Hanna Strack » Artikel SEGEN im Wörterbuch der feministischen Theologie

Segen, Teil 3: Segenspraxis

 

Der Aufbruch der Frauen hat bewirkt, dass das Segnen befreit von der Sorge um ein „magisches Missverständnis“ aus dem Kirchenraum heraus- und in die Lebenswirklichkeit hineingetragen wurde. Segnen ist nicht mehr gebunden an Ordination/Priesterweihe. In den Kirchen gewinnen die Frauen die Vitalität der Segenspraxis zurück. Der Reichtum der Segenshandlungen im Benediktionale der katholischen Kirche, der durch die Männerhierarchie für Frauen nicht mehr spürbar war, kann zur Fundgrube für Segnungen (Osterkerzenweihe) werden, die ökumenisch rezipiert werden können.

 

In welchen Situationen gibt uns der Segen den „Zugang zu den tragenden Kräften des Lebens“ ? (vgl. Mowinkel, Psalmstudien). Lebensübergänge, Beginn einer Reise, Schuljahrsanfang, Einzug in eine Wohnung, Schwangerschaft, Trauer, Geburtstage, Partnerschaft von Lesben, das sind die Situationen, die nach Segen rufen. Die WGT-Liturgie schlägt 1994 vor, die Nachbarin zu segnen.

 

Mit der neuen Segenspraxis korrespondiert eine neue Sprache, gespeist von Lebenserfahrungen, z.B.Segen über einer Fehlgeburt (vgl. Strack 2000) und inneren Bildern, entsprechend der Wiederentdeckung der irischen und keltischen Segenstexte mit ihren Naturbildern (Möge der Wind dir den Rücken stärken..) und das Experimentieren mit alten und neuen Gottesbildern (Quelle, Hebamme). In der grauen Literatur finden sich viele ad hoc geschriebene Segenstexte von Rüstzeiten und Tagungen, s. Schreibwerkstatt Segen (Strack 1998). Der FrauenKirchenKalender druckt seit 10 Jahren jeden ersten Sonntag im Monat einen Segen ab.

 

Mit der Wiederentdeckung des Leibes und des Raumes entstehen neue Ausdrucksformen und Liturgien des Segnens: Berührung wie z.B. im Kinderreim „Heile, heile Segen“, der alle Elemente der neuen Segenspraxis enthält, Gebärden z.B. zum Segen mit einem lettischen Lied (vgl. Lander/Zohner 1987), jetzt auch in der Erneuerten Agende Gebärden zum Segenslied „Es segne und behüte…“ und ein Segenstanz zu dem Lied „Bewahre uns Gott“ (vgl. Ev. Gesangbuch Ausgabe Bayern u.a. S.1222). Beim Segenstanz wird aus der Mitte der Segen geholt und von den Tanzenden weitergegeben im Kreis (vgl. Walton, CONCILIUM 1983 ). Das Lied „Viel Glück und viel Segen“ ist eine Erinnerung an die Kraft  des Segensliedes, das durch An-Singen den Segen ad personam weitergibt.

 

Diese verschiedenen Elemente werden eingebettet in die Abfolge eines Rituals, einer Andacht, zum ersten Mal von Roemary Radford Ruether in ihrem Buch „Unsere Wunden heilen, unsere Befreiung feiern: Rituale in der Frauenkirche“ veröffentlicht (vgl. Ruether 1988). In der Thomasmesse werden Segnungen angeboten, bei denen jeweils drei Personen segnen. In evangelikalen und charismatischen Gruppen wird Segen verbunden mit Heilung. Die anglikanische Kirche kennt diesen Zusammenhang (healing ministry) und bietet z.B. Segnungen in der Westminster Abbey in London an.

 

Strittig ist die Segenspraxis bei Segnungen von Räumen und Maschinen, die nicht nur dem Leben dienen sondern es auch zerstören (Flughafen München, Motorradsegnungen), dennoch sind keine Fluchtexte und – handlungen wie im Alten Israel bekannt. Die erhobenen Hände beim gottesdienstlichen Segnen, das Berühren mit Händen, das Fassen im Kreistanz – das weist auf die besondere Kraft und Bedeutung der Hände hin. Die Segenspraxis in anderen Religionen bedarf noch der Rezeption.

 

Weiterführende Literatur:

FrauenKirchenKalender 1992-2002 passim – Tagungsmappen – Liturgiebücher

Schlagworte: Segensgebärden, – lieder, -rituale, – tänze, -worte, rites de passage

 

Im Text erwähnte Literatur:

 

CONCILIUM, internationale Zeitschrift für Theologie, April 1985 21. Jhrg. Heft 2: Macht der Segnung – Segnung der Macht,  Mainz 1985

Enzner-Probst, Brigitte, Löffler, Irene (1997-2001), Strack, Hanna: FrauenKirchenKalender 1992-2002, München, Zorneding, Pinnow/Schwerin

Lander, Maria Hilde, Zohner, Maria-Regina, Meditatives Tanzen, Stuttgart 1987

Mowinckel, Sigmund, Psalmstudien I-VI. Kristina 1921-24

Ruether, Rosemary Radford, Unsere Wunden heilen / unsere Befreiung feiern. Rituale in der Frauenkirche, Kreuz-Verlag Stuttgart 1988

Strack, Hanna, Segen – Herberge in unwirtlicher Zeit. Texte und Schreibwerkstatt von Hanna Strack, Scherenschnitte von Adelheid Strack-Richter, 4.Auflage 1998

diess. Hrg.: Segen ist nicht nur ein Wort

Tänze, Gesten, Meditationen, Rituale, Ikebana 2.Aufl. 1999

diess.: Segen strömt aus der Mitte. Neue Texte von Hanna Strack, Mandalas von Sigrid Kaußler-Spaeter  2.Aufl 2000

Süß, Katja, Segen: Zeichen lebensspendender Zuneigung. Erfahrungen, Texte und Riten von Frauen heute. Diplomarbeit im Fachbereich 01 Kath. Theologie Johannes-Gutenberg-Universität Mainz, SS 1992

Tagungsmappen: Müller, Birgit (Hg),Segensworte und Segensgesten. Heft 72 der Materialhefte 1994, Beratungsstelle für Gestaltung von Gottesdiensten und anderen Gemeindeveranstaltungen, Eschenheimer Landstr. 565, 60431 Frankfurt/M Tel 069/5302246

Tagungsmappen:

– Segen in meinem Leben, Arbeitshilfe für Frauen- und Gemeindegruppen, hrg von der Ev. Frauenhilfe in Hessen und Nassau e.V., Darmstadt

– „Ich will Dich segnen, Du sollst ein Segen sein“, Dokumentation der 3. Werkstatt Feministische Liturgie vom 16.-18. September 1994 in Gelnhausen, hrg vom Burckhardthaus in Kooperation mit dem Frauenstudien- und Bildungszentrum der EKD, Gelnhausen

– „Gesegnet bist du unter den Frauen“, Frauen als Segnende und Gesegnete. Dokumentation des 3. Tages Feminist. Theologie am 20. Mai 1995 in Heimersheim, hrg von der Frauenbeauftragten des Kirchenkreises Bad Godesberg

Walton, Janet,  Segnen auf kirchliche und feministische Weise. Frauen als Objekte und Subjekte der Vollmacht zu segnen. s. CONCILIUM