Jutz. die Hühner verkauft u. Äpfel. Sie wartet schon einige Tage, dass sie mit ihrem Vater u. Töchterlein abgeholt wird. Ein trauriges Bild, wie sie so in der Küche hinter ihren Bündeln sitzen.- Gestern Abend meinte jemand: „Hoffentlich wird´s eine Flucht nach Ägypten, u. eine bewahrte Rückkehr!“-

In dem Karl-May-Band: Winnetou, der hier umherliegt, las ich von ihm in der Einleitung: „Es ist ein grausames Gesetz, da der Schwächere dem stärkeren weichen muß; aber da es durch die ganze Schöpfung geht u. in der ganzen irdischen Natur Geltung hat, müssen wie wohl annehmen, dass diese Grausamkeit entweder nut scheinbar besteht oder einer christlichen Milderung fähig ist, weil die ewige Weisheit, die dieses Gesetz gegeben hat, zugleich die ewige Liebe bedeutet.“- Das ist noch eine andere Sprache als die heutige, die nur das „Recht des Stärkeren“ kennt u. den Menschen nur im Zusammenhang der Natur sieht u. sich nicht zu helfen weiß, um dem Verderben Einhalt zu gebieten, das aus dem Gesetz der rohen Gewalt kommt. merken es aber nicht die Besten unter uns, dass wir weiter gekommen wären, wenn wir jede christl. Milderung erkannt u. geübt hätten.-

 

 

O.U., den 8.12.44

Br.Nr. 86, Fr.Abd

 

die Bewahrung heute muß ich dankbar mit so vielen, die es hätte treffen können u. die mit dem Schrecken davonkamen. Es war ein toller Tag. Um 1/2 5 Uhr begann er damit, dass 2 Munitionsfahrer ohne ihr Kraftfahrzeug wiederkamen, das ihnen „unterm Arsch“ weggeschossen wurde, zum Glück auf dem Rückweg, nachdem der Wagen schon entleert war.- Darüber Telefongespräche mit Beschuldigungen. Ende: der zerschossene Wagen musste mit einem Lkw abgeschleppt werden. Neues Risiko für die, welchen die Ausführung befohlen war. Aber es ging trotz Schießerei gut ab. Der Kirchturm, so meinte der Fahrer, der bisher noch stand, hat uns als Orientierungszeichen gute Dienste getan; er war das letzte Bauwerk im Dorfe Sch…, das noch stand.

Die Artillerie schoß wieder mächtig den Hasen ins Feld. Man gewöhnt sich daran sehr, wenn man das Sausen noch hört u. dann die Einschläge. Auch Flieger in der Luft sind keine Ausnahme. Aber plötzlich schwoll gegen 11 Uhr das Brummen mächtig an, sodaß wir die Nase zum Fenster hinaussteckten u. ein großes Rudel der großen 4-motorigen in aller Gemütsruhe über uns kreisen sahen. Sie suchten ungestört ihr Opfer, u. deutlich sah man die Bomben vom Flugzeug fallen. Es dauerte nichtlange, so war der Himmel grau von Staub. Es wollte kein Ende nehmen. Wir gingen in den Keller, weil man jetzt nicht mehr sah, wohin die Bomben fielen. Wir wurden nur gewahr, dass eine Reihe in die Gegend des Dorfes fiel, wo unsere Feldküche stand, wo ich mein Quartier hatte u. viele andere unserer Einheit. Man denkt an die Menschen, die dort wohnen u. kann doch keine Bombe aufhalten. Endlich gibt es Ruhe. Ich gehe Essen holen. Aber es gibt kalte Kost, denn die Suppe ist „versalzen“, der ganze Dreck flog hinein. Die Dorfstraße war übersät mit Ziegelfesten, Erde, Steinen, Schmutz. Die meisten Häuser sind abgedeckt. am meisten ergreift es mich, als ich das Häuslein meiner Wirtin sehe: eine Ruine fast. Die Leutchen waren in der Küche u. blieben ganz verschont. Nun mussten sie vor ihrer Flucht auch das noch erleben. Und Frl. Kätchen was so tapfer; das Weinen war ihr verständlicherweise nahe. Welche hingebende Mühe hat sie an die Sauberkeit gewendet u. jetzt dieser Schmutz überall; kein Fenster mehr heil: kein Dach; Türen eingedrückt; auf dem Boden flattert noch meine Wäsche im Wind. „Wir müssen auch das ertragen“. Fw. Murier war fast unter den Schutt zu liegen gekommen. Man ist so dankbar, dass niemand verletzt ist. In einem andern Dorf, wo unser 1. liegt, sind manche Leute unterm Schutt begraben. dass Gott erbarme!- Auch beim  Haus, wo die Schreibstube ist, war man beim Aufräumen u. Dachdecken. Krämer, Bender u.a. waren hoch auf den Berg geflüchtet.- Am Nachmittag wurde es nicht viel ruhiger. Es waren wohl keine großen Bomber mehr, statt ihrer aber viele Jagdbomber. Gegen 4 Uhr hatte ich eben einen Laden geschlossen, als eine Bordwaffe ganz nah knatterte. Dann sausten kurz hintereinander die Maschinen zum Bombenwurf herunter. Es reichte mir nicht mehr in den Keller. Ion einer Ecke stehen wartet ich das Ende des Krachens, Zersplitterns und Bebens ab – sollte das auch ein Warten auf mein Ende werden? – endlich war alles vorüber u. ich konnte Fegen und Abstauben. Das Dach ist teilweise abgedeckt, einige Scheiben fehlen u. Verputz brökelte ab. Bald darauf schoß wieder die Art. so nahe; das merkte ich aber erst, als ein Mann verängstigt nach dem Keller frug. Als ihn ihn beruhigt hatte, schlug seine Angst in Ärger um auf die „schönen Reden“, die die Herren halten, während das Volk von einer Angst in die andere gejagt wird.- Heute Abend ist es ausnehmend ruhig. die Wände der  Berge, die sonst beben u. das Echo weitergeben, schweigen. Aber über dem todgeweihten Land wird es Advent, und das Fragen geht an in manchem gebrochenen Herzen: Wer hilft uns? Wo ist der Retter? – Und seine Antwort heißt: „Siehe, ich komme bald.“

Maria, so können age de Schreckens über uns hereinbrechen u. wir müssen gewappnet sein. Ich befehle Euch alle u. Dich zumeist der Gnade Gottes!

 

 

O.U., den 10.12.44

Br.Nr.87

Wir sind nicht ganz dort, wo Du Dir gedacht hast, aber an einer ebenso windigen Ecke, an welcher der Amerikaner aus dem Waldgebiet und den Bergen das ebene Land zu gewinnen versucht mit allen Mitteln. –

 

O.U., den 10.12 1944

Br. Nr. 88  2. Advent

 

Meine liebe Maria!

Das Feiern des Christfestes wird Dir in diesem Jahr zu den äußeren Aufgaben der Vorbereitung und Durchführung noch eine andere stellen: In der Stunde der Anbetung des Gotteswunders und in der Stunde der Freude unserer Kinder das Gefühl des Alleinseins zu überwinden. Es ist ähnlich auch bei mir, nur dass hier nicht von der Freude der Kinder die Rede sein wird. Vielleicht hätte ich nicht ohne solche sein brauchen, wenn die Leute hier im Ort nicht in diesen Tagen ihr Bündel hätten packen u ihre teilweise schon zerstörten Häuser u. Wohnungen hätten verlassen müssen. Gestern, als ich bei unserm Schuhmacher zu tun hatte, der bei einem gichtbrüchigen Männlein wohnt, trat ich in eine mit Kindern vollgestopfte Stube ein: ein trauriges Bild. …dass auch schon die Kinder so schmerzlich unter die Nöte des Krieges gepresst wurden! So sind wir – falls wir noch leben u. hier leben – ohne die Wärme einer anderen Gemeinschaft als der von den Kameraden. Und umso mehr und umso weniger abgelenkt vielleicht werden dann die Bilder der eigenen Familie u. ihres Feierns umso schöner sich uns mitteilen. Maria, es sind soviele und so köstliche Bilder, die wir übe das Feiern in unserem Kreis haben, angefangen von 10 Jahren, als wir noch „allein“ waren als Eheleute; bis nun im letzten Jahr noch einmal die Feier in der Familie einen Höhepunkt für uns alle bedeutete. Wer solchen Reichtum in sich trägt, darf sich nicht dadurch an der Liebe Gottes versündigen, daß er sich für einen Armen hält.

Und dies ja alles das erst, was uns zum Eigentliche Dazugegeben ist! Es bleibt für mich auch ein dunkelsten des hellsten Strahlen der Liebe des himml. Vater, dass ich ihn eigentlich gefunden habe durch unsern Herr, dessen Geburtstag ich darum mit gutem Grund dankbar feiern kann. und wenn es auch nicht mit de Instrumenten u. im Kreis der Familie sein kann, so klingt u. singt es doch im Herzen: Lobt Gott, ihr Christen, allzugleich in seinem höchsten Thron!

O.U., den 13.12.44

Br.Nr. 90

 

 

? Es wird geradezu verwunderlich erscheinen, wenn noch ein Mann dem erdrückenden, zerschmetternden Material entrinnt: „Sie kommen mit den Panzern und schießen auf 40 km Entfernung in unsere Löcher“. Oder Lt. Jensch „Es ist noch schlimmer als in Stalingrad“, wo er auch mit dabei war. Unsere Nachrichtler rühmten vorhin das noble Verhalten des Gegners gegenüber den Kampfunfähigen. Unsere Sanitäter gehen mit weißen Tüchern und rotem Stern auf Brust und Rücken gebunden, um die Verwundeten zu bergen. Der Feind lässt sie bis auf 20 m Nähe ungestört arbeiten; ja, es ist vorgekommen, dass die sich über die Behandlung der Verwundeten unterhalten haben. Trotzdem: der Krieg und dessen material-überlegene Gegner ist der Spinne gleich, die mit ihrem Netz die Fliege fängt und auf sie losstürzt, sie zu töten. So verfängt sich der einzelne Mann im Netz der Erdlöcher und wird von den eisernen Fangarmen des sich auf ihn stürzenden Feindes erreicht. Wielange darf dieses grausame Spiel noch gehen? Ist das der Mythos unserer Zeit?

Mein Chef kam ziemlich angegriffen zurück, nachdem er in einem rückwärts. Städtchen in einen Bombenhagel gekommen war. Ich weiß nun besser mit ihm umzugehen, und da ich ihn zu seiner Zufriedenheit bediene mit Trank und Speise, ist er erträglicher geworden. Trotzdem ist mir seine Art so wenig gelegen, dass er selbst schon meinte, er brauche einen anderen Schreiber, weil ich so feinfühlig sei. –

So, meine Liebe, das wollte ich Dir heute Abend noch gesagt haben, nachdem ich einigen Verwandten zum Christfest geschrieben und meine Patenkinder mit der Pacht beschenkt habe. Ich denke, Dein Einverständnis dafür zu haben. – Wir Süddeutsche sind heute wieder ohne Post! –

 

 

O.U., den 15.12.1944

Nr.91

Meine herzliebste Maria!

Man lebt hier nicht nur einmal, man lebt täglich von neuem. Denn man stirbt auch täglich sich selbst ab u. allem, was man Liebes in der Welt hat. Das ist uns heute wieder sehr eindrücklich geworden. Es schießt schon in der Nacht, daß selbst ein Tiefschläfer, der ich gewöhnlich doch gewesen bin, aufgeschreckt wird von den nahen Einschlägen der Granaten.

Heute Nacht schlief Inspektor Klugic im Keller vorsichtshalber, während ich oben blieb beim Telefon. Gegen 9 Uhr kamen 2 Ordensschwestern, die hier ein großes – schon aus Köln geflüchtetes Kinderheim haben. Sie suchten einen Lastwagen, um die restl. 12 Kinder u. Betten wegzuschaffen, aber leider konnten wir ihnen nicht helfen. Sie seien schon seit Wochen vertröstet worden; heute kam zwar ein Omnibus, in welchem aber der Bürgermeister sich gerettet habe. Gestern schlug eine Granate in das Stallgebäude im K.heim u. tötete den alten Knecht.-

Gegen Mittag rauschen plötzlich Bomben von wolkenbedecktem Himmel u. schoß gleichzeitig die Ari ein mörderisches Feuer. Wir kamen eben noch in den Keller, als von den etwa ? km fernen Bomben wie von unsichtb. Riesengewalt geschüttelt wurde. Wohin werden sie gefallen sein? die telefon. Verbindung war zerschlagen, Licht ist weg, Wasser bleibt aus. Als unser Melder die Verpflegung brachte, berichtete er, dass der friedlich gelegene Ort nach dem Kriege wieder herrlicher denn ja erstehen soll. Da mein Chef ausgeflogen war, und eine wichtige Sache zu erledigen war, musste ich 2 Stunden später selbst nach dem Dorf u. fand bestätigt, was ich hörte. So ist das Haus, in welchem die Schreibstube sich befand, ganz zusammengerutscht. Es ist ein großes Wunder, daß Krämer, Bender u. eine andere, die sich dort befanden, fast unverletzt am Leben blieben. Die ganze Einrichtung, ja alles an Möbeln, was im Haus war, liegt unter Trümmern begraben. Die Kam. waren gerade dabei, den Schutt nach brauchbaren Dingen zu durchsuchen. Ein Brief von Dir, vom 10.11., soll auch darunter liegen. –

Wenn das auch so bedauerlich ist, dass keine Post mehr durchkommt, so ist das ganze Geschehen doch unendlich trauriger. Gestern kam Lt. Jentsch ins Laz., der 14 Tage in vorderster Linie ausgehalten hat u. einen Nervenzus.bruch bekam. Er ist einer der besten Offz., die wir gehabt haben.

In dem Raum, den wir seit einigen Tagen bewohnen, ist nun ein anderer Verband; wir werden heute Nacht im Keller kampieren u. sollen morgen mit dem kl. Rest an einer anderen Stelle eingesetzt werden. Hinter uns soll viel SS liegen. Werden sie uns helfen? Oder worauf sollen wir noch warten? Es ist einem alles so schleierhaft.-

 

 

 

O.U., den 16.12.1944

Br. Nr. 92 Samstag Abend

 

Liebste Maria!

Der Gedanke, es möchte einmal der letzte Brief , der letzte Gruß sein, lässt mich nicht ruhen, Dir auch heute Abend zu schreiben u. zu berichten, wie mein Tag hier war. Man ist so dankbar, dass es ohne Schaden und so ging, dass man am kühlen Abend ein Dach überm Kopf hat.

Um 2 Uhr heute Morgen kam Uffz. Neudörffer von vorne; er braucht einen Pkw., der Nachrichtengerät vorne abholt im Bunker, den den Gef. stand, Nachr.Vermittlung u. Verbandsplatz in sich birgt. Ich schicke, da mein Inspektor am Abend in unbekannter Richtung weggefahren ist, meinen Kradmelder zu  Kam. Sonnenburg, dass er fährt. Weder der eine noch der andere kommt zurück. Ein Melder zu Rad kommt auch nicht vor Tagesanbruch: „Ich hab´ niemand gefunden, es sitz ja alles im Keller; ich fiel selbst durch ein Loch in einem Keller.“ Die fd. Ari schoß ja auch wie wild. Als ich selbst nach dem Rechten sah, war der Fahrer mit dem Auto im Bächlein gelandet; mein Insp. steht vor dem Häuslein am Berg u. schaut finster in die Gegend: „Wir haben keinen Wagen mehr fahrbereit u. vor allem keinen Fahrer.“ Also gehe ich wieder zurück durch das zerschossene Dorf. Wo ich gestern noch Uffz. Herzog besuchte, gähnt ein großes Loch. Das Klavier, das im Zimmer stand, liegt total zertrümmert mit dem Bett im nächsten Zimmer, u.s.w. Krämer, Bender, Hagstolz sind am „Wohnungssuchen“. Als ich etwa 1 Stunde zurück bin im Keller, wo ich etwas Schlaf nachholte, kommt Pferdefahrer Klein: „Hch., sofort umziehen!“ Wir verladen Kisten, Rucksäcke, Schreibmasch., Eingewecktes (!) u. fahren im Karracho durchs Dorf; Flieger sind über uns, lassen uns aber in Ruhe. Außerhalb des Dorfes in einem Seitental hat ein armer Mann mit seiner Frau ein kleines Häuschen bewohnt; es ist ganz an den Felsen angeschmiegt. „Haus Friede“! Wie schön, o wie schön wäre der „Friede“! Ich trage das Gepäck hinauf. Das Häuslein hat nur eine kleine Wohnküche u. darüber ein Schlafzimmerle. Aber oben ist es schon luftig; so wollen wir 3 Mann (Jnsch, Fw. Kästle u. ich) auf dem Küchenboden schlafen. Das Ganze ist so niedlich: Da ist eine Gartenlaube im kl. Luftschutzbunker mit einem Herdchen drin; da sind am steilen Hang Beete, teilweise auch bepflanzt; an 3-4 Stellen stehen Bänke, wo sich´s im Sommer gut sitzen  u. sich in die Schönheit u. den Frieden der Natur versenken läßt. An der Küchenwand hängt noch der Kruzifixus; das Weihwasser fehlt nicht. Man kann sich vorstellen, wie die beiden Bewohner im Gottesfrieden, Herzensfrömmigkeit ihren Lebensabend hier zubringen wollten -, bis der fluchbringende Krieg auch sie vertrieb. – Ich mache mich gleich an die Arbeit, Räume auf, bediene meinen Herrn, der sehr aufs Essen aus ist; spüle auf dem Tisch vor dem Häuschen das Geschirr – Hannele hat mal am 12.12. im Garten Puppenwäsche gewachsen, ich entsinne mich gern an das damals gelungene Foto. Dann muß ich noch einmal zurück um die Hühner zu holen; wasche dem Jnsch die Stiefel, hole das Abendbrot u. schreibe noch einen Termin. Man hat gehört, es soll etwas Großes steigen; ein Generalangriff; aber unsere Lücken sind schon sehr groß. Das müssen schon andere Verbände sein. Wir sind nur noch eine „Kampfgruppe Schlaustein“, aber anderswo sind die Kräfte zus.geballt, die den Feind zurückwerfen sollen. Man „denkt“ aber am besten gar nichts mehr; dann all unser Denken geht an der Wirklichkeit vorbei. Besser man betet, bes. um das Erbarmen Gottes mit dem großen Jammer der vom Krieg so hart Betroffenen.

 

O.U., den 17.12.44

Br.Nr. 93, 3. Adventsabend.

 

Maria, wenn ich Dir auch hin und wieder von dem elenden Leben erzähle, das man als Soldat führt, so denke immer daran, wie gut ich es vor vielen andern bisher haben durfte. Die schwerste seelische Probe würde der Einsatz in der H.K.L. (Hauptkampflinie) sein. Und auch das kann noch kommen, denn es wird auf die noch vorhandenen Kräfte bei den Trossen zurückgegriffen, ohne Schonung. Ich weiß nicht, welche Folgen das für mich hat. Aber man muss auch darauf gefasst und innerlich vorbereitet sein, dass man in die höllische Nervenmühle geworfen wird. Und man darf auch dabei glauben, dass die Engel Gottes uns überallhin begleiten, um uns im Kampf zu stärken und im Sterben zu tragen. – bis nach Hause. „Tu’ uns nach dem Lauf Deine Türe auf.“

In einem Aufruf von Generalfeldmarschall Model heißt es u.a.: „Und wenn Gott schweigt, dann müssen unsere Kanonen sprechen“ !!! Gott wird nicht schweigen. –

Neben mir sitzt der Arzt, der erst kürzlich geheiratet hat; ein ganz sympathischer Mensch. Er erzählt gerade, dass die Amerikaner jeden Brief öffnen, d.h. der Zensur vorlegen, und das im Lande der „Freiheit“! Er unterhielt sich mit Verwundeten darüber, die etwas Deutsch konnten.

 

Es ist nun doch soweit gekommen, u. ich bin z. 2. Kp. versetzt.

 

O-U-, den 23.12.44

Br.Nr.95

 

Meine herzliebste Maria!

 

Die beiden letzten Tage schrieb ich sehr viele Briefe – an Hinterbliebene Gefallener, die jetzt noch zwischen Hoffen u. Bangen das Christfest feiern. Ich schreibe in der Pfarrküche, wo sich außer der Köchin u. dem Mädchen noch einige Landser aufhalten, auch Lt. Jentsch sein Mittagsmahl hält.

Inzwischen hat sich geklärt, welche Verwendung in der Kp. ich haben soll. Ich solle Fourier werden, nachdem der bisherige erkrankt ins Laz. kommt. Zar werde ich im Einsatz die Verpflgg ach vorne bringen müssen u. es wird mir nichts erspart bleiben, aber dieser dienst ist doch noch angenehmer als das Herunmliegen im Feuer und im Dreck bei Nässe u. Kälte. Nun ist auch Kam. Fritsch (Gefechtsschreiber b. Stab) hierherversetzt als Melder b. Komp.Trupp.

Gestern traf ich einen kath. Wehrm.pfr., der sich nach Möglichkeiten erkundigte für Gd. an Weihnachten. Es wird nun Mo. um 9 Uhr ein Gds. stattfinden; darauf freuen sich viele mit mir, auch Lt. J. – Hoffentlich sind mir dan n noch hier, denn wir müssen täglich mit neuem Einsatzbefehl rechnen.

Gestern Nachm. sah ich Ültzhöffer u. sprach ihn u. seinen Sr. Sein Vater ist in Schwetzingen bei einem Tiefangriff schwer verwundet. Über das Kommende spricht er nicht so zuversichtlich wie es in s. Brief klingt.- Ich soll Dich grüßen, auch von Kam. Zimmermann, der seit 17.11. ohne Nachricht ist ( aus Lahr,. Willst du mal anrufen?)

Abends war Kp. Abend; ich war nicht dort. Als ich gegen 10.30 Uhr ins Massenquartier in die Schule kam, war teilweise eine wüste Sauferei um den Tannenbaum. Als 12 Uhr einer noch keine Rufe fand trotz Befehl eines Uffz., erhob ich mich u. brachte ihn mit Kam. Muttens auf die Straße. Dabei musste ich allerdings einen Kinnhaken einstecken. Wir wollten ihn auf eine Wiese bringen, aber seine u. unsere Kraft reicht nicht soweit. Ich ließ ihn im Straßendreck liegen, wo er gleich einschlief. Nach gut 20 Min. weckte ich ihn, er übergab sich u. ging dann gern mit ins Warme. Kaum gelegen fing ein anderer im Rausch an zu stampfen u. z stöhnen. Auf, und am Kragen raus auf den Flur.- Bei dem Abend erschien ein R.K.-Schwesterlein u. verteilte Ras. klingen, zeichnete sich durch Zigaretten rauchen u. Aufschneiden aus. Wehe, wenn das m. Tochter wäre! – Hätte ich selbst den Abend gestalten sollen? – Ich hatte leider weder Auftrag noch die Möglichkeit.- Aber den kühnen Boxer will ich mir noch schnappen.-

 

 

Brief Nr. 96

 

Am Heiligen Abend 1944.

 

Meine liebe Maria!

 

Es ist 6 Uhr abends und ich fühle, dass wir beide uns nahe sind, es ist alles so schön, wenn ich an Dich denke und an unsere Kinder, an unser Feiern in Haus und Gemeine, unser Beten und Singen, das glückselige Spiel der Kinder, und als wir uns dann nach dem Fest in die Augen sehen und dankbar die Hände drücken dürfen. Und es ist so erhaben heilig die Stunde, wenn man versucht, das Wunder zu fassen, dass Gottes Güte uns armselige Menschen besucht hat in seinem Sohn, um uns seine Liebe zu zeigen, deren wir so wenig wert sind.

Und das alles gilt auch jetzt wo die Sterne glitzern in der klaren, kalten Eifel-Winternacht und die Luft erfüllt statt von dem Schwingen und Singen der Engel von dem Dröhnen der Bomber, die schon bei Tage ihren unheimlichen Gruß in die Umgebung, vielleicht auch ins Reich gebracht haben, um die Zahl derer zu vermehren, die dann nach Obdach, nach Herberge suchen müssen und vielleicht auch nur einen Stall finden. Aber was liegt daran, die wenigsten brauchen noch solch einen Raum, um einen guten Gedanken zu denken, noch weniger um einen göttlichen Gedanken zu fassen, geschweige denn, den hlg. Christ in ihren Herzen geboren werden zu lassen.

Unsere ganze Wohnkultur war ein Götzendienst geworden, es fehlte der gottgewollte Sinn des Wohnens, es fehlten so sehr die geheiligten Familien. Gott wohnte außerhalb der menschl. Bauten und Burgen, außerhalb unserer Städte, ob in den Dörfern?

„Ich und mein Haus wollen dem Herrn dienen“, ihm Raum geben, ihn bitten, dass er einkehre in Herz und Haus und sie erfülle mit seinem Geist und Wesen. Maria, denke auch daran – Du – lass es die Menschen spüren, die aus und eingehen.

Es ist – vom Radioklang abgesehen, der sogar einige christl. Lieder ertönen ließ – wenig weihevoll um mich. Es sitzen noch 4 Kameraden um den Küchentisch und schreiben. Nachher soll eine kl. Feier in der Schule sein. Ein kl. Teil ist schon aufgebrochen zur Front; in Kürze soll unsere Komp. eine Ortschaft zurückerobern – Blut und Tränen werden die Folgen sein.

Krieg, Elend, Jammer, Unvernunft, Wahnsinn — das Kind in der Krippe wurde verlacht, jetzt wird es zertrampelt, zertreten, (damit es nach dem Wüten zu uns zurückkehre) alle Kugeln gehen auch ihm durch’s Herz. Herodes wütet. Oh, Gott, dass Du Erbarmen zeigtest, um dies Kind zu bewahren, zu erretten, damit es nach dem Wüten zu uns zurückkehre und uns segne! Oh, Heiland reiß die Himmel auf! – Lass mich an Deiner Krippe stehn, erhör’ in Gnaden unser Flehn! –

 

Singt, Maria, weint nicht, seid nicht nur traurig und betrübt!

Wir sind ja durch die Geburt des Christus so reicht beschenkt!

Aber so ist der Krieg; er verwildert den Menschen. Bin ich´s nicht selbst auch schon? Geistig, nicht leiblich. Kann man den Geist noch ordnen mit den gottgefälligen Dingen, die allein die Menschen mitwärts und nahrhaft zum Sieg führen, zum Sieg des Guten über das Böse! Kann man ihn noch schulen, üben? Es bleibt so wenig Zeit zum Lesen, Durchdenken des einen oder andern Lebensproblems oder Glaubensproblems. Pfr. Heßler sagt, er müsse jetzt noch zehren von dem. was er in den letzten 10 Jahren gehabt hat. Es gab mir Ina Seidels „Lennacker“. Darin will ich – ein versuch – am Abend noch ein wenig lesen.

 

O.U. am 1.Christtag 1944

Br. Nr. 96

 

Meine liebste Maria1

Jetzt, nachdem Feier, Arbeit und Essen u. Aufräumen getan sind, haben wir einen freien Nachmittag. Es wäre so schön, wenn ich ihn mit Dir und unsern Kindern zusammen verbringen könnten. Werdet Ihr zu Kinderweihnachtsfeier Euch richten? Sicher hast Du ein bischen Zeit für mich. Nimm einen lieben Blick und Kuß von mir; Du, bist ja doch immer noch meine Maria, die ich so gerne liebe, achte und ehre! Und dann sag´ ich Dir, wie es heute war. Denke Dir, wir haben doch noch hier bleiben können, trotzdem wir abrufbereit sind, und konnten daher den Gd. um 9 Uhr besuchen, in welchem nur Soldaten waren, recht gut besucht. Mit Orgel und zwei geigen wurde der äußere Einstimmungsrahmen gegeben, der sehr schlicht gehalten war. Der Wehrm. pfr. (kath.) las nach einem Orgel- u. Geigenvorspiel die Weihnachtsgeschichte des Lukas nach der Lutherübersetzung (!), die er an wenigen Stellen wandelte (statt schwanger = gesegneten Leibes; und den Menschen ein Wohlgefallen = den Menschen des Wohlgefallens). Ohne besond. Textlesung sprach er dann, als ein Choral gesungen war, zu uns über das Christfest, wie man es dann recht begehe, wenn es eine Begegnung mit Gott bringt u. eine Wandlung der Herzen schafft. Seine Sprache war sehr klar u. schlicht, u. ich hatte eine gesegnete Stunde, wie man auch von den Kam. merkte, daß sie dankbar für diese Feier waren. Neben mit saß Lt.Jentsch. – Nachher vereinbarte der Pfr. mit Ueltzhöffer einen Gd.; dabei erfuhr ich auf der Kommandantur, dass die Abhaltung von Gd. auch für Pfr. gleich welchen Dienstgrades freigegeben war, was uns leider nicht bekannt gemacht wurde. – Nachdem war ich mit Kartoffelschneiden beschäftigt, mit Abwiegen der Portionen, Ausgabe von Pudding u. Apfelbrei u. dann der Portionen. Es gab ein festliches Mittagessen. Jetzt sitze ich wieder am Küchentisch; neben mir macht Jentsch ein Nickerchen. Du siehst, liebe Maria, dass es trotz allem festlich gewesen ist, – leider haben wir wieder gebangt, als die vielen Feindflieger über uns kreisten u. in der Nähe Bomben warfen.

Ich möchte noch einen Kl. Spaziergang machen u. grüße Dich, meine liebe Maria, mit einem eben gelesenen Gedicht.

Ein stilles Glückverlangen aus froher Friedenzeit kommt fernher gegangen voll zarter Innigkeit. In diesen leisen Tagen wird jedes Wort zum Traum und alle Stunden tragen den Glanz vom Lichterbaum. Die Nächte voller Brände geheimer Wunder stehn. Komm, reich mit Deine Hände, wie wollen zum Christkind gehen!

In Liebe u. Treue bin ich gern Dein Karl!

Du!

Gegen Abend nach siegreichem Schachspiel mit unserm Kg.San.Gefr.Fischer (einem frommen Katholiken) höre ich das Weihnachtsoratorium von J.S. Bach im Radio. Wie ergreift sie das Herz; fast muß ich weinen bei diesen Klängen. O, mitjubeln dürfen, können, das wäre ein Stück Seligkeit! Ehre sei Gott – und Friede auf Erden – und den Menschen ein Wohlgefallen!-

Dürfte ich Deine Hand fassen, dass ich Dir ganz nahe bin, Maria! Dein Karl.

2.Teil vermutlich von 97

um Dich selbst bestellt ist, Maria, Du! Manchmal packt „der Revolutionär im Herzen“ mich sehr stark u. möchte sich auflehnen gegen diesen unsinnigen Wahnsinnsgeist, der uns in diese Lage, in solches Leben presst, das kaum mehr Leben genannt zu werden verdient. Und doch dürfen wir im Blick auf unsern Herrn, auch dies erdulden. Und man muß nur sehr darum beten, dass dieser Krieg nicht zum größeren Fluch, sondern zum größeren Segen der Menschheit wird.

Liebe, ich denke an so viele Menschen, die uns bekannt sind u. die ich gern zu Weihnachten oder Neujahr gegrüßt hätte. es reicht aber nicht für alle. Sicher wirst Du den Bekannten, von allem auch die Paten, in m. Namen gegrüßt haben. Ich bin so froh, dass ich Dir, meine Maria, mit etwas Ruhe schreiben kann. D.h. das letzte Kerzenlicht, das ich noch habe, muß ich jetzt schonen u. hoffe diesem Brief morgen früh noch einen Gruß anfügen zu können.

 

O.U., den 29.12.44

Br. Nr. 98

 

Wir haben in einer Küche ein Notlager (Stroh) und schlafen zu Vieren darauf: Küchen-Uffz. Paul Hils, Hilfskoch Abbo Eilers, der Pferdepfleger Hch. Schulze und ich selbst. Wir vertragen uns ganz gut und ich bin hier von m. Arbeit befriedigter und fühle mich wohler als beim Stab. Denke Dir, der junge und jungverheiratete Ass.Arzt Dr. Ideler, mit dem ich in Heimbach im „Haus Friede“ mich noch sehr interessant unterhalten hatte, und dem ich das Ev.D. zu lesen gab, ist mit dem Motorrad tödlich verunglückt! Seine jg. Frau ist nun mit 20 Jahren Witwe!

Der Ort hier wurde hart getroffen bei dem Bombenangriff; unter den 34 Toten ist eine vielköpfige Familie, die einschl. des sich auf Urlaub befindl. Sohnes getötet wurde außer einem kleinen Mädchen, das gerade bei seiner Tante weilte. Gestern kam ein and. Urlauber, der vergeblich Heim und Weib und Kind sucht. – Pf. Hessler traf ich gestern als er aus den Trümmern noch einiges heraussuchte. Da er sich nicht nach oben wagte, tat ich es und reichte noch manches wertvolle heil herunter. Ganz zu oberst thront eine Christusfigur über allem Schutt und Staub. (Hiob: Mein Heiland wird als letzter über dem Staube sich erheben). Ist’s nicht ein symbolischer Hinweis darauf, dass unser Herr auch ein Herr über die Trümmer der Welt – und des Lebens ist?! Der Pfr. hat seine Habseligkeiten im Schulkeller gerettet, wo er künftig auch schlafen will. „Das Leben verlangt sein Recht“. Am schmerzlichsten ist ihm der Tod von Frl. Rosa, die eine tüchtige Hilfe war. – Wie mir versch. Leute bestätigen, ist unser „braver“ Inspektor von H. aus mindestens 3 x hier gewesen und hat Benzin verjockelt, wo es an anderer Stelle viel dringlicher war und hat mich allein sitzen lassen und seine Arbeit tun. – Das leere G….d (Gemund) ist erneut bombardiert worden, wie überhaupt die feindl. Fliegertätigkeit in den letzten Tagen und Nächten so lebhaft war, daß die Leute hier kaum z. Arbeiten kommen, weil sie dauernd in den Bunker laufen müssen. Die Schrecken v. letzten Angriff sitzen ihnen mächtig in den Gliedern. – Dr. Pfr. war beim Angriff im Keller mit den beiden Kindern s. Bruders; die Decke bracht durch, er nahm aber keinen Schaden. Maria, möchte doch Gott gnädig an uns handeln im kommenden Jahr! Das wünsche ich besonders Dir und unseren lieben Kindern und Hausgenossen. In Liebe und Treue bleibe ich

 

Dein Karl.

 

Bitte schicke, wenn möglich, Br.papier und Umschläge auf versch. Briefe verteilt und wenn’s geht eine Dose schw.Schuhcreme.

 

30.12.44

Kurz von mir: Gestern u. heute Morgen massenweise Feindflieger, heute in zieml. Nähe Bomben geworfen. Heute wieder heftiges Schießen der Artillerie. – Abends konnte ich uns Kart.puffer backen u. Kuchen (Mehl, Milch u. Butter aus d. Dose), den Morgen im kalten Fourier-Raum( Portionen wiegen u. verpacken für 18 Leute, die am Brü. usw. Wache stehen), leicht erkältet, leichte Kopfschmerzen. Sonst sehr zufrieden den Umständen entsprechend! – Nur: Du fehlst mir sehr! Schade, dass Du mich nicht z. Jahresende besuchen kannst – oder besser ich Dich! Aber ich bin mit betenden u. liebenden Gedanken bei Dir, Maria und bin Dich herzlich grüßend u. Dich innig küssend ganz  Dein Karl.

(Kam. Grießhaber aus Villingen ist bei mir in der 2. Kg.)

 

Letzter Brief 1944

Es ist diesmal schwer, das „Nun danket alle Gott“ anzustimmen; aber können wir anders? Es sind so viele liebe Menschen, der eigene Vater, der eigene Bruder, die nicht mehr mit uns über die Schwelle eines zeitlichen Jahres treten. In den Gefallenenanzeigen an die Kompagnieangehörigen schloß ich: „Möge Ihrem Herzen der Friede geschenkt werden, zu dem nun Ihr Sohn eingegangen ist – und den Sie ihm gönnen mögen!“ So haben auch Vater u. bes. Walter das Entsetzliche überwunden, von dem wir nicht wissen, ob es auch uns im kommenden Jahr bevorsteht. Oder wird das fast undenkbare Ereignis werden, dass die Völker des Kämpfens müde nach dem Frieden greifen? Denn Gott hält ihn uns bereit. –

 

Gegen Abend besuchte mich hier auf unserer Bude Pfr. Heßler. Da er weder Haus, noch Haushalt, noch Haushälterin mehr hat, isst er reihum im Dorf, soweit die Fam. noch da sind und kochen. Seine Wohnung ist im Schulkeller, wo ich ihn besuchen wollte; er schlief gerade.